Tag 101

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Es war mitten in der Nacht. Ein knurrendes Schnarchen erfüllte das Lager. Über dem Wall kreischten die Hyänen auf Beutejagd. Ein Wahnruf eines Vogels ertönte und ein Geräusch, das nicht in die idyllische Nacht passte, weckte Robin mit einem Schlag.

Ein dunkles Gesicht mit zwei leuchtenden Augen tauchte vor ihm auf. Er schreckte entsetzt zurück, unfähig zu schreien, auch wenn er es gerne getan hätte.

»Psst.« machte der Junge, den Robin im nächsten Moment als trauriger Schatten erkannte.

Der ältere Junge hatte sich in der vergangenen Zeit, als ein äußerst fähiger Kämpfer und Schütze bewiesen und genoss in etwa aus gleiche Ansehen, wie blutige Klinge, der mittlerweile der älteste der Feuerjungen war und bald sicherlich zu den Erwachsenen gehörte.

»Keine Angst. Ich will dir nichts tun, aber ich brauche deine Hilfe.« Robin sah ihn fragend an. »Du kennst sie nicht, aber du musst mir helfen sie zu retten. Sie heißt Zola und ist meine Schwester.

Sie...sie ist hier gefangen und sie ist krank. Geistig. Ich muss sie fortbringen. In ein Krankenhaus oder so, aber desertieren ist schwierig, wenn man alleine ist und...«

Er sprach schnell und hektisch und blickte immer wieder über die Schulter, als fürchte er, es würde sich jemand von Hinten anschleichen und seinen Plan auffliegen lassen. Robin legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter.

Er konnte trauriger Schattens Motiv total verstehen, auch wenn es Wahnsinn war und überaus riskant einen Fluchtversuch zu versuchen.

»Also hilfst du mir?« fragte er noch einmal. Robin nickte und tippte sich an den Kopf. Er würde sich etwas ausdenken und ihm Bescheid sagen.
Dann legte er sich wieder hin und schloss rasch die Augen.

Trauriger Schattens Schritte entfernten sich und verstummten schließlich.

In Robins Magen breitete sich ein merkwürdiges Gefühl aus, als er an Flucht dachte. In den letzten Monaten war sein Mantra immer gewesen nicht aufzugeben, auf eine Möglichkeit für die Flucht zu warten, aber er hätte nie gedacht, dass jemand auf die Idee kommen würde, er wäre in der Lage eine Fluchtmöglichkeit zu finden. Er glaubte zwar noch nicht dran, aber er würde sich Mühe geben und versuchen trauriger Schatten zu unterstützen und natürlich seine kranke Schwester.

Es kam ihm seltsam vor. Seit Wochen hatte er weder im Lager noch sonst wo ein Mädchen gesehen. Entweder versteckten sie sich sehr gut oder sie lebten außerhalb, dort wo Robin nicht hingehen könnte.

Als die Sonne aufging rappelte er sich auf und ging etwas trinken. Die anderen rührten sich wenige Zeit später, doch machten keinerlei Anstalten aufzustehen.

Feuerfänger kam heran geschlurft und trat einigen in die Rippen, dass sie aufstanden. Sicherlich hätte er auch gerne Robin getreten, doch dieser saß etwas abseits, bereits hellwach und beobachtete die aufgehende Sonne.

Auf einem der Trampelpfade kam Schwarzmesser von den Hütten hinter dem Wall ins Lager. Er hatte eine dampfende Tasse dabei und eine Zeitung.

Neugierig beobachtete Robin ihn und fragte sich, was Schwarzmesser alles aus ihr erfuhr und was es für Robin dort heraus zu erfahren gäbe.

Das Verlangen aufzustehen und über Schwarzmessers Schulter mitzulesen, war stark, doch die anderen Jungen sammelten sich um ihn und trieben in förmlich zur Übungsfläche.

Feuerfänger hatte am vergangenen Abend mehrere Vierecke im Boden aufgesteckt.

»Heute üben wir etwas, was in einem echten Kampf tödlich sein kann.« er hielt kurz inne »Eigentlich ist alles in einem Kampf tödlich.« Die Jungen warfen sich beunruhigende Blicke zu.
Robin beobachtete sie mit verschränkten Armen.

Der weiße TigerWhere stories live. Discover now