Tag 235

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»Was wohl aus Schwarzmesser geworden ist?« fragte kaltes Herz in die Runde.
Alle starrten betroffen zu Boden.
»Das kann einfach nicht wahr sein. Von einer Sekunde zur anderen verändert sich unser Leben komplett und wir haben keine andere Wahl, als damit zu leben.« schimpfte blauer Himmel. Wem sagst du das? dachte Robin und schaute zu Venn und seinen Männern hinüber, die super viel Spaß zu haben schienen.
Wie der diesen Mann schon hasste. In Schwarzmessers Nähe hatte er sich immer irgendwie besonders gefühlt, aber jetzt war er ein Nichts. Eigentlich gab es keinen vernünftigen Grund mehr, um weiter zu leben.
Wie lange ich wohl die Luft anhalten kann?
Eigentlich wollte er es nicht ausprobieren, eigentlich lebte er gerne, aber gerade. War einfach alles nur noch blöd. Sogar die Gesellschaft seiner vermeidlichen Freunde ging ihm auf den Keks.
Die ganze Zeit redeten sie von dem was war und hofften, dass wenigsten ein paar überlebt hatten. Robin glaubte nicht daran. Venn hatte bestimmt alle niedermähen lassen und höchstpersönlich Schwarzmesser den Garaus gemacht. Das war nur logisch, seiner Ansicht nach.
»Wir sind jetzt ganz allein auf uns gestellt.« meinte blauer Himmel »Sieben Jungen, allein unter gefährlichen Männern.« »Die halten uns für gnadenlose Killer.« sagte blutige Klinge. »Die sind die Killer!« erwiderte der Stadtjunge empört. Blutige Klinge zuckte nur mit den Schultern.
»Der da sieht aber nicht so aus, als wäre er gefährlich.« sagte tote Maus und zeigte auf jemanden, der kaum älter sein konnte, als blutige Klinge.
Der Älteste erhob sich und ging zu dem Jungen hinüber. Der beobachtete sie schon eine ganze Weile.
»Hey. Wer bist du?« fragte blutige Klinge. »Man nennt mich Wolf.« antwortete er schlotternd. »Und was machst du hier?« »Ich kämpfe mit.«
Blutige Klinge lachte leise.
»Sag bloß du hast jemanden in dieser fiesen Schlacht gestern abgemurkst.« rief kaltes Herz ihm zu. Der Junge sah sich nervös um. Offenbar fürchtete gleich einen Schlag zu bekommen.
»Nein. Da war ich nicht dabei, aber...ich hab schonmal getötet.«
»Toll. Ich auch. Und hätte ich gestern eine Waffe gehabt, hätte ich deinem dämlichen Anführer sowas von das Hirn weggepustet.«
»Nicht so laut, Mann. Sonst kleben sie dir eine.« zischte der Junge und duckte sich. »Soll'n sie doch. Ich hab keine Angst.«
»Lass gut sein.« sagte kaltes Herz und stellte sich neben blutige Klinge.
»Tayo, Wolf und Abdo, die kämpfen sicher gut. Doch was ist mit Robin, Nio und François? Fehlt denen etwa Mut?«
Venn stolzierte zu ihnen hinüber und sang dabei ein sehr schlechtes, selbstgedichtetes Lied. Robin hätte sich am liebsten die Ohren zu gehalten.
»Was ist los Jungs? Gibt's ein Problem?« fragte der Anführer.
»Nein, nein. Sie haben sich nur vorgestellt.« antwortete Wolf rasch.
»Das ist ja schön. Wenn sich meine neuen Kämpfer mit meinen armen Findelkind gut verstehen. Nicht wahr?«
»Sicher doch.« murmelte blutige Klinge.
»Also. Was bietet der Tag noch so? Lust auf eine kleine Tour durch den Wald? Ein bisschen jagen und schießen? He?«
Venn stupste Robin freundschaftlich mit dem Ellenbogen an. Robin taumelte einen Schritt zu Seite und verzog das Gesicht zu einer Art Lächeln.
»Warum nicht?« sagte kaltes Herz, was auch die einzig mögliche Antwortmöglichkeit zu sein schien.
»Großartig.« freute sich Venn »In einer halben Stunde geht's los.«
Er entfernte sich wieder und die Jungen gingen zu ihrem Platz am Ufer des Sees zurück.
Sie wussten nicht, wie sie sich auf diese Tour vorbereiten sollten, also warteten sie einfach.

Im Wald war es schattig und laut. Vögel jeder Art sangen oder schrieen ihre Lieder. Venn stolzierte gut gelaunt voraus. Ihm auf den Fersen Wolf und dahinter die Jungen. Robin ging als letzter. Das alte Jagdgewehr, was er in der Hand hielt, war ziemlich unhandlich und in dem unwegsamen Gelände eine lästiges Hindernis.
Er fragte sich, was Venn mit dieser Aktion bezwecken wollte. Auf Grund vergangener Ereignisse vermutete Robin hinter jedem Handeln der Anführer, irgendeinen grausamen Hintergrund und er fürchtete sich davor, im Wald ausgesetzt zu werden oder den Waldstämmen zu begegnen.
Doch Venn schien nur zu seinem eigenen Vergnügen diesen Ausflug zu unternehmen.
Sie erreichten eine Wiese mitten im Wald. Das Gras war kniehoch und raschelte in allen Ecken.
»Verhaltet euch ruhig.« befahl Venn aufgeregt und deutete zu einem Baum auf der anderen Seite.
Dort bewegte sich etwas auf sie zu.
Robin vermutete ein kleines harmloses Tier, doch die Männer um ihn herum legten angespannt ihre Gewehre an.
Venn flüsterte mit Wolf und hüpfte, wie ein kleines Kind auf der Stelle.
Schließlich verstummte das Rascheln und alle starrten konzentriert auf einen Punkt vor ihnen. Vielleicht einen Meter von Venn entfernt.
»Mäht ihn weg.« schrie der Anführer plötzlich und ein Kugelhagel regnete ihn Gras. Das Tier kreischte auf und dann war es stumm.
Wolf hob es auf.
Für Robin sah es aus, wie eine übergroße Ratte oder ein Schwein. So etwas hatte er zuvor noch nie gesehen.
»Hervorragend. Guter Fang. Hier Léon. Bring ihn zurück.« befahl Venn und ein Mann nahm das Tier entgegen und trottete zurück.
Robin sah ihn stirnrunzelnd nach.
»Gut. Gehen wir weiter. Jetzt will ich eure herausragenden Schießkünste in Aktion sehen.« sagte Venn.
Also hatte Robin recht gehabt. Sie waren zu einem bestimmten Zweck hier.
Leiser, als zuvor, schlichen sie durchs Unterholz und hielten Ausschau nach möglicher Beute.
Robin war kein Jäger. Er suchte nicht nach seinem Opfer, sondern sein Opfer stellte sich ihn in den Weg, auch wenn es mit dem Leben davonkam.

Plötzlich hielt Venn an und legte Robin eine Hand auf die Schulter.
»Deine Chance, Robin. Siehst du ihn?« flüsterte er. Robin sah nach oben und entdeckte einen bunten Vogel im Geäst. Sehr weit oben und halb hinter Blättern verborgen.
Er nickte.
Er wusste nicht, ob diese Aktion gegen seine Moralvorstellungen verstieß oder nicht, aber eigentlich hatte er keine Wahl und ausnahmsweise wollte er nicht als Trottel dastehen.
Also legte er an, zielte und schoss. Der Schuss hallte durch den Wald. Eine Ewigkeit lang.
Der Vogel stieß noch einen Schrei aus, dann stürzte er zu Boden und fiel kaltes Herz vor die Füße.
»Nicht schlecht.« bemerkte er und zog beeindruckt eine Augenbraue hoch.
Venn klatschte begeistert und packte den Vogel in einen Sack.
In Robins Bauch rumorte es. Der arme Vogel.

Der weiße TigerWhere stories live. Discover now