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"Sieh mich an." Ihr stechender Blick durchbohrt mich förmlich und zwingt mich dazu, den Kopf zu heben und in ihre müden, braunen Augen zu sehen. "Du kannst nicht...", sie schüttelt den Kopf, als wolle sie einen Gedanken abschütteln wollen und als sie weiter spricht ist ihre Stimme weicher als zuvor, doch noch immer klar und bestimmend: "Schätzchen, ich weiß, du hast dein Herz vor langer Zeit verschlossen und das war gut so, aber du bist jetzt erwachsen und es ist gut so, dass du endlich jemanden in dein Herz geschlossen hast, dass du es jemandem geöffnet hast." Sie streicht mir eine verirrte Haarsträhne aus der Stirn, legt ihre Finger unter mein Kin und drückt es leicht nach oben,  sodass ich sie wieder ansehe, sodass ich die Aufrichtigkeit in ihren und die Gefühle in ihren Augen sehen kann. "Ich weiß, dass es weh tut, wenn man jemanden in sein Herz geschlossen hat und sich derjenigen dann von einem abwendet . Es tut so unglaublich lange weh und es fühlt sich eine Ewigkeit lang so an, als würde der Schmerz nie vergehen. Es wird auch nicht das letzte mal sein, dass du dich wegen jemand anderem so dermaßen beschissen fühlst, aber genau dafür leben wir Jana! Um sich jeden Tag schwerelos und unbeschwert zu fühlen. Wir leben für jede einzelne Sekunde dieses Schmerzes, denn er lässt zu, dass wir uns an all die Hochs, an all die Glücksgefühle,  die ihm voraus waren, denken! Du darfst dich nicht wieder darin verlieren. Trotz all der guten Dinge und trotz all dem Schmerz darfst du nicht vergessen, wer du bist, du darfst nicht vergessen zu leben! Steh auf, mein Schatz, und lebe! Auch dir einen Weg ins Glück aber verlier dich nicht darin!" Kara zieht mich auf die Beine und obwohl ihr Tränen in den Augen schimmern, lächelt sie mich ehrlich an. "Such dir ein neues Abenteuer."

Eine Weile ist es still.
"Und wenn ich kein neues Abenteuer will? Wenn ich ihn will?", ich sehe verlegen und mit hoch rotem Kopf auf den Boden. "Du kannst nicht zurück Jana. Aber vielleicht findest du einen Weg, der dich wieder zu ihm führt...", sie zieht mich an sich, in ihre Arme und drückt mir einen Kuss auf die Stirn.  "Ich fahre jetzt zurück nach Hause und lege mich schlafen, denn es ist verdammt spät.  Und du...", sie sieht sich kurz um und grinst mich breit an. "...du holst dir endlich mal neue Möbel. Und komm weg von dem Kamin!" Noch bevor ich etwas erwiedern kann, ist sie schon wieder an de Haustür, winkt mir zum Abschied und geht.

Ich sehe mich in meinem leeren Haus um und fühle mich, in der mich umgebenden Stille unwohl. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es inzwischen halb eins ist. Kara hat recht, es ist verdemmt spät! Ich bin zwar müde, doch gleichzeitig auch so aufgekratzt, dass an Schlaf nicht zu denken ist. Ich hole mein Handy hervor und verbinde es via Bluetooth mit meinem Soraund System und schon wenige Augenblicke später halt "Bloodstream" durch jeden Winkel meines Hauses und vertreibt die Stille. Motiviert und mit einer ungewöhnlich großen Zerstörungswut fege ich langsam durch das gesamte Haus und "baue" die Möbel des Vorbesitzers mit Tritten auseinander. Raum für Raum wirbele ich wie eine Wahnsinnige passend zur Musik durch das ganze Haus und hinterlasse nichts weiter als einen Trümmerhaufen der früher mein Mobiliar war. Nichts bleibt verschont, sogar die Betten hab ich abgebaut und die Matratzen mit der Bettwäsche darauf auf den kalten Parkettboden gelegt. Ich habe das Gefühl, Die Zeit wäre stehen geblieben, als wäre die ganze Welt eingefroren und nur ich kann mich noch bewegen, nur ich bin noch frei. Das ich mich so fühle verdanke ich nur Kara. Noch heute bin ich jeden Tag dankbar dafür, dass sie mich zu sich geholt hat. Sie war anders, als alle anderen, die ich nach dem Tod meiner Eltern getroffen habe. Sie hat mir immer das Gefühl gegeben, bei ihr könnte ich sein, wie auch immer ich bin.

"Du kannst immer zu mir kommen Jana. Ich habe nur eine Regel: Ich möchte nicht belogen werden, okay?" Sie sieht mich lieb an aber auch, wie wenn sie mich gleich schimpft. "Ich lüge nicht Ma'am." Ich sehe sie verwirrt an. "Doch. Du lächelst, aber ich kann in deinen Augen sehen, wie traurig du bist. Du zeigst uns allen, wie tapfer du bist Jana, aber das musst du nicht. Sei traurig. Sei wütend. Sei nur kurz nicht tapfer. Du bist eine kleine Kämpferin aber kämpferinen müssen nicht immer tapfer sein. Es ist in Ordnung, wenn du schreien oder weinen willst. Kämpfer überleben einen Kampf, sie müssen nicht gewinnen."

Sie hat schon damals die richtigen Worte gefunden und sie findet sie noch heute. Und immer wenn sie sagt, es wird alles wieder gut werden, dann ist es, als hätten allein diese Worte und die Zuversicht in ihnen ausgereicht um die Gewitterwolken oder den Orkan über einem zu vertreiben. Sie ist der Grund, warum ich bin, wer ich heute bin. Denn sie hat recht. Damals und heute. Ich darf nicht immer nur dicht machen, sondern muss um die Dinge kämpfen. Ich habe zwar noch nicht die leiseste Ahnung wie ich um ihn kämpfen kann, aber ich will mehr als nur die Erinnerung an ein flüchtiges Abenteuer.

Teacher loveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt