einfach nur weg

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Gedankenlos schaute ich an die Decke. Ich zitterte, obwohl mir nicht kalt war. Sander drückte meine Hand. Auch diese Nacht wich Sander nicht von meiner Seite.

,,Du musst ich beruhigen, Jonna.'' Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich schon wieder weinte und schnell ein- und ausatmete. Ich verstand meinen Körper schon lange nicht mehr.

Ich nickte und schaute in Sanders Gesicht, dass mich voller Sorge anschaute.

,,Ich kann hier keinen Tag länger bleiben.'', flüsterte ich erstickt.

Sander nickte nachdenklich, sagte jedoch nichts. Keine Ahnung, was er dachte.

Am nächsten Mühen wurde ich durch die unerträglichen Kopfschmerzen wach. Die gestrigen Erinnerungen prasselten auf mich ein und augenblicklich schlug ich erschrocken meine Augen auf. Dachte sofort, dass ich vollkommen übertrieben hatte.

Es war keine Überraschung gewesen, was mein Vater über mich dachte. Wieso also, war ich so dermaßen ausgetickt?

Scham kam in mir hoch, als ich Sander anschaute, der tief und fest schlief. Was musste er wohl gedacht haben, als seine Schwester wie eine Irre auf ihn eingeschlagen hatte?

Leise stand ich auf und machte das Fenster auf. Ich musste einen kühlen Kopf bekommen und brauchte frische Luft. Außerdem war mir unglaublich warm.

,,Was machst du da?'' Ich drehte mich um. Sander schaute mich mit halb geschlossenen Augen stirnrunzelnd an.

,,Wenn man Fieber hat, geht man doch nicht in die Kälte.'', nuschelte er und zog die Decke bis zu seinem Gesicht.

,,Es ist Eiskalt!''

Ich schritt zum Kleiderschrank und suchte mir Kleidung raus für den Tag.

,,Tue das nicht.'', sagte mein Bruder plötzlich. Verwirrt schaute ich ihn an. Was war denn jetzt schon wieder sein Problem? Ich war dankbar, dass er gestern für mich da gewesen war, aber in diesem Moment war mir sein Verhalten höchst fragwürdig.

,,Was?'', fragte ich deshalb.

,,Alles klein Reden! Erneut verdrängen! Du hast gesehen, wie das endet.'' Es war wie ein Schlag ins gesicht. Sander hatte wohl keine Hemmung über den vorherigen Tag zu sprechen, während bei mir eine absolute Sperre vorhanden war. Auf keinen Fall wollte ich auch nur ein Wort darüber verlieren.

Zu viel Scham.
Schwäche.

,,Du hast gesagt, du willst nachhause.'' Ich zuckte kurz zusammen. Wusste nicht, was ich antworten sollte.

,,Nicht mehr.'', flüsterte ich und schaute auf meine Pokale, die ich in der Jugend gesammelt hatte. Beste Spielerin der Saison. Des Turniers. All das zählte nicht mehr. Interessierte niemanden mehr. Wir waren solch eine schnelllebige Welt, mit dessen Tempo ich oftmals überfordert war.

,,Du musst dich ausruhen. In Ruhe! Das ist das Stichwort. Und die hast du hier nicht. Wir beide wollen doch, dass du zur Rückrunde fit bist. Ich hatte die Idee, dass wir zur Hütte fahren.. mit Ciljan. Für ein paar Tage. Vor Köln.'', überraschte Sander mich.

Ich war nicht abgeneigt von der Idee. Die Holzhütte lag im Wald am See, eine Stunde entfernt und war in unserem Besitz.

,,Magnus kann uns besuchen kommen.'', überlegte ich. Sander würde sich freuen, wenn die beiden gemeinsame Stunden beim Angeln haben konnten.

,,Wir haben genug Zimmer frei. Das sollte kein Problem sein. Also, was sagst du?''

,,Können wir machen.'', stimmte ich zu. Erleichterung durchströmte mich.

Sander sprach nicht mit mir, als wäre ich psychisch labil. Und, dass ich nicht mehr mit meinen Eltern zusammen leben musste. Der Gedanke, dass ich darüber froh war, ließ eine Gänsehaut negativer Art in mir hochkommen.

,,Ich rede mit unseren Eltern. Bin gleich wieder da.''

Ich nickte knapp und beobachtete Sander, wie er selbstbewusst den Weg zur Unseren Eltern suchte. Er schien überzeugt, dass meine Eltern zustimmten.

Ich hörte, wie es lauter wurde. Mein Vater und Sander diskutierten. Das taten sie selten, denn sie waren meist immer einer Meinung.

Es überraschte mich nicht, dass meine Eltern mich nicht beachteten, als ich zum Wagen schritt. Sander nahm mein Gepäck. Das Argument mit der Anstrengung würde ich wohl in den nächsten Tagen öfter hören. Er nannte unsere  Trip inzwischen eine Kur, sowohl für ihn, als auch für mich. Und Ciljan wollten wir einfach nicht alleine lassen, während wir es uns gutgehen ließen.

Dieser war Feuer und Flamme. Freute sich, auf einen Geschwisterausflug.

Ich stieg in das Auto und beobachtete mit einem Kloß im Hals, wie meine Eltern Sander und Ciljan umarmten. Erneut zerriss ein Teil meines Herzens, dass früher mal ganz gewesen war. Gesund, mit vielen schönen Erinnerungen mit meinen Eltern, die immer mehr verblassten. Stattdessen überwiegten die schlechten Erinnerungen. Anschreien. Enttäuschung. Druck. Die ganze Zeit Druck. Egal wann, egal wo. Was zählte war, den Erwartungen gerecht zu werden.

Sander und Ciljan rissen mich aus den Gedanken, als sie einstiegen.

,,Haben sie noch was gesagt?'', fragte ich leise und schaute nach draußen.

Sander schaute mich kurz an, ehe er mit einem schlichten Nein antwortete.

Ciljan sagte nichts, worauf ich schloss, dass sie logen. Vielleicht wollte ich auch gar nicht wissen, was sie gesagt hatten.

,,Ich will auf jeden Fall Schlitten fahren!'', kündigte Ciljan voller Freude an. Mein Herz erwärmte sich, als ich Ciljan im Rückspiegel beobachtete und ihn breit grinsend ansah.

,,Gute Idee!'', sagte ich motiviert. Das hatten wir früher immer gemacht, wenn wir dort gewesen war.

,,Du musst dich schonen.''

,,Ich sitze da doch nur drauf. Den Rest kannst du übernehmen.'', sagte ich säuerlich zu Sander.

Er sagte nichts mehr, doch es war sowieso nicht die Zeit, darüber zu diskutieren. Das konnte man dann machen, wenn es so weit ist.

Ich griff nach meinem Handy, um die Zeit etwas zu vertreiben.

Eine Nachricht von Tommi. Gespannt ging ich auf seine Nachricht und spürte, wie mein Herz schneller schlug.

Wollen wir nachher FaceTimen? Bisschen über Köln quatschen und die Vorfreude genießen ;)

Ich grinste und überlegte, wann und wo. Ich hatte keine Lust, dass Sander unser gesamtes Gespräch mitbekam. Glücklicherweise gab es jedoch genug Zimmer, sodass das kein Problem sein sollte.

Sehr gerne!

,,Warum grinst du denn so?'', fragte Sander und warf einen kurzen Blick auf mein Handy.

,,Tommi.. der Name sagt mir was.'', grübelte er. Ich verdrehte die Augen und hasste es, dass mein Bruder ganz genau wusste, wie er mich provozieren konnte. Geschwister halt.

,,Ah! Der Junge, den ich in der Stadt getroffen habe!'', fiel es ihm ein.

,,Standest du nicht auf ihn?''

Darf ich bitte ganz schnell weg? Einfach nur weg?!

Neues Kapitel :)

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