XII. ThE GuArDiAn Of OuR ChAiNs - Part I

1.6K 170 428
                                    

"You will not break loose until you realize that you yourself
forge the chains that bind you."

                                                                                                                                                -Gary Renard

"Alec. Sprich mit mir." Stephens Worte sind ruhig und liebevoll, dennoch höre ich die Besorgnis in ihnen deutlich heraus. Er hat allen Grund sich Sorgen zu machen, denn ich werde offensichtlich verrückt.
Die Anzeichen sind unverkennbar.

"Alec, bitte!" Beruhigend spüre ich seine flache Hand kreisend über meinem Rücken. Dennoch fühle ich mich gerade wie ein kleines Kind, das die Welt plötzlich mit ganz anderen Augen sieht und mit dieser neuen Sicht der Dinge völlig überfordert ist.

"Ich kann nicht. Du würdest es nicht verstehen. Ich tue es ja selbst nicht", schniefe ich und wische mir mit meinem nackten Unterarm die dutzenden Tränen vom Gesicht. Es ist lange her, dass ich auf diese Weise die Kontrolle verloren habe. Wenn ein Mann weint, kann nur der Tod oder die Geburt eines geliebten Menschen der Grund dafür sein. So wird es von der Gesellschaft akzeptiert. Wie absurd mir das gerade erscheint.

"Gib mir wenigstens die Chance, es zu versuchen", bittet mich mein Freund erneut. Er will nur helfen, doch ich weiß auch, dass er gerade nichts ausrichten kann.
Starr blicke ich auf die vorbeiziehenden und bunten Schuhpaare. Jedes einzelne scheint seine ganz eigene Geschichte zu erzählen.

'Wer ist der Mensch, der sie trägt?
Tut er es für sich oder gar um jemand anderem zu gefallen? Sind sie vielleicht zu klein oder zu groß?
Fühlt sich jeder Schritt schmerzvoll, leichtfüßig oder wie ein Gang ins Leere an?'

"Na komm, lass uns nach Hause gehen", schlägt Stephen vor, als er die Hoffnung aufgibt, ein klärendes Wort von mir zu hören. Es wäre auch nur ein einziges und doch will es nicht über meine Lippen kommen.
Nur ein Name würde genügen, um all das hier zu erklären.

Dicht beieinander, doch mental so weit voneinander entfernt, treten wir den Rückweg zu Stephens Wohnung an.
Er akzeptiert die absolute Stille und Schweigsamkeit. 'Doch für wie lange?'
Ich schulde ihm eine Erklärung.

'Hätte ich an seiner Stelle dieselbe Geduld und Sanftmut aufgebracht?' Ich kann es nur hoffen. Gerade habe ich nicht das Gefühl, ihm ein guter Freund zu sein.

Blind folgen Stephen und ich den etlichen Passanten vor uns. Männer, Frauen, Kinder. Sie allesamt strömen in die gleiche Richtung, verfolgen dabei ihr ganz eigenes Ziel, in einem Tempo, das nicht sie, sondern das Leben ihnen vorgibt.

'Mit welchen Problemen und Sorgen müssen sie sich wohl herumschlagen? Sind sie lapidar gegenüber den meinen oder ist dieses ganze Drama in meinem Leben ein einziger Witz?'

Dutzende Sekunden vergehen, bis ich registriere, dass ich unentwegt auf ein und denselben schwarzen Hinterkopf starre. Was auch immer da gerade für eine Sicherung bei mir durchbrennt, ich kann es nicht mehr aufhalten.

Mit jedem Schritt, den ich ihm hinterhereile, nimmt das Gesamtbild seiner ganzen Person klare Formen und Züge an.
"Alec!", höre ich Stephens Stimme rufend hinter mir, als ich ihn unvermittelt zurücklasse.

"Magnus! Magnus?" Atemlos lange ich nach einer Hand, von der ich glaube, dass sie sich perfekt in meine schmiegt und alles Unglück mit nur einer einzigen Bewegung hinfort scheucht.
"Hey!", erwidert er meine Forschheit barsch und verständnislos.

Der Mann vor mir ist viel kleiner als Magnus, der Teint seiner Haut viel heller und seinen Augen fehlt dieser magische Funken. Nichts an ihm erscheint mir gerade würdig, um es mit Magnus' Abbild zu vergleichen.
'Was habe ich mir gedacht?
Ich wollte so sehr, dass er es ist.
Doch so funktioniert das nicht. Richtig?' Das hier ist das Leben, wie es dich liebt und zeitgleich höhnisch verspottet.

Color Palette 🌈 (🔞)Where stories live. Discover now