Ehrlichkeit

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Ich hatte schlecht geschlafen. Das war nicht weiter verwunderlich, denn am Abend hatte ich erfahren, dass die Trainer bei Willy antanzen mussten. Kein gutes Zeichen.

Ich betrat zögerlich die Halle. Einige waren schon da und unterhielten sich leise. Ich folgte ihren Blicken.

Überrascht schlug ich meine Augen auf, als ich sah, wohin sie alle verstohlen schauten. Ella.

Sie unterhielt sich mit den Trainern. Ihr Knie trug eine Schiene und sie hatte Krücken bei sich. Der Anblick war furchtbar.

Trotzdem war ich froh, dass sie da war.

,,So, alle herkommen!''

,,Ella ist heute zu Besuch.'', sagte Thomas, obwohl wir alle es schon längst gesehen hatten.

,,Hi ihr Lieben.'' Sie winkte in die Runde und brachte ein kleines Lächeln zustande. Es fiel mir schwer zurück zu lächeln, denn ich spürte, dass es ihr nicht gut ging.

,,Wir werden uns heute zusammensetzen und ich will von jedem hören, was er 24 Stunden nach dem Spiel zu sagen hat. Ihr hattet genug Zeit das Spiel zu reflektieren, also erwarte ich von jedem einen Kommentar.''

Erwartungsvoll schauten die Trainer jeden von uns an.

Mein Kopf spulte durch, was ich zu sagen hatte. Doch irgendwie war ich nicht drauf vorbereitet und wusste nicht, was ich sagen sollte.

Ich richtete meinen Blick auf Rike, die als erste sprach.

,,Zu meiner Leistung kann ich sagen, dass ich weiß, dass die Abwehr scheisse war und ich einen Anteil daran habe. Es tut mir leid, dass ich meine Leistung nicht abgerufen habe.'' Rike schaute betreten auf den Boden und obwohl ich nicht viel für sie übrig hatte, tat sie mir in diesem Moment leid.

Johanna war die Nächste, welche sprach. Es ging der Reihe nach und bei jedem spürte ich die Ehrlichkeit und den Frust heraus. Klar, wir waren alle Sportlerinnen und wollten jedes Spiel gewinnen. Nach drei Spielen dümpelten wir im Mittelfeld der Tabelle herum.

,,Cassi, du bist an der Reihe.''

,,Wir müssen ehrlicher zueinander sein. Sagen, was wir voneinander fordern. Sonst kann das nicht funktionieren. Kein Reden hinter dem Rücken mehr.'' Das war die erste Aussage, welche ich jemanden nicht abkaufte.

Sie redete doch immer hinter meinem Rücken. Sie schwafelte doch bloß ihre Meinung dahin.

,,Ok, die weiter.''

Nun war ich an der Reihe. Tausend Sachen schwirrten mir durch den Kopf, doch ich konnte sie nicht sortieren.

,,Ich.. es tut leid mir die rote Karte. Aber ich nicht bin schuld für die Niederlage.'', begann ich mich zu rechtfertigen, spürte jedoch, das das nicht der richtige Ansatz war.

,,Ich weiß, dass ich rede wenig. Deutsch ist schwer. Und ich weiß, dass ich bin nicht so gute wie eure ehemalige Mitte Spielerin.''

Mein Herz schlug mir bis zum Hals, weil es das erste Mal war, dass ich zu allen sprach und die volle Aufmerksamkeit hatte. War der Moment nicht gekommen?

,,Und da ist noch was..'' Mir war richtig übel. Doch Geheimnisse störten die Stimmung und gefährdeten den Erfolg, der über allem stand. Das war nun mal so.

,,Ich nichts gesagt habe, weil ich wollte keine Aufmerksamkeit und normal behandelt werden.''

Ich spürte verwirrte Blicke auf mir liegen. Die Trainer dagegen schauten mich wissend an und nickten mir kaum merklich zu.

,,Sander Sagosen- er.. er ist mein Bruder.'' Die Bombe war geplatzt. Ich konnte nicht glauben, dass ich es gesagt hatte.

,,Oh mein Gott.'', flüsterte Johanna. Die gesamte Mannschaft schaute mich ungläubig an.

,,Ihr seht auch so ähnlich.'' Cassandra hatte die Hand auf ihr Gesicht liegen und schaute mich mit großen Augen an. So wie alle anderen auch, wie ich mit einem unsicher feststellte.

Ich war mir nicht sicher, ob ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Aber es war raus und ein riesiger Stein fiel gerade von mir ab.

,,Wusstet ihr das?'', fragte Ella die Trainer. Diesen nickten.

,,Wir hatten gehofft, dass du es bald sagst. Aber wir konnte das nicht tuen, das ist nicht unsere Aufgabe.'', sprach Thomas.

Ein Teil in mir hoffe, dass nun auch Cassandra die Wahrheit auf den Tisch legen würde. Doch leider blieb sie still.

Die Runde war beendet und nun sollte Ella noch was sagen.

,,Ich find es gut, dass wir offen miteinander reden. Das ist wichtig und richtig. Warum ich hier bin ist aber nicht nur das Spiel.'' Ella schaute plötzlich so traurig aus, dass ich Gänsehaut bekam. Was wollte sie dann hier? Ein ungutes Gefühl überkam mich.

,,Die Ärzte sagen, dass es zu gefährlich ist, wenn ich weiter spiele. Ich werde das Internat verlassen.'' Ella wirkte erstaunlich gefestigt, doch jeder wusste, dass sie das nur war, damit sie nicht komplett zusammenbrach.

Mein Kopf war leer.
Und er blieb es auch für die nächste Zeit.

Ellas Verletzung führte mir vor Augen, wie gefährlich unsere Sportart für unseren Körper war. Und wie schnell alles vorbei sein konnte.

Ich spürte beim Training in den nächsten Tagen, wie mir der Antrieb fehlte. Die Gründe weshalb ich den Sport so liebte, waren nicht mehr sichtbar für mich.

Es war interessant zu sehen, dass jeder anders mit der Nachricht umging. Viele schöpften neue Motivation, andere waren ruhig und in sich gekehrt. Ich dagegen war frustriert und unmotiviert.

Den Kraftraum hatte ich lange schon nicht mehr gesehen. Genauso gehörte mein vorbildhaftes Essverhalten der Vergangenheit an. Ich sah einfach nicht mehr den Sinn darin, die ganze Arbeit da reinzustecken. Wofür auch?

Meine Eltern waren beim letzten Telefonat der festen Überzeugung, dass ich nun Stammspielerin wurde und mich beweisen musste. Sie erwähnten mit keinem Wort die letzten Spiele.

Sander war voll im Spielbetrieb und wir hatten wenig Kontakt was mir ganz recht war. Seine Leidenschaft für den Handball.. wenn ich die sah, würde mir nur noch mehr vor Augen geführt werden, was ich für ein Versager war.

,,Jonna! Wenn du jetzt nicht aufpasst, fliegst du raus.'' Ich zuckte zusammen und schaute zu Thomas, der energisch zur Tür zeigte. Ich nickte betreten und versuchte die Übung endlich fehlerfrei auszuführen.

,,Das wars! Jonna!'' Ich schaute zu Thomas, der mich zur Seite nahm.

,,Was ist los, verdammt? Dir ist schon bewusst, dass du gerade unsere einzige Mitte bist!'' Fassungslos schaute er mich an.

Ich nickte bloß. Sie hatten zu hohe Erwartungen an mich, welchen ich nicht gerecht werden konnte. Wann verstanden die das endlich?

,,Du gehst jetzt bitte und wirst dir erstmal im Klaren.''

Es war demütigend, als ich die Halle als Einzige verließ und die ganzen Blicke spürte, die sich in mein Rücken bohrten.

Ich ging schnurstracks in mein Zimmer und ließ mich ausgelaugt auf mein Bett fallen.

Ich begann meine Entscheidung, hier zu sein, wirklich zu hinterfragen.

Neues Kapitel :)

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