Tag 227

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Robin war kalt und warm zugleich. Er hatte Hunger und Durst und alles tat ihm weh.
Durch die dicken Gitterstäbe seines kleinen Pferches hindurch konnte er das Treiben im Dorf verfolgen, aber eigentlich kümmerte es ihn nicht er litt Qualen. Tag und Nacht.
Sein Rücken war ein einziger zerfetzter Haufen Haut und es gab keine Position, in der der Schmerz auch nur ansatzweise aushaltbar war. Er fand sich stets an der Schwelle zwischen Ohnmacht und Erwachen und manchmal wusste er nicht, ob er träumte oder wach war, wenn er den Stimmen um sich herum lauschte.
Sie sprachen mehr, als nur eine Sprache, aber zum größten Teil die, die auch in Schwarzmessers Lager gesprochen wurde.
Schwarzmesser.
Robin hätte sich nie träumen lassen können, dass er einmal sich zurück an den zweitschlimmsten Ort dieser Welt wünschte, einfach weil er den schlimmsten Ort nicht mehr ertragen konnte.
Jeden Tag kam Jens und führte vor ihm ein paar Selbstgespräche, die aber immer an Robin gerichtet waren.
Dabei verwendete er so oft seinen Namen, dass Robin ihn mittlerweile nicht mehr ausstehen konnte. Er hätte ihn am liebsten angebrüllt und gesagt.
Ich weiß, wie ich heiße! Ich weiß es!
Aber er hatte keine Kraft dazu und aufgeben zählte nicht gerade zu seinen Stärken.
Er fühlte sich schwach und unnütz und fragte sich jeden Tag, wann man ihn erlösen würde.
Und jedes Mal, wenn er einschlief tröstete er sich mit dem Gedanken, vielleicht ja morgen.
Aber es waren schon einige Morgen vergangen und er lebte immer noch in diesem Käfig.
»Ich hätte niemals gedacht, dass ich meine Moral aufgeben würde und einen Weißen einsperre, so wie ich dich eingesperrt habe. Normalerweise sind die Weißen immer meine Freunde und Gäste.«
Und was sind die Anderen?
Schoss es Robin durch den Kopf. Er lag auf dem Boden im Dreck und starrte an die steinerne Wand auf der anderen Seite von Jens.
»Ich bedauere es sogar ein wenig. Du bist ein netter Bursche, so im wesentlichen, aber du lässt mir einfach keine Wahl. Ich will dich echt nicht kaputt machen. Du könntest dich ja selbst retten. Dafür bräuchte ich nur die Antworten auf meine Fragen und Schwubs wärst du frei. Ich sag dir eins. Deine Sturheit wird dich noch eines Tages umbringen.«
Und wenn schon. Dann war ich mir wenigstens treu.
Jens ging. Er redete nicht weit entfernt mit ein paar seiner Männer und verschwand dann wieder in seinem Haus.
Ein paar dunkle Blicke lasten auf Robin. Er spürte sie auf seinem brennenden Rücken und wünschte sich wieder weit fort. Am liebsten ins Jenseits.
Er musste unwillkürlich an rote Nacht und sein Geständnis denken. Auch dieses Ereignis schien schon Ewigkeiten zurückzuliegen.
Robin wusste nicht mehr, was er denken sollte. Er war müde und völlig ausgelaugt.
»Hey Bursche.« sagte plötzlich eine Stimme.
Robin drehte sich um und sah einen Mann mit einer Schüssel und einem Becher in der Hand.
»Damit du nicht krepierst.« sagte er und schob beides durch die Gitterstäbe.
Reis mit irgendeiner dünnen Soße und Wasser.
Robin kam sich vor wie im Himmel und schlang alles in Windeseile hinunter.
Fünf Minuten später kam der Mann wieder und nahm die Schüssel mit.
Robin sah ihn dankbar an, aber er winkte nur ab.
»Herr Developer hat es befohlen.«
Mit einem Mal wünschte sich Robin, er hätte das Essen nicht angerührt. Ihm wurde schlecht und schwindelig und er rollte sich auf dem schmutzigen Boden zusammen.

Am Nachmittag schien die Sonne in den Pferch und brannte auf seiner Haut.
Nun schwitzte er vor Hitze und nicht vor Schmerz.
Mit dem Finger malte er, so gut er konnte, einen Tiger in den Sand. Nur den Kopf und er sollte brüllen.
Seine Zeichnung sah allerdings viel zu niedlich aus, um in ihm Stärke und Mut auszulösen.
Er wischte sie schnell weg, bevor irgendjemand sie sehen konnte.
Der Abend senkte sich über das Dorf und die Männer gingen schlafen.
Sie stellten nur eine Wache auf und das auf der anderen Seite, bei Jens' Haus.
Robin beobachtete den Schatten des Mannes solange, bis ihn die Müdigkeit fast umbrachte und er sich wieder zusammenrollte.

»Psst. Weißer Tiger wach auf.« riss ihn eine Stimme aus dem Schlaf.
Erst verstand er nicht was los war, dann sah er ein vertrautes Gesicht im Schein der Laternen.
Unwillkürlich musste er grinsen. Eine unendliche Last fiel in diesem Moment von ihm ab und er wäre am liebsten vor Freude auf und ab gesprungen, aber er war schwach und müde noch trennten ihn und die Freiheit Kleinkinderarme-dicke Metallstäbe.
»Hey.« grinste ihn das Gesicht auf der anderen Seite an »Du siehst echt beschissen aus.«
Blutige Klinge wedelte mit einem Schlüssel. »Wie kann man nur so blöd sein und nur eine Wache aufstellen?«
Robin konnte es gar nicht fassen, als er wenig später draußen stand und sich strecken konnte.
Blutige Klinge wirkte eben so erleichtert, wie er selbst. Sie sahen sich einen Augenblick lang an, dann lief blutige Klinge plötzlich los.
»Wir dürfen keine Zeit verlieren. Sie werden schnell merken, dass du weg bist.«
Das ließ Robin sich nicht zwei Mal sagen. Er sammelte seine letzten verbliebenen Kräfte und rannte hinter blutige Klinge über die Straße und zu einer Gruppe von Bäumen.
Das Dorf lag nun außer Hör-und Sichtweite und unter den Bäumen parkte einer von Schwarzmessers Geländewagen.
Am Steuer saß Goldwolf und grinste ihnen entgegen.
»Dieser Hund, Developer. Wird es sich noch einmal überlegen,  ob er sich mit dem weißen Tiger anlegt. Ich kann doch davon ausgehen, dass deine Rache süß sein wird.« begrüßte er ihn. Robin nickte und quetschte sich auf den Rücksitz.
Blutige Klinge rutschte neben ihm auf den Sitz.
»Sie haben dich echt schlimm zugerichtet. Dein Rücken sieht aus, als hätte man rasiermesserscharfe Raspeln über seinen Rücken gezogen.« meinte blutige Klinge. Robin musste sich bei dieser Vorstellung schütteln.
Als der Wagen über den Weg holperte, förderte Goldwolf einen Erste-Hilfe-Kasten zu Tage und reichte sie seinem Sohn.
Das Desinfektionsmittel brannte, wie Feuer auf seinem Rücken und der Verband, den blutige Klinge provisorisch um ihn wickelte, löste ein unangenehmes Ziehen aus.
»Ich beneide dich um deine neuen Hosen.« sagte er. Robin zuckte nur mit den Schultern. Er vermisste ein T-Shirt. Das hatte er zurückgelassen.
»Ich hätte nie gedacht, dass es so einfach werden würden weißer Tiger zu befreien.« sagte Goldwolf nach einer Weile. »Stimmt. Ich hätte mit Extrawachen vor seinem Gefängnis und auf den Hügeln erwartet. Und es hieß immer, Developer wäre unbesiegbar.« »Wir haben ihn nicht besiegt. Wir haben uns nur zurückgeholt, was unser ist.« »Das hat übrigens Schwarzmesser veranlasst.«
Robin nickte. Es hätte ihn auch gewundert, wenn jedem anderes auf die Idee gekommen wäre.
Er schaute aus dem Fenster.
»Jetzt wäre die perfekte Möglichkeit zu entkommen.« stellte blutige Klinge an einer Kreuzung fest »Einfach falsch abbiegen und schups, weg wären wir.« »Kommt gar nicht in Frage.«
Robin wollte es auch irgendwie nicht. Irgendwie zog es ihn gerade zurück zur Mine. Da draußen gab es nichts mehr für ihn. Keine Freunde, keine Familie.
Alles was er hatte, war ihn diesem dämlichen Lager auf der Schwelle zur Hölle.
Es war dunkel. Nur die Scheinwerfer boten Licht. Robin ging es besser und die Müdigkeit kam wieder über ihn.
Für einen Moment war er glücklich.

Der weiße TigerWhere stories live. Discover now