Familientreffen

352 16 18
                                    

Ich betrat das Trainingsgelände permanent mit einem flauen Gefühl im Magen. Inzwischen war ich es beinahe gewohnt, doch das unablässige Getuschel und die Blicke, an die konnte ich mich nicht gewöhnen und ich hatte die Hoffnung, dass das irgendwann abflachen würde.

Doch solange die Zicken alias Cassi und Lissi das ganze zusätzlich antreiben, wusste ich nicht, wie ich gegen an kämpfen sollte.

Sie waren gestandene Spielerinnen, schon lange im Verein und machten keine Fehler. Ich dagegen war neu, sprachlich eingeschränkt und hatte mich bisher vor ihnen nicht gerade von meiner besten Seite gezeigt.

Viel konnte ich also nicht ausrichten. Deshalb hatte ich meinen Fokus ausschließlich auf den Handball gerichtet.

Sanders Geburtstag rückte näher und näher. Wir hatten seit dem letzten Telefonat keinen Kontakt mehr gehabt. Mir graute es vor unserer ersten Begegnung. Normalerweise schrieben wir alle paar Tage, doch Sander schien nicht gut auf mich zusprechen zu sein. Oder er wollte mir ein schlechtes Gewissen machen, woran man als Geschwisterkind immer Spaß hatte.

,,Ich verstehe gar nichts mehr in Deutsch.'', seufzte ich und schaute an die Tafel. Die letzten beiden Stunden vor der Klausur.

,,Ich meinte doch schon, dass ich dir helfen kann.'', kam es von Tommi.

,,Ne ne, ich schaffe das schon.'' Ich versuchte etwas Abstand von ihm zu gewinnen. Seit dem Schock, den ich von Ellas und seiner Beziehung erlitten hatte, war mir das lieber.

Ich hatte von Maxi erfahren, dass Tommi
sich von ihr getrennt hatte und sie wahnsinnig gelitten hatte.

Ich hörte Tommis Seufzen. Er bemerkte, dass ich auf Distanz ging, doch konnte sich das bestimmt nicht erklären. Es tat mir leid, doch es war besser so.

Der Handball war das einzige was zählte.

Nervös betrat ich das Auto meiner Eltern. Sie holten mich ab, um dann direkt zu Hanna und Sander zu fahren.

,,Jonnaaaa!'', schrie mein Bruder durch das Auto, sodass meine Eltern das Gesicht verzogen.

Das konnte eine lange Autofahrt werden..

Es war ewig her seit ich das letzte mal bei Sander in Kiel gewesen war. Ich liebte seine Wohnung direkt am Wasser und ich würde alles dafür geben, auch später am Wasser leben zu dürfen. Für mich war die Wassernähe so wichtig, wie für andere die Luft zum Atmen. Deswegen war ich auch nach Flensburg gegangen und nicht nach Leipzig oder Berlin. Und natürlich weil Sander nur eine Stunde von mir entfernt lebte.

,,Wer kommt noch alles?'', fragte ich, während mein Vater einparkte.

,,Rune und Stine.'' Ich nickte mit Vorfreude. Die beiden waren wundervolle liebe Menschen, mit denen ich mich immer sehr gut verstanden hatte. Vielleicht würde es gar nicht so schlimm werden, wie ich es mir vorgestellt hatte. Sander war kein nachtragender Mensch und ich hatte ein kreatives Geschenk, was seine Laune heben könnte.

,,Alles Gute zum Geburtstag!'', riefen wir im Chor als Sander die Tür öffnete.

,,Danke, Danke!" Sander umarmte meine Eltern und Ciljan, ehe ich vor ihm stand.

,,Eh, alles gute alter Bruder" Zögerlich umarmte ich Sander, weil ich seinen Blick nicht deuten konnte. Ich war erleichtert, als er meine Umarmung erwiderte. Alles war wieder gut, dachte ich.

Ich half Hanna in der Küche bei der Vorbereitung des Essens. Es gab Fisch und bei dem Geruch lief mir schon das Wasser im Mund zusammen.

,,Und ist alles gut bei dir?'' Hanna schaute mich neugeurig an und mir wurde sofort klar, dass Hanna über unsere Auseinandersetzung Bescheid wusste.

,,Ja, alles gut.'', lächelte ich distanziert und verließ die Küche, um die Kartoffeln auf den Tisch zu stellen.

Ich setzte mich zwischen Rune und Ciljan hin und bediente mich an allerlei Leckereien. Am Ende des Tages würde ich wohl rollen.

,,Und wie läufts so in Flensburg?'', fragte Rune mich, mit welcher Frage ich selbstverständlich gerechnet hatte.

,,Sehr gut.''

,,So gut, dass du Flensburg Fan wirst?'', fragte Rune mit einem schockierten Unterton.

,,vielleicht!'', grinste ich diebisch.

,,Und wie benimmt Sander sich so bei euch? Ich hoffe er kriegt keine extra Wurst.'' Ich sprach extra laut, sodass Sander, der gegenüber von mir saß, alles mitbekam.

,,Ganz bestimmt kriege ich keine extra Wurst! Im Gegenteil!'', behauptete Sander.

,,Naja also er hat schon einige Marotten.'', provozierte ihn Sander weiter. Rune und ich kannten da keine Gnade und liebten es Sander auf die Palme zu bringen.

,,Ohje, ich schäme mich für meinen Bruder.'' Theatralisch seufzte ich auf.

Sander schaute uns beide leicht verstört an, ehe er den Kopf schüttelte und sich wieder seinem Essen widmete. Rune und ich grinsten uns an und ich konnte mir einen kleinen Lacher nicht verkneifen.

Meine Laune war gerade auf dem Höhepunkt, da kam wieder das Thema Flensburg auf und sofort spürte ich wieder eine Last auf den Schultern.

,,Ist das nicht alles voll stressig? Schule und Handball?'', fragte Stine mich. Ich spürte die Blicke aller auf mir und versuchte mir meine Gefühle nicht anmerken zu lassen. Gott sei Dank konnte ich das gut.

,,Es geht.. morgen schreib ich eine Deutsch Klausur und Freitag eine Klausur in Geschichte.'' In dem Moment war ich froh, dass wir Englisch redeten.

Doch wer meine Eltern kannte, wusste, dass sie nicht locker lassen würden. Wenn sich die Chance ergab, etwas über das Traumleben ihrer Tochter zu erfahren, dann nutzen sie dies gerne aus.

,,Und kannst du die Texte schon auf Deutsch verfassen? Ansonsten ist das schwierig mit der deutsch Klausur morgen.'', äußerte mein Vater sich. Mein Hände wurden schwitzig, weil er so perfekt ins Schwarze getroffen hatte. Ich schaute in die Augen meiner Eltern, die mich voller stolz anschauten, sodass es mich beinahe erdrückte.

Nur mit Mühe schaffte ich es einen plausiblen Satz zustanden zu bekommen: ,,Anfangs war es schwierig, aber inzwischen geht es. Die Lehrer sind nett und berücksichtigen das.''

,,Und ist die Mannschaft nett?'', fragte Hannah.

,,Ja, auf jeden Fall! Ich fühl mich dort echt wohl.'' Ich konnte nicht verhindern, dass ich mich einmal räuspern musste. Es war schrecklich meine Familie anlügen zu müssen, doch was blieb mir anderes übrig? Unmöglich konnte ich meinen Eltern die Wahrheit sagen. Es war ein wundervolles Gefühl zu wissen, dass die Eltern stolz auf einen waren. Besonders, weil sie immer mehr an Sander als an mich geglaubt hatten.

Ich schaute zu Sander, der mich zwar auch anlächelte, jedoch konnte ich sehen, dass es nicht seine Augen erreichte.

War doch nicht alles gut zwischen uns und er wollte bloß keine Szene vor unserer Familie machen?

Under pressure. Everywhere. Where stories live. Discover now