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Ich haste über die Bühne, gejagt vom grellen Scheinwerferlicht, voller Wut auf Jack zu. "Wie konntest du nur?!", schreie ich ihn empört an und dabei dröhnt der Donner über unseren Köpfen. "Versteh doch, ich habe das für uns tun wollen, Madelein, ich wollte doch nur, dass wi-",  "GENUG!", rufe ich. Lichtblize huschen über dem Himmel und der Wind bläst so stark wir ein Orkan. Wieder beginnt der Donner zu gröhlen und schwillt mit jedem weiteren meiner Worte immer weiter an, wird immer lauter und verschluckt alles andere. "Du hattest kein Recht deiner Welt, um über mich zu entscheiden! Du bist ein nichts im Vergleich zu mir, nur ein Mensch! Du wolltest mir die Flügel nehmen lassen, für dein Glück, für deinen Frieden! Du hast keine einzige meiner kostbaren Augenblicke verdient, die ich an dich verschwendet habe!" Jack fällt vor mir auf die Knie und ich breite meine Flügel bedrohlich über ihm aus. Sie sind nicht länger lieblich, schön und rein. Sie sind nicht länger weiß. Sie sind von einem so tiefen schwarz, dass das Blut, das an ihnen entlangrinnt nur zusehen ist, weil es mein seidenes Gewand tränkt und mich aussehen lässt wie einer der Racheengel, die unter Vaters Himmel leben und Chaos und Unheil über die Erde bringen. "Wer bist du? Du bist nicht die, die ich zu kennen geglaubt habe. Du bist nicht die, an die ich mein Herz verloren habe" wimmert er und sieht mich dabei an, als hätte ich diejenige, von der er spricht, eigenhändig ermordet. Ich sehe an mir herunter, streiche mit den Fingerspitzen über meine Flügel. Schon diese leichte Berührung lässt mich leicht wanken vor Schmerz und Qual. Ich schaffe es nicht, ihn nocheinmal anzusehen. "Du hast mir das angetan! Du allein hast mich durch deinen Verrat zu diesen...Ding gemacht!" Ich spucken ihm die Worte entgegen, als würden sie wie Säure meinen Mund verätzen. "Du hattest mein Herz und hast es in zwei gerissen" hauche ich gerade so laut, dass er mich über das Heulen des Windes hinweg verstehen kann, dann schlage ich mit den Flügeln und verschwinde. Hinterlasse nichts, als die blutigen Überreste des Verrates. Jack bricht zusammen und verflucht sich. Er verflucht mich. Verflucht Vater. Verflucht unsere Liebe, während das Licht um ihn herum immer mehr schwindet und der Sturm sich allmählich legt. Stille. Schwärze.

Und dann tosender Applaus von Lillian, die in der ersten Reihe der zuschauerreihe sitzt und vor Freude zu strahlen scheint. Die Lichter werden wieder eingeschaltet und alle kommen auf die Bühne. Ich werde unterdessen langsam von der Decke gelassen, an der ich durch diverse Kabel, Seile und Gurte festgemacht bin. Seitdem ich Lil gesagt hatte, ich würde für sie einspringen, sitze ich hier fest. Ich war kein einziges Mal zuhause. Habe mich sogar bei der Arbeit krank gemeldet, nur, um zu Proben. Ich habe jede Vorlesung verpasst und habe das Theatergebäude ewig nicht verlassen. Aber heute kann ich nach Hause. Denn die Generalprobe lief, abgesehen von der Konfrontationsszene, hervorragend. Und nachdem wir sie jetzt sieben mal fehlerfrei durchgespielt haben, erlöst uns Lillian endlich alle und entlässt uns, mit klaren Anweisungen, was unseren Schlaf, unsere Freizeitaktivitäten und unsere Stimmen betrifft, in unseren wohlverdienten Feierabend. In zwei Tagen ist die Aufführung. Der wohl wichtigste Tag für Lil. Während mein wichtigeser Tag bereits morgen ist. Denn morgen steht das Abschlussexamen an. Oder wohl eher die.  4 Prüfungen. Ein Tag.

Ich bin fix und fertig, als ich zum ersten Mal seit langem über meine Türschwelle trete und mich in mein Bett fallen lasse. Einen Moment lang fühlt es sich so an, als würden all die Antrengungen der vergangenen zwei Wochen einfach so aus meinem Körper heraus und in die Matratze sickern. Ich bin totmüde, kann aber nicht schlafen. Mein Kopf beginnt zum ersten mal seitdem ich für Lillian eingesprungen bin, wieder über andere Dinge nachzudenken, als Musikal. Über die Prüfungen. Über den Stoff. Meine Zukunft. Und mit einem Mal auch über ihn. Meine Gedanken schweben zurück zu unserer letzten Unterhaltung. Der Kuss. Was hat das zu bedeuten? Zwei Wochen lang habe ich kein Wort von ihm gehört. Ihn nicht gesehen. Ich habe meine Antwort. Es bedeutet, er will mich nicht. Mit diesem deprimierenden und zugleich ernüchternden Gedanken falle ich in einen unruhigen Schlaf mit wirren Träumen.

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