Pläne

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Die Dinge nahmen ihren Lauf. Meine Eltern hatten mit Sander lange telefoniert. Sehr lange sogar. Wahrscheinlich hatte er ihnen alles erzählt. Ich wüsste gerne, wie sie reagiert haben. Wenn es um Ciljan ging, schrillten schnell alle Alarmglocken.

Ich hatte mit Sander bislang nicht über den Inhalt des Gesprächs gesprochen. Wollte ich eigentlich auch nicht. Nur ein kleiner Teil in mir wollte wissen, ob meine Eltern endlich bereit waren, mich zu akzeptieren wie ich bin. Ansonsten würde ich zugrunde gehen. Da war ich mir sicher. Und deswegen verdrängte ich in dieser Hinsicht einfach alles.

Ich war in meinem Buch vertieft, saß eingewickelt in einer Decke auf der Veranda mit einem Tee.

Sander und Ciljan waren im Wald. Männersachen vollziehen, wie Ciljan sagte. Harald war am vorherigen Tag abgereist, weil er noch Zeit mit seiner Frau und seinem Kind verbringen wollte. Niko schlief noch. Time ebenso.

Mir fiel es schwer mich auf den Inhalt zu konzentrieren. Stattdessen fragte ich mich, wie es in meinem Leben weitergehen sollte. Ich brauchte den Handball, wollte nicht aufhören. Aber momentan war die Lust auf mein Team sehr gering. Beziehungsweise nicht vorhanden. Und ich brauche meinen Abschluss, der in Deutschland sehr schlecht ausfallen würde.

Mir fehlte jemand, der an mich glaubte. Mir sagte, dass ich stark genug dafür war. Meine Eltern, die mir Mut zusprachen. Eine einzelne Träne rollte über meine Wange, die ich schnell wegwischte. Weinen brachte nichts. Es ließ einen die Gefühle nur noch stärker fühlen.

Ich hörte, wie Sander und Ciljan wiederkamen.

,,Warum sitzt du hier draußen in der Kälte?'', fragte Sander direkt, als er mich sah und schaute mich entgeistert an.

,,Frische Luft schnappen.''

Sander schaute auf mein Buch und anschließend blickte er zu Ciljan.

,,Geh schon mal rein!'', forderte Sander unseren kleinen Bruder auf.

Ich begriff, worauf Sander abzielte. Er wollte mit mir über unsere Eltern sprechen. Augenblicklich wurde mir übel. Ich wollte nicht hören, wie enttäuscht meine Eltern von mir waren. Ich konnte einfach nicht.

Ciljan nickte und ich war mir sicher, dass er verstand.

Sander kam ruhig auf mich zu und setzte sich direkt neben mich. Er legte einen Arm um mich und zog mich an sich. Ich ließ mich still einlullen und atmete seinen vertrauten Duft ein.

,,Ich bin immer für dich da! Das verspreche ich dir!'', flüsterte er mir zu. ich ließ mich schluchzend auf meine Gefühle ein. Die extremen Gefühle, welche nur meine Eltern in mir auslösen konnte.

Am Abend hatten Niko und Sander beschlossen, dass es doch eine gute Idee wäre, Spiele zu spielen.

Ciljan war natürlich schnell zu begeistern. Ich eher weniger. Doch ich wollte auf keinen Fall ein Spielverderber sein. Rune hatte eine ähnliche Einstellung wie ich. Er konnte jedoch erst recht nicht Nein dazu sagen. Besonders deswegen, weil Sander und Niko so stolz auf diese Idee waren.

Als ich das Wohnzimmer betrat und Mensch ärgere dich nicht erblickte, fühlte ich mich in meine Kindheit zurück versetzt.

Ich beobachtete kurz alle Anwesenden und spürte ein vertrautes Gefühl in mir aufkommen. Es war schwer zu beschreiben, doch es ähnelte einem Gefühl, endlich angekommen zu sein. So etwas wie eine Familie zu haben. Auch, wenn ich wusste, dass es einer Familie längst nicht gleich kam, war ich mir sicher, dass jeder für den Anderen einstehen würde. Ich wurde akzeptiert.

,,Packen wir es an.'', hörte ich Rune neben mir leise sagen und er zog mich mit sich auf die letzten freien Plätze auf dem Sofa. Niko war neben mir, Ciljan und Sander waren auf dem anderen Sofa.

,,Das ist unser letzter Abend, also hauen wir rein!'', kündigte Niko motiviert an und würfelte. Ich dagegen hatte wohl kugelrunde Augen. Morgen? Morgen würden wir Abreise ?

Ich schaute unauffällig zu Sander, der mich bedrückt anschaute. Ciljan schien das zu wissen, denn er schaute nicht so verloren drein wie ich.

Ich kam mir in diesem Moment vor, als wäre ich ein kleines Kind, dass man nicht die Wahrheit sagen konnte. Ich wurde hintergangen von Sander. Tief im inneren war mir bewusst, dass Sander das Beste für mich wollte. Aber das war nun mal nicht die beste Option. Als 16 jährige wollte man die Wahrheit wissen.

,,Stimmt Niko!'', sagte ich laut und trank ein großen Schluck Wasser. Ich hatte keine Lust auf einen Aufstand, aber Sander sollte wissen, was ich von seinem Ansatz hielt. Gar nichts!

Ich linste zu der besagten Person und spürte, dass es ihm unangenehm war. Wir konnten schon als Kinder nur mit Blicken kommunizieren. Während wir uns selten gesehen hatten, war das etwas abgeflacht. Aber inzwischen waren wir darin wieder Meister. Eine Tatsache, die meine Wut augenblicklich wieder abflachen ließ. .

Ich versuchte mich auf mein Spiel zu konzentrieren und bekam augenblicklich einen Lachanfall, als ich sah, wie Niko beinahe Sander angesprungen hätte, der seine Figur vorm Ziel rausgeworfen hatte.

,,Hattest du eigentlich nur Sechsen?'', fragte ich verwirrt.

,,Tatsächlich ja! Hast du das nicht mitbekommen?'', fragte Niko verwirrt und enttäuscht zugleich.

Ne, ich musste erstmal realisieren, dass wir morgen früh wieder nach Deutschland fahren, Niko!

Doch das hielt ich lieber für mich.

Nach dem Spiel suchte ich Sander und fand ihn in seinem Zimmer. Er lag schon im Bett und war nur noch am Handy.

,,Mir wem schreibst du?'', fragte ich und lehnte mich an den Türrahmen.

,,Mit Hanna!'', sagte er konzentriert. Mir fiel auf, dass Sander sie mit keinem Wort erwähnt hatte.

,,Alles ok bei euch?'', fragte ich direkt.

,,Ja, eigentlich schon.'' Sander seufzte und legte sein Handy beiseite. Also nein.

Ich betrat nun sein Zimmer und ließ mich auf die zweite Betthälfte fallen.

Paradox, denn eigentlich war dieser Platz Hanna vorbehalten.

,,Eigentlich?''

,,Wir möchten ein Kind zu kriegen.'', hörte ich Sander so leise sagen, dass ich dachte, mich verhört zu haben.

Ich riss freudig meine Augen auf und umarmte Sander aufgeregt.

,,Was ist denn das Problem?'', fragte ich unverständlich.

,,Sie spielt noch immer Handball. Und danach wird Schluss sein.''

Sander war richtig bedrückt und er tat mir wirklich leid. Ich legte meinen Arm um ihn und nickte verstehend.

,,Ich verstehe.'', sagte ich leise.

,,Tut mir leid wegen morgen. Aber ich weiß selbst noch nicht, wie wir uns organisieren sollen.''

,,Wenigstens bist du jetzt ehrlich- ich bin 16. keine 12.''

,,Ich habe eigentlich schon längst entschieden, dass wir ohne sie nochmal zu sehen nach Kiel fahren. Du wohnst dann bei mir bis zum Final Four. Ich gehe zum Training und du kannst bei mir die Tage entspannen. Was hältst du davon?''

Ziemlich viele Infos auf einmal. Jedoch verwunderte mich sein Vorschlag nicht. Es gab auch nur wenige Alternativen. In das Internat wollte ich nicht zurück. Da wäre ich die Einzige, weil alle bei ihren Familien sind.

,,Gute Idee.'', murmelte ich, doch konnte mich nicht begeistern.

,,Ich weiß.''

Ja, wir beide wussten: keine Idee der Welt war perfekt, wenn man in einer Familienkrise steckte, die drohte, nicht zu Ende zu gehen.

Zur Überraschung ein weiteres Kapitel :) ich habe nun endlich eine gute Idee für den Schluss, aber keine Sorge: das dauert noch bis dahin :D

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