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Ich atme tief durch und drücke die Klinke herunter. Das kalte Metall des Türgriffs scheint sich wie ein Brennstab in meine Hand einzuschmelzen und während ich die Kiefernholztüre aufdrücke kommen mir Zweifel. Zweifel daran, dazu in der Lage zu sein, den Griff wieder Loslassen zu können. Zweifel daran, dass mein Vorhaben eine gute Idee ist. Zweifel daran, ob ich überhaupt dazu im Stande bin, wirklich mit ihm zu reden. Über mehr zu sprechen als die Prüfungen. Über mehr als nur Gleichungen. Es kostet mich all meine Kraft, meinen Blick zu heben, weg von meiner Hand, die noch immer den Türgriff fest umklammert hält, um ihn anzusehen. Sein Finger ist gehoben, er bedeutet mir, einen Moment zu warten während er seinen Blick starr und hochkonzentriert auf das Dokument vor ihm gerichtet hält. Seine Augen fliegen über die Zeilen und sein schlanker, langer Zeigefinger gleitet über die schwarzen Letter auf dem Papier bis zum Ende des Absatzes. Er sieht noch immer auf das Blatt vor ihm als er mich bittet doch Platz zu nehmen, er hätte jeden Moment Zeit für mich. Endlich schaffe ich es, die Türe hinter mir zu schließen und die Klinke los zu lassen. Mein Herz schlägt mir bis in den Hals hinauf als ich die wenigen Schritte durch den lichtdurchfluteten Raum schreite und mich auf das kleine Zweisitzer-Sofa gegenüber von seinem Schreibtisch setze. Seine linke Hand hängt nach wie vor halb in der Luft und signalisiert mir, dass ich mich noch einen Augenblick gedulden muss. Ich betrachte seine Hand, die schlanken, langen Finger, die feinen Härchen auf seinen Unterarmen, die Sehnen und die Muskeln die sich darunter abzeichnen und bei jeder kleinen Bewegung seiner Hand zucken. Mein Blick gleitet langsam über seinen Körper, über das weiße Hemd, dessen Aufschläge er zurückgeschlagen und nach oben geschoben hat. Über seinen muskulösen Oberkörper, der sich schemenhaft unter dem hellen Stoff abzeichnet. Über seinen Hals, bis zu seinem markanten Kinn mit dem Bartschatten. Seine vollen zartrosa Lippen, von denen ich weiß, dass sie sich auf meiner Haut, auf meinen Lippen wie Seide anfühlen. Und seine Augen. Dieses unendlich tiefe blaugraue Meer, dass mich mit sich reißt, mich ertrinken lässt und mich alles andere vergessen lässt. Sein dunkles mahagonifarbendes Haar ist zerzaust und einige Strähnen sind ihm in die Stirn gefallen. Nichts würde ich lieber tun, als mit meinen Fingern durch sein Haar zu streichen, über seine Koteletten und an der Kante seines Kinns entlang. So gerne würde ich meinen Daumen über seine Lippen gleiten lassen und seine Wange streicheln... Und mit einem Mal hebt er den Blick und sieht mir direkt in die Augen. Einen Moment lang liegt Verwirrung in seinem Gesicht, doch so schnell sie sich zeigte, so schnell war sie wieder verschwunden und etwas anderem, etwas, was ich nicht definieren kann, gewichen. "Was machst du hier?" durchbricht seine Frage die stille und dabei ist seine Stimme so sanft, so weich, als würde sie mein Herz liebkosen. Ich schließe die Augen, weil ich es kaum noch aushalte, wie mich der graue Ozean darin zu verschlingen droht und schüttle leicht den Kopf. Ein leichtes, dennoch trauriges Lächeln schleicht sich, ohne, dass ich es verhindern kann auf meine Lippen und ich lache lautlos auf. "Ich weiß es nicht" stoße ich tonlos aus und zwinge mich, ihn wieder anzusehen. Wieder herrscht stille in seinem Büro. Einzig das leise surren seines Laptops durchbricht die Ruhe. Er öffnet den Mund, um etwas zu erwidern, doch ich komme ihm zuvor: "Wer ist sie?" Er sieht mich verständnislos an. "Die Frau. Gestern. Wer ist sie?" Er setzt sich aufrecht hin, dann beugt er sich leicht über seinen Tisch in meine Richtung und ein leichte lächeln umspielt seine Lippen. "Meine kleine Schwester. Sophie. Sie kam gestern mit dem Flieger um mich zu besuchen", erklärt er und in seiner stimme schwingt die gleiche wärme und liebe mit, die sich auch in dem grau-blauen Sturm in seinen Augen spiegelt. Ich atme erleichtert aus. Mir war nicht einmal aufgefallen, dass ich den Atem angehalten habe. Seine Schwester. Ich komme mir unendlich blöd vor. Das ganze war merkwürdig, peinlich und zutiefst demütigend. "Ich sollte gehen" sage ich, um einen neutralen Tonfall bemüht und stehe auf um den Raum zu verlassen. Gerade als ich die Türe öffnen möchte um aus dieser selbst heraufbeschworenen Situation zu fliehen, drückt er die Türe zu. Er steht so dicht hinter mir, dass ich die wärme die er verströmt spüren und sein berauschender Duft mir in die Nase steigt und mir die Sinne und den Verstand raubt. Ich drehe mich zu ihm herum, die Türe im Rücken und blicke zu ihm auf. Sein Blick brennt auf meiner Haut, raubt mir den Atem und weckt in mir Hoffnungen, die sich nie erfüllen würden. Wieso tut er das?! Wieso lässt er mich nicht einfach gehen? Er hebt seine andere Hand und streicht mir sanft mit den Fingerknöcheln über die Wange. Seine Berührung hinterlässt ein wohliges kribbeln auf meiner Haut und ich sehne mich nach mehr. Ich schließe gequält die Augen als sein Daumen rhythmisch über mein Kinn streicht und kleine kreise auf meine Haut malt. Langsam und sanft drückt er mein Kinn nach oben und ich weiß, dass er mich gleich küssen wird. "Tu das nicht. Nicht wenn du vor hast, wieder damit aufzuhören" stöhne ich kaum hörbar an seine Lippen und er hält mitten in der Bewegung inne. Ich wage es nicht zu atmen, wage es nicht, meine Augen zu öffnen oder mich zu bewegen. Eine gefühlte Ewigkeit lang habe ich das Gefühl, die Welt um und herum, meine Welt, würde stehen bleiben, hätte einfach aufgehört sich zu drehen. Dann verlagert er sein Gewicht und ich weiß, dass er mich jeden Augenblick loslassen und mir den Weg frei machen wird, mich gehen lassen wird. Doch mit einem mal liegen seine Lippen auf meinen und erschüttern meine ganze Welt.

Teacher loveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt