Tag 129

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»Gestern habt ihr hart trainiert und seid sicherlich noch müde.« meinte Schwarzmesser im Morgengrauen »Aber das kümmert mich nicht. Heute werdet ihr in zwei Gruppen nach Süden gehen. Bis zur Schlucht, weiter nicht. Mörder und Feuerfänger haben euch im Blick. Auf dem Weg dorthin gibt es allerlei Stationen und Fallen. Wer von einem Laserstrahl getroffen wird, ist tot. Altes Prinzip. Es gibt auch überall Minen, also passt auf.
Für jede Gruppe gibt es einen Anführer, der wird mir am Ende des Tages einen kleinen runden Gegenstand überreichen, den ihr am Ende eures Ausflugs findet.
Freut euch nicht zu früh, wenn ihr ihn findet, denn ihr müsst nochmal zurück.
Für alle, die es nicht schaffen, gibt es eine Woche lang die Mine, also strengt euch an.
Die Gruppen führen blutige Klinge und weißer Tiger an, da sie gestern am besten geschossen haben. Also teilt euch auf.«
Niemand rührte sich. »Was ist? Macht schon!« befahl Schwarzmesser. »Wie soll weißer Tiger uns anführen, wenn er nicht spricht?« fragte gebrochener Stein. »Er wird das schon irgendwie hinkriegen.«
Er sah Robin aufmunternd an, der am liebsten im Erdboden versunken wäre. Die Situation würde von einer peinlichen Spannung begleitet, dass er am liebsten die Flucht ergriffen hätte.
Die Jungen teilten sich mürrisch auf.
Kaltes Herz kam zu Robin, der Rest wollte zu blutige Klinge.
Feuerfänger war kurz vorm Explodieren.
»Was ist so schwer daran gleich große Gruppen zu bilden?« fragte er wütend und schleifte ein paar am Kragen zu Robin. Widerwillig folgten ein paar.
Nun waren sie bereit.
»Kriegen wir Waffen?« fragte kaltes Herz und ein Sturmgewehr folg gegen seinen Kopf. »Autsch.« machte er leise und hob die Waffe auf. »Natürlich. Was denkst du denn? Allerdings werdet ihr sie nicht brauchen. Nur als Last.« sagte Schwarzmesser und ging kopfschüttelnd davon.
Jeder nahm sich eine Waffe und die Gruppen machten sich auf den Weg.
Robins Gruppe folgte Mörder mit einer sicherlich geladenen Waffe mit sicherem Abstand.
Immer wieder warf er einen beunruhigten Blick über die Schulter und jedes Mal starrte ihn Mörder mit seinen kalten dunklen Augen an.
Ein Schauer lief Robin über den Rücken und er konzentrierte sich auf den Weg.

Als sie das Lager ein Stück hinter sich gelassen hatten, blieb Robin stehen und ließ seinen Blick über das Land streifen.
Ein paar sanfte Hügel durchzogen die Landschaft und ein ausgetrocknetes Flussbett schlängelte sich zwischen ihnen hindurch.
Überall standen alte und tote Bäume. Kaum einer trug auch nur ein Blatt.
Unwillkürlich tauchte vor seinem inneren Auge Menschen auf, die an Stricken von den Bäumen hingen.
»Gehen wir jetzt bald weiter?« fragte jemand ungeduldig. Robin nickte und lief auf einem schmalen Wildpfad auf das Flussbett zu.
»Kann man die Schlucht von hier aus eigentlich sehen?« fragte kaltes Herz. »Glaub nicht. Sie liegt bestimmt irgendwo dahinten zwischen den Hügeln und vermutlich bemerkt man sie erst, wenn man über ihre Kante tritt.« antwortete jemand. »Da bin ich ja froh, dass weißer Tiger voraus geht.«
»Halt die Klappe, sonst schubse ich dich mit Absicht in die Schlucht.« zischte kaltes Herz.
Der Junge schwieg und Robin konnte sich auf den Weg konzentrieren.
Noch war keine Gefahr zu erkennen, aber das beruhigte ihn keineswegs.
Er stupste kaltes Herz an und deutete auf den kaum zuerkennenden Pfad und dann auf die Jungen.
Der Junge verstand.
»Alle bleiben auf dem Weg. Niemand tanzt aus der Reihe.« rief er den anderen zu.
Im nächsten Moment machte Robin eine Vollbremsung und kaltes Herz lief in ihn herein. »Hey. Was ist?« fragte er verwirrt.
Robin deutete stumm auf den Weg. Vor ihm, halb im Sand begraben, steckte eine Feuerwerksmine. Ihr Anblick wirkte geradezu unschuldig und wieder lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken.
»Mine! Vorsicht! Füße anheben.« rief kaltes Herz nach hinten und Robin stieg über das Ding hinweg.
»Auf dem Weg bleiben. Tolle Idee. Das wird uns noch umbringen.« meckerte einer in den hinteren Reihen.
Wieder blieb Robin stehen und besah sich die Umgebung. Rechts und links des Weges war die Landschaft nur so übersät mit Minen.
Auf dem Pfad zu bleiben schien im die beste Möglichkeit. So mussten sie keinen Spießrutenlauf zwischen den Minen veranstalten.
Wieder und wieder mussten sie über die Minen auf dem Weg steigen und ständig die Augen offen halten nach anderen Gefahren.
Doch Stunden schienen zu vergehen, ohne dass sie auf etwas Gefährliches stießen.
»Boah, Mann. Hab ich Durst.« klagte der Junge, der schon die ganze Zeit am Merken war. »Jetzt halt doch mal deine Klappe, beißender Hund! Von rumjaulen geht dein Durst auch nicht weg und helfen tut's uns schon gar nicht.« fauchte kaltes Herz, der auch schon eine Weile schlechte Laune hatte.
Dieser Trip war doch anstrengender und nervenaufreibender, als das übliche Training. Robin konnte die Effizienz dahinter sehr gut erkennen, fragte sich aber auch gleichzeitig, warum Schwarzmesser so einen Aufwand betrieb. Müsste es ihm nicht eigentlich egal, wie seine Soldaten psychisch ausgestattet waren, Hauptsache sie drückten im richtigen Moment ab?
Er merkte, dass er sich das schon länger fragte und eine Antwort nicht zu finden war.
Das Gelände stieg wieder leicht an und öffnet den Blick auf ein weites Tal durch das ausgetrockneter Fluss eine Schleife zog. Die toten Bäume wirkten wie Säulen eines verschütteten Tempels. Sie hoben sich stark von der roten Erde ab und ließen das Land nur halb so schön wirken, wie es eigentlich war.
Minen waren vorerst keine zu erkennen, aber ihr Weg endete hier und nicht weit entfernt entdeckte Robin das erste feindliche Lager.
Zwei provisorische Zelte mit mannshohen Holzfiguren davor, dessen Laserblicke durch die Umgebung schweiften.
»Raffinierte Konstruktion.« fand kaltes Herz und klopfte Robin auf die Schulter, als hätte er das entworfen. Zweifelnd musterte Robin die Figuren.
Die Laserstrahlen schwangen von rechts nach links und andersherum über die Landschaft. Völlig durcheinander und kaum berechenbar.
Der Fluss war nicht weit entfernt und schien tiefer zu sein, als es im ersten Moment den Anschein hatte.
Ohne lange zu zögern steuerte er auf das trockene Bett zu.  Leise diskutierend folgten ihm die Jungen.
»Was hast du vor?« fragte kaltes Herz ein wenig aufgeregt.
Robin reagierte nicht und behielt die Figuren im Auge.
Das Flussbett war von unzähligen Pfoten-und Hufabdrücken übersät und ein winziges, matschiges Rinnsal Floß in seiner Mitte träge dahin.
»Wasser!« beißender Hund stürzte nach vorne und warf sich förmlich in den Matsch.
Robin zog entsetzt die Luft ein, als im nächsten Moment ein kleines Gummigeschoss an beißender Hunds Stirn klebte. Dieser schrie entsetzt auf.
Zwischen ein paar toten Sträuchern auf der anderen Seite hing ein Gewehr, wie eine Wildkamera mit beweglichem Arm.
»Verdammt!« rief jemand und die Jungen gingen in Deckung.
Kaltes Herz trat neben Robin.
»Ich will mich ja nicht selbst loben, aber ich hab's gewusst, dass er der erste sein wird, der „stirbt"« meinte er. Robin seufzte nur verzweifelt. Für die Dummheit der anderen konnte er nun wirklich nichts.
Beißender Hund ließen sie in seinem Wehklagen zurück und hielten die Augen weiterhin offen.
Immer wieder kletterte einer die Böschung hinauf und kontrollierte, wo sie sich befanden und erspähte vermeintliche Gefahren.
Die Mittagssonne stand bereits hoch am Himmel und brannte auf sie hinunter, als die Schleife, die der Fluss machte in die falsche Richtung eine Biegung.
»Wir haben keine Wahl. Wir müssen hier raus und über die offene Fläche weiter.« sagte kaltes Herz und Robin nickte bestätigend.
Ein weiteres feindliches Lager war nicht in Sicht und die Minenfelder lagen hinter ihnen.
Erleichtert beschleunigte Robin seine Schritt, versuchte aber nicht leichtsinnig zu werden.
Wieder lag ein Steigung vor ihnen, die die Sicht auf das Dahinterliegende verbarg.
»Ich verfluche Schwarzmesser für diesen Ausflug.« stöhnte trauriger Schatten und setzte sich unter einen Dornenbusch. »Keine Pause.« sagte kaltes Herz und zog ihn wieder auf die Beine. »Du hast mir gar nichts zu sagen. Weißer Tiger ist unser Anführer.« fauchte er und ließ sich wieder fallen. Kaltes Herz seufzte und sah Robin an.
Dieser stand ein paar Meter entfernt und beobachtete eine Gruppe von Wolken, die über den Himmel huschten. Oben auf der Steigung, war eindeutig ein Feind zu erkennen. Er hob sich klar und gefährlich vom Horizont ab.
Scheiße, dachte er im nächsten Moment, als ein Laserstrahl von Westen über das Land flog.
Er schrie auf, weil das das einzige Geräusch, was er zustande brachte.
Er warf sich flach auf den Boden und wünschte sich, dass die anderen es auch taten.
Kaltes Herz landete neben ihm im Staub und starrte den Laserstrahl an, der einen Moment später über ihre Köpfe hinweg fegte.
»Wir müssen jetzt sehr vorsichtig sein.« meinte er. Robin nickte und kroch auf allen Vieren voran.
»Toll. Jetzt sind wir Tiere.« jammerte jemand. Robin verdrehte die Augen und verfolgte weiterhin den Laserstrahl, der sich irgendwo im Osten verschwamm.
Auf dem Hügel gab es viele Hügel, die Deckung boten, auch wenig später von den Blicken der anderen Feinde.
Die Wache am höchsten Punkt. War erstarrt und kein Laserstrahl ging mehr von ihm aus.
Erleichtert atmete Robin aus und bedachte die anderen mit einem prüfenden Blick.
Unkontrolliert und unberechenbar sprangen die Laserstrahlen klar und deutlich von hier nach da.
Dahinter tauchte in einiger Entfernung die Schlucht ein.
Ein schwarzer, tiefer Strich in der Landschaft.
»Wir haben es fast geschafft!« freute sich trauriger Schatten und wollte Robin überholen.
Dieser packte ihn am T-Shirt und zerrte ihn zurück. Hastig schüttelte er den Kopf und deutete einen Bogen um das Lager der Feinde.
Trauriger Schatten verdrehte die Augen. »Wir müssen uns beeilen, sonst schaffen wir es nicht rechtzeitig zurück.« sagte er.
Robin nickte und deutete wieder den Bogen, dann rannte er los.
Darauf bedacht außerhalb der Laserstrahlen zu bleiben.
Hinter den Büschen entlang und alles im Auge behaltend.
Die Jungen folgten ihm keuchend. Mit einem kleinen Sprint hatten sie nicht rechnet.
Plötzlich schien die Welt in einem ungeheuren Knall zu explodieren. Wie gelähmt blieb Robin stehen und sah sich hektisch um.
Ein Junge schrie, wie am Spieß. Er lag etwas abseits von Robins Laufroute und wälzte sich offenbar schmerzerfüllt am Boden.
»Keine Zeit gegenüber Verluste! Wir müssen weiter!« rief kaltes Herz. Robin rannte schließlich weiter. Fast taub von dem Knall. In was war er getreten und hatte es ihm wirklich weh getan?
Sein Herz raste und Adrenalin in ungeheuren Mengen schoss durch seinen Körper.
Das Gelände wurde flacher und sie steuerten direkt auf die Schlucht zu.
»Schneller! Etwas verfolgt uns!« schrie trauriger Schatten aus heiterem Himmel und rannte fast an Robin vorbei.
Er warf einen hastigen Blick über die Schulter und erblickte ein seltsames Gefährt, dass hinter ihnen her raste und mit Laseraugen sie zielte.
Wieder ein Knall und jemand schrie.
Robin beschleunigte seine Schritte ebenfalls und überholte trauriger Schatten wieder, kaltes Herz und drei andere direkt hinter ihm.
»Das schaffen wir nicht.« rief jemand frustriert. Robin hörte nicht auf ihn und lief plötzlich im Zickzack auf die Schlucht zu.
Das Gefährt holte auf.
»Was machst du denn? Es kriegt dich!« kreischte trauriger Schatten und stolperte aus dem Nichts. Schreiend fiel er zu Boden und blieb einfach liegen.
Robin duckte sich ebenfalls und ließ sich fast von dem Gefährt überfahren.
Mit einem gewagten Sprung landete er auf dem Dach des Dings. Dieses raste immer noch auf die Schlucht zu. Durch das Plexiglas im Dach konnte Robin ein kleines Cockpit erkennen. Auf einem kleinen Monitor war die Route des Dings zu erkennen. Kurz vor der Schlucht würde es abbiegen und dann in einer Schleife zurückkommen.
Robin zögerte nicht lange und kletterte auf die Seite des Gefährts.
Die Schlucht kam im Sekundentakt näher. Die Jungen rannten immer noch um ihr Leben. Der Rest lag viele Meter zurück im Dreck.
Robins Herz raste. Jetzt! dachte er, als es die Kurve einschlug. Mit aller Kraft warf er sich gegen das Ding. Dieses strauchelte überraschend leicht, bremste plötzlich ab, als es auf die Schlucht zu schlitterte und kippte schließlich leicht zur Seite.
»Weißer Tiger!« rief jemand. Erst jetzt merkte Robin, dass er immer noch an dem Ding hing. Mit einem halbherzigen Sprung versuchte er auf den Rand der Schlucht zu kommen. Er gab damit dem Gefährt einen letzten Stoß, rutschte aber ab und kein Sand oder Stein befand sich plötzlich unter seinen Füßen, sondern ein todbringender Abgrund.
Er schrie und machte sich auf den Aufprall gefasst, als etwas ihn abfederte.
Verwirrt öffnete er seine Augen.
Keinen Meter unter der Kante war ein Netz gespannt.
Gott sei dank. seufzte Robin erleichtert. Kaltes Herz' Kopf tauchte über der Kante auf.
»Meine Güte! Du lebst! Komm. Ich helfe dir!« nuschelte er aufgeregt und streckte einen Arm aus.
Schwer atmend lagen sie alle eine Weile im Sand und ruhten sich aus.
Trauriger Schatten kam auf allen Vieren angekrochen.
»Wärst du wirklich tot. Wäre ich diese Nacht geflohen und sicherlich gestorben, aber das wäre dann okay gewesen.« flüsterte er ihm zu und lächelte erschöpft. Robin legte ihm eine Hand auf die Schulter und eine auf sein Herz.
Alles wird gut. Wir schaffen das. wollte er sagen.

Die Sonne wanderte Richtung Westen.
»Wir müssen zurück.« sagte kaltes Herz. »Aber wir haben noch nicht gefunden, was wir finden sollten.« sagte trauriger Schatten. »Was könnte das sein?«
Die Jungen begannen zu beratschlagen und zu diskutieren.
Derweilen lief Robin an der Schlucht auf und ab und warf immer wieder einen Blick hinein.
Er hatte Glück gehabt. Das Netz war nur etwa hundert Meter lang und zwei Meter breit. Das Gefährt war darüberhinaus gefallen und lag jetzt irgendwo in der schwarzen Tiefe.
Da entdeckte er plötzlich einen kleinen Gegenstand, der in Netz lag.
Kurzentschlossen ließ er sich hinab gleiten und griff danach. Es war eine kleine Büchse. Sie war schwer und darin befanden sich ein Patronen.
Verwundert steckte Robin sie ein.
»Keine Bewegung! Sonst knall's!« rief plötzlich eine unbekannte Männerstimme. Robin hielt die Luft an und spähte über die Kante.
Drei Männer standen dort und zielten auf die anderen Jungen. Diese hatten ihre Arme gehoben.
Geistesgegenwärtig griff Robin nach seiner Waffe, die er wieder über der Schulter trug. Aber sie war ja gar nicht geladen.
Die Patronen in seiner Tasche! Es waren genau drei!
Ohne lange nachzudenken steckte er sie in sein Gewehr und legte an.
»Was wollt ihr von uns?« fragte kaltes Herz fast ängstlich. Die Männer lachten heiser und einer richtete seine Waffe genau auf kaltes Herz' Kopf. »Euren Tod.« sagte er. Robin drückte ab. Der erste traf den ersten Mann ins Bein. Die anderen beiden fuhren bei seinem Schrei herum und erblickten Robin über der Kante.
Doch er zögerte nicht lange und die Kniescheibe des nächsten wurde zerschmettert. Der Letzte schoss und verfehlte Robins Kopf nur um Haaresbreite. Er spürte einen brennenden Schmerz an seinem Ohr. Fast blind drückte er wieder ab und die Kugel traf den Mann in die Schulter.
»Scheiße Mann!« rief trauriger Schatten ungläubig und starrte auf die drei Männer am Boden.
Robin merkte, wie im schwindelig wurde und die Stimmen der Jungen in die Ferne rückten, dann wurde im Schwarz.

Der weiße TigerWhere stories live. Discover now