Enttäschung

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Ich fühlte mich wie taub, als ich im Zimmer von Willy saß. Die Trainer standen an der Wand gelehnt mit verschränkten Armen an der Seite. Willy saß kerzengerade auf seinem Stuhl und wirkte längst nicht mehr so aufgeschlossen und entspannt wie bei unserem ersten Treffen.

,,Erstmal erzählst du jetzt die Geschichte von vorne bis hinten.'', forderte Willy. Ich konnte nicht verhindern, dass meine Augen sich weiteten, denn darauf war ich nicht vorbereitet. Stattdessen hatte ich unzählige verschiedene Entschuldigungen parat.

Ich fühlte mich wie ein Zeuge bei einem Verhör und hatte das Gefühl, dass sie ganz genau wussten, dass ich nicht alleine weg gewesen war. Stattdessen wollten sie wissen, wer dabei war.

,,Ich bin um halb zehn losgefahren mit dem Bus... war dann in einem Club, Namen weiß ich nicht. Um 3 habe ich den Zug.. Äh sorry ich meinte Bus, verpasst und bin zu Fuß Nachhause. Und dann war ich um halb fünf oder so Zuhause.''

,,Halb sechs.'', verbesserte Thomas mich.

,,Warst du alleine?'', fragte Lars stirnrunzelnd und schaute mich mit Adleraugen an.

,,Ja.'' Ich schaute auf die Bücher von Willy. Finanzen, was war denn das? Egal, trotzdem interessanter.

,,Sie lügt.'', seufzte er. Meine Augen huschten zu Thomas, der mich auffordernd anschaute.

,,Ich kann doch jetzt niemanden verraten.'', murmelte ich niedergeschlagen.

,,Hör mal: Das ist eine ernste Sache! Wenn diejenigen von uns keine Ansage bekommen, machen sie es immer wieder, denn das hier ist ein freies Internat. Aber sie müssen sich bewusst werden, was für ein Risiko sie damit eingehen, wenn sie erwischt werden.'' So wie ich. Mir fiel es schwer ruhig zu blieben. Ich wollte endlich wissen, was mir bevorstand. Meine Hände krallten sich an die Lehnen.

,,Du willst wissen, was mit dir passiert, stimmt's?'' Willy schaute mich wissend an. Ich nickte knapp.

,,Ich will ehrlich zu dir sein: ich hätte dich rausgeworfen. Aber die Trainer hatten einige Gegenargumente. Das wichtigstes: du bist unsere einzige Mitte.'' Ich konnte mir nicht verkneifen, erleichtert auszuatmen. Die Trainer schienen nicht begeistert, dass Willy mir so viele Einzelheiten erzählte, das spürte ich.

,,Dafür sind die Strafen umso härter.'' Ich schluckte. Was für Strafen waren denn so schlimm?

,,Du übernimmst nach der Schule Küchendienst. Außerdem muss ich dich zwei Wochen suspendieren aus der Mannschaft, alles andere wäre unverhältnismäßig. Deine Eltern wissen selbstverständlich schon alles.'', hing er die wichtigste Antwort ran, auf welche ich die ganze Zeit gewartet hatte.

Die Strafen waren mir egal. Das ging vorbei. Aber ich wusste schon jetzt, dass die Enttäuschung meiner Eltern für immer blieb.

,,Und nun erziehst du uns, wer dabei war.'' Ich hörte an Willys scharfem Ton, dass er keine Widerrede duldete.

,,Fast alle glaube ich.'', sagte ich vage.

Die Trainer zogen die Luft ein. Ich wusste, dass das es Konsequenzen für uns als Mannschaft im großen Ausmaß hatte.

Die Anspannung ließ mich leider nicht los.

Ich wartete auf die Reaktion meiner Eltern, sowie der Mannschaft und wusste nicht, wie ich Schule, Küchendienst und Training bewältigen sollte.

Dieter am nächsten Tag stand ein Training an. Ich war zwar deutlich entspannter als vorm letzten Training, doch ich fürchtete mich vor der Reaktion der Mitspieler. Nur meinetwegen würden sie Ärger bekommen.

Die Trainer hatten mir unter sechs Augen gesagt, dass ich zum ersten Training dabei sein sollte, wenn sie mit uns sprechen würden. Danach würden dann die zwei Wochen gellten.

Ich wusste, was sage beabsichtigten: Alle aus der Mannschaft sollten dabei sein, doch ich war gefühlsmäßig gar kein Teil. Deswegen wäre ich auch am liebsten diesem Training ferngeblieben.

Ich ging mit hängenden Kopf in die Halle. Ich schämte mich eine Sagosen zu sein. Ich hatte den Familiennamen beschmutzt. Ich war mir selbst nicht treu geblieben. Was hatte ich mir bloß dabei gedacht?

,,Alle herkommen!'' Ich trottete gemeinsam mit den anderen zu den Trainern. Während die anderen dachten, dass wir nun wie immer trainieren würden, wusste ich, dass uns etwas gänzlich andere bevorstand.

,,Wer war vor zwei Tagen nachts unterwegs?'', fragte Thomas geradewegs heraus. Meine Augen huschten zu den Mädchen. Diese blieben erstaunlich ruhig.

,,Also?''

,,Wie kommst du darauf?'', fragte Rike und ihre Tonlage machte mich innerlich aggressiv.

Ich schluckte und schaute zu den Trainern, die bloß den Kopf schüttelten.

,,Darum geht es nicht! Raus mit der Sprache!'', schrie Lars wütend und schaute jeden von uns an.

Ziemlich gleichzeitig hoben sich einige Hände. Meine ebenso.

,,In der Saison, zwei Tage vorm nächsten Spiel!'', fassungslos schauten Thomas und Lars uns an.

,,Du auch?'', fragte Thomas an Cassandra gewandt. Zum ersten Mal fühlte ich etwas Genugtuung. Ich hatte das Gefühl, dass sie zum ersten Mal nicht im guten Licht stand.

Cassandra blieb stumm. Wie alle anderen auch.

,,Los, einlaufen! Geht mir aus den Augen.'' Thomas seufzte. Die Trainer hatten sich eine geringere Anzahl an Händen gewünscht und sie waren enttäuscht- das war unübersehbar.

Was hatten wir uns bloß dabei gedacht? Zwei Tage vor einem Spiel?- Das war die Frage, welche mich das Ganze Training begleitete. Das letzte, bevor ich zwei Wochen Pause vom Handball hatte.

Die nächste Reaktion der Horoor Nacht ließ nicht lange auf sich warten. Ich durchquerte das Gelände vom Küchedienst kommend- zum Bett gehend, als ich bekannte Personen auf einer Bank am Eingang sitzen sah.

Meine Eltern.

Ich versuchte ruhig zu bleiben, aber ich wusste, was mir bevorstand. Eine Predigt höchten Maßes gemischt mit Wut und Enttäuschung. Und letzteres war das Schlimmste für mich.

,,Hallo.'', sagte ich und war kurzzeitig erstaunt, dass ich überhaupt wusste, was hallo auf norwegisch heißt.

,,Jonna.'' Meine Eltern nickten mir kurz zu, aber ansonsten war keine Regung zu erkennen. Man musste kein Psychologe sein, um zu sehen wie zerstört meine Eltern von meinem Verhalten waren.

,,Party machen? Ernsthaft? Bei deiner Leistung? Findest du das passt zusammen?'' Trotz der wenigen Wörter fing  mein Herz an zu stechen, denn darin steckte so viel drin.

Ich war die Tochter, welche versagt hatte. Meine Chance hatte ich nicht genutzt.
Ich hatte den Namen Sagosen durch den Dreck gezogen.
Ich bin ein Nichtsnutz

,,Nein.'', sagte ich nur, denn nichts anderes brachte ich zustande, obwohl es meine Landessprache war.

,,Nimm dir doch endlich mal ein Beispiel an Sander! Wieso konntest du nicht auch seine Gene vererben?'' Meine Mutter schaute mich verzweifelt an. Sie verstand wohl nicht, wie tief der Stachel saß bei dieser Thematik. Für mich war das wichtigste die Anerkennung meiner Eltern gewesen.

Ich war nicht in Flensburg, um Profi zu werden. Das war nie mein Traumziel gewesen. Ich wollte einfach nur akzeptiert werden. So wie Sander.

,,Du hast bis Weihnachten Zeit, um uns das Gegenteil zu beweisen.'' Meine Lippen pressten sich zusammen. Meine Eltern standen auf und benommen schaute ich ihnen nach.

Als sie weg waren ließ ich mich schluchzend auf der Bank nieder. Ich fühlte mich so alleine, wie lange nicht mehr.

Etwas länger her- aber Schule hat wieder angefangen (Letztes Jahr😮)

In welche Klasse geht ihr so bzw was macht ihr nach der Schule?

Under pressure. Everywhere. Where stories live. Discover now