Auf nach Deutschland

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Wehmütig betrachtete ich mein altes Kinderzimmer, in dem so viele Erinnerungen steckten. Nach 16 Jahren würde dies nicht mehr mein erster Rückzugsort sein.

Ich wusste jedoch sofort, dass es die richtige Entscheidung gewesen war. Besonders dann, wenn ich in die stolzen Gesichter meiner Eltern geschaut hatte.

Ich hatte es geschafft in das begehrteste Handballinterat Deutschlands zu kommen. Flensburg.

Doch ich musste dafür meine Familie, meine Freunde, ja sogar das Land verlassen.

Wenn ich an meine Eltern dachte und ihre Gesichter, als ich verkündet hatte den Platz erhalten zu haben -Das machte alles wett. Sie waren so stolz auf mich und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, ihren Erwartungen gerecht werden zu können.

Ich schnappte mir meine letzte Tasche und schritt nach draußen.

,,Hast du alles?'', fragte meine Mutter mich und ich genoss noch einmal die letzten Sätze Norwegisch zu sprechen. In Deutschland würde dies wohl erstmal nicht mehr möglich sein außer ich wollte schräge Blicke kassieren.

,,Wieso musst du gehen?'' Mein Bruder kam zu mir nach draußen gerannt und schlang seine Arme um mich. Am liebsten wollte ich ihn nie wieder loslassen.

,,Für'n Handball.'', versuchte ich mich zu erklären. Für Ciljan war das nicht einfach. Erst ging Sander und jetzt auch noch ich.

,,Sander ist schon weg! Dann bleib bitte du!'', versuchte er mich aufzuhalten. Es tat mir im Herzen weh, dass mein Bruder nun zum halben Einzelkind wurde.

,,Es tut mir leid.'', sagte ich leise und schaute zu meinen Eltern.

,,Du musst jetzt wirklich los, sonst verpasst du dein Flugzeug!'', half meiner Mutter mir aus der Situation. Sie kam zu mir und nahm mein Gesicht in ihre Hände. Der Muttergriff, wie ich ihn als 7 jährige getauft hatte.

Sofort fühle ich mich zurückversetzt in meine frühere unbeschwerte Kindheit, wo meine Mutter das ständig gemacht hatte.

Damals musste ich mir um nichts Gedanken machen und konnte mich treiben lassen. Doch seit einigen Jahren sah das etwas anders aus. Als meine Eltern in mir gesehen hatten, dass auch ich das Zeug dazu hatte Handballern als meinen Beruf ausüben zu können, fingen sie an mich zu fördern und sicherten mir die Unterstützung zu, die ich nach ihnen benötigte.

,,Vergiss nicht uns zu schreiben, wenn irgendwas ist, hörst du?'', forderte sie mich eindringlich auf. Ich nickte mechanisch und machte mir innerlich eine Erinnerung. Wenn ich das immer wieder vergaß würden meine Eltern wahrscheinlich durchdrehen und am besten noch im Internat anrufen, um zu prüfen, ob ich dort wirklich gut aufgehoben war.

,,Pass auf dich auf! Du wirst dich da durchbeißen, davon bin ich überzeugt.'', lächelte mein Vater und umarmte mich auch kurz. Das war für seine Verhältnisse ein höchst emotionales Verhalten. Mein Vater war schon immer jemand gewesen, der stets rational handelte und versuchte das beste aus allem und jedem rauszuholen.

Nur deswegen hatte ich das Probetraining bei dem Internat bekommen. Weil mein Vater die Kontakte hat spielen lassen.

Ich wusste nichts davon, bis mein kleiner Bruder mir erzählte, er hätte gehört wie unsere Eltern darüber sprechen würden.

Ich habe meine Eltern jedoch nie zur Rede gestellt.

Als ich im Taxi war und die Straße verlassen hatte, atmete ich erstmal tief durch. Nun würde ich meine Eltern erstmal nicht mehr wiedersehen. Doch komischerweise verspürte ich bei diesem Gedanken keine Trauer.
Ich vermisste nur meinen Bruder und meine Freunde.

-

Die Fahrt zum Flughafen Trondheim war nicht lang und so befand ich mich schon nach einer Stunde in einer riesigen Menschentraube wieder. Ich war kurz etwas überfordert, besann mich dann jedoch darauf, wie oft ich schon nach Deutschland geflogen war aufgrund meines lieben Bruders.

Die Umwelt hasste mich vermutlich, doch mir blieb nicht viel übrig, außer ich wollte 20 Stunden Auto fahren oder 30 Stunden reisen mit der Fähre.

Und so ging ich also im flotten Tempo durch den Flughafen und brachte die Kontrollen hinter mich, ehe ich am Terminal Platz nahm.

Während ich darauf wartete reingehen zu dürfen, ließ ich mich von Musik beduddeln.

Im Flugzeug hatte ich tatsächlich einen Fensterplatz zugeteilt bekommen und schaute dementsprechend 90% der Fahrt nach draußen. Die anderen 10% der Fahrt schaute ich verstohlen neben mich und stalkte meinen Nachbarn.

Was man eben alles so machte in einem Flugzeug.

In Hamburg musste ich dann vorerst meine Englisch Skills rausholen, weil mir deutsch noch absolut nicht lag und ich diese blöde Sprache irgendwie noch lernen musste. Meine Kenntnisse beschränkten sich auf Handball Vokabeln, die ich lernen musste und etwas Smalltalk. Beim Zuhören kam ich manchmal ich noch mit, aber sobald es ans Sprechen ging war ich raus.

Schau dir was von Sander ab, der hat schon in Paris Deutsch gelernt, kam mir Papas Anmerkung vor einigen Monaten in den Sinn. Bin ich froh, dass die nächsten Wochen erstmal keine Vergleiche mehr zwischen ihm und mir stattfanden.

Während ich auf dem Weg nach draußen war und noch etwas über meine Familie grübelte, dachte ich erst, dass ich halluzinierte. Am Eingang stand ein großer breiter Typ, braune Haare und mit Segelohren, der mir merklich bekannt vorkam.

,,Bist du echt?'' Mit einem breiten Grinsen ging ich auf meinen Bruder zu und spürte sofort wie sich seine Arme um mich schlangen und ich plötzlich den Boden unter meinen Füßen verlor.

,,Überraschung!''

Immer noch verwirrt betrachtete ich meinen Bruder.

,,Habe heute frei und deswegen konnte ich dich überraschen.'', grinste er und nahm mir sogleich einen Koffer ab.

,,Bringst du mich jetzt nach Flensburg?'', vergewisserte ich mich.

,,Klaro, so war der Plan.'' Ich nickte begeistert und war unendlich glücklich nicht in einem Taxi sitzen zu müssen, sondern bei meinem Bruder.

,,Müde?'', fragte er mich während ich mir ein Gähnen nicht unterdrücken konnte.

,,Etwas, der Flug hat sich in die Länge gezogen und neben mir hat der Typ die ganze Zeit mit einer Person geschrieben aber ich habe nicht rausfinden können worum es geht. Er war deutsch.'', erzählte ich von meinen Highlights in den letzten Stunden.

,,Da ging dann ja richtig die Post ab.'', stellte Sander fest.

,,Hast du schon wieder ein neues Auto'', fragte ich, als wir einstiegen und das Gepäck verstaut war.

,,Neuer Sponsor gleich neues Auto.''

,,Du meinst wohl: Sander gleich abgehoben.'', grinste ich und war froh nicht verlernt zu haben wie man am besten einen Sander Sagosen nerven konnte.

Moin, hier das erste Kapitel meiner neuen Geschichte :) Ich hoffe wirklich sehr, dass es euch gefallen hat und wäre dankbar über eure Kritik!

Under pressure. Everywhere. Nơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ