Chaos der Gefühle

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Ich startete mit einer neuen Chance in den Alltag. Wahrscheinlich die letzte Chance, wenn es nach meinen Eltern und der Leitung geht.

Deswegen versuchte ich am Ball zu bleiben. Das war das Einzige, was mir geblieben war.

Aber irgendwie war die Kluft zwischen der Mannschaft und mir nur noch gewachsen. Ich spürte, dass sie eine Ahnung hatten, woher die Trainer es wussten. Wissen konnten sie es jedoch nicht, und das war der einzige Grund, weshalb ich nicht durchdrehte.

Ich marschierte zur Küche, bei der ich nun meine zweite Schicht hatte. Nebenbei fragte ich mich, wie lange das so weiter gehen sollte. Hatten sie mir gesagt, wie lange ich das machen sollte?

,,Aua.'', fluchte ich, als plötzlich jemand voll in mich reinlief. Es schepperte und ich wich erschrocken zurück, als ich die ganzen Scherben vor mir liegen sah.

Keine gute Idee. Scherben fliegen weit. Sehr weit.

,,Verdammte scheisse.'', fluchte ich auf norwegisch, als ich den Schmerz in meinem Fuß wahrnahm.

,,Shit.'' Mein Kopf fuhr kurz hoch, als ich Tommis markante Stimme erkannte.

,,Zeig mal her!'' Blöderweise hatten meine Schuhe so eine dünne Sohle, dass sich die Scherbe einfach eiskalt durchgebohrt hatte.

Tommi schaute mich entschuldigend. Ich stütze mich hilflos an der Wand ab. Es tat richtig weh, verdammt nochmal! Sowas passierte mir natürlich nicht beim Training, sondern in der Freizeit..

,,Die muss raus.'' Tommi nahm mein Fuß in die Hand und zog mir vorsichtig den Schuh aus.

,,Was ist denn hier los?'' Sandra, die Chefin der Küche, erschien in unserem Sichtfeld und schaute sich das Szenario stirnrunzelnd an.

,,Ich bin in eine Scherbe getreten.'', sagte ich seufzend.

,,Ab zur Krankenstation mit dir!''

,,Wo ist das?'', fragte ich nach, während ich versuchte meinen Fuß etwas zu belasten.

Keine gute Idee!

Ich fluchte und stützte mich an der Wand ab.

,,Tommi, hilf ihr jetzt bitte mal! Ich mache das weg! Geht nun! Los, ab mit euch!'' Sandra fuchtelte mit den Händen zum Ausgang. Sie war eine wirklich lebhafte Person.

,,Komm!'' Tommis Arme legten sich auf einmal an meinen Rücken und meine Kniebeugen und plötzlich schwebte ich in der Luft.

,,Ich mich fühl wie Kind.'', murmelte ich.

Ich war so ein Tollpatsch.

,,Ich find das eigentlich ganz süß.'' Ich ignorierte seinen Kommentar und versuchte stattdessen meine angespannten Muskeln zu lockern.

,,Bin ich nicht etwas zu schwer für dich?''

,,Du wiegst doch nichts.''

,,Hä gar nicht!'', widersprach ich trotzig, während Tommi zügig voran schritt.

,,Normalerweise freuen Mädchen sich über sowas.''

,,Ich bin aber nicht Cassandra!'', rutschte es mir raus. Ich klang wahnsinnig eifersüchtig und zickig. Er hatte schon echt viele Freundinnen gehabt. Leonie, Cassandra..

Tommi zuckte kaum merklich zusammen.

,,Nerv mich nicht mit der.'', sagte er distanziert und ich spürte einen wunden Punkt getroffen zu haben. Trauerte er ihr etwa nach?

Nur blieb keine Zeit länger darüber nachzudenken, denn Tommi setzte mich vorsichtig ab, um die Tür vor uns zu öffnen. Ich hüpfte zur Liege, wo ich zu allererst meine inzwischen rote Socke auszog. Lecker.

,,Und nun?'', fragte ich Tommi, der sich kurz umsah.

,,Ich war hier zum Glück noch nie, aber ich werde mal jemanden suchen.'' Tommi verschwand eilig und ließ mich alleine zurück. Wie nervig konnte mein Leben noch werden?

Mein Fuß pochte und brannte und ich fühlte mich wahnsinnig eingeschränkt. Etwas, was ich überhaupt nicht leiden konnte.

Kurze Zeit später hörte ich Stimmen und eine Frau, die wohl Ärztin war, erschien.

,,Hallo Jonna, ich bin Leona. Du kannst mich dutzen, machen ja alle hier.'' Sie schüttelte mir lächelnd die Hand. Ihr Lächeln verschwand jedoch, als sie meinen Fuß anschaute.

,,Dein Freund hat mir schon erzählt, was du angestellt hast.''

Zu diesem Zeitpunkt bekam ich ihre Anspielung gar nicht mit, zu sehr war ich auf ihre Hand fixiert, die sich meinem Fuß gefährlich näherte.

,,Ich will nur kurz anschauen, ob alles von der Scherbe raus ist.'' Ich nickte etwas ängstlich. Mir war das gerade definitiv zu viel Blut.

,,Du hast Glück, dass keine Arterie getroffen wurde und du nicht so stark blutest.'' Das sollte nicht stark sein?

Ich beobachtete genau wie sie meinen Fuß untersuchte. Da kam mal wieder der Kontrolleur in mir durch. Ich hasste es, wenn ich nicht wusste, was man an mir machte oder tat. Ich wollte an meinem Körper die Kontrolle halten. Mir war aber natürliche klar, dass das in diesem Fall keine gute Idee war, mir das Zepter zu überlassen.

,,Du bist ganz blass.'' Ich schaute kurz zu Tommi, der mit verschränkten Armen an der wand lehnte. Ich sah die Besorgnis in seinen Augen aufblitzen.

,,Ich mache eine Salbe drauf und ein Verband. Du wirst mindestens 2 Wochen pausieren müssen.'' Erschrocken schaute ich die Ärztin an. Zwei Wochen? Ich verpasste dann drei Spiele. Dann fiel mir jedoch ein, dass ich durch meine Eskapaden ohnehin nicht spielen durfte.

,,Zwei Wochen? Warum das?''

Leona schaute mich streng an.

,,Du wirst schnell wieder reinkommen. Es sind nur zwei Wochen.'', versuchte Tommi mich aufzumuntern. Achja, er wusste ja noch gar nicht, dass sowieso egal war.

,,Warum warst du überhaupt in der Küche?'', fragte ich Tommi frustriert während ich Leona beobachtete, wie sie den Verband umband.

,,Warum arbeitet man denn da, Jonna? Überleg mal!'' Auch Tommi klang plötzlich gereizt, und ich fragte mich, was der Grund war.

,,Ich bin fertig. Hier ist dein Attest für die Trainer.'' Ich nahm den Zettel von Leona entgegen und nickte.

,,Du kannst auftreten, das ist kein Problem.'', sagte sie noch, dann war sie weg.

Ich rutschte vorsichtig von der Liege unter den wachsamen Augen von Tommi. Stechender Schmerz durchfuhr meinen Fuß, doch ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Ich spürte, wie komisch die Stimmung war.

,,Komm, ich helfe dir.'', sagte Tommi leise und trat an mich heran. Ich sah hoch und spürte wie nah er mir war.

,,Es geht.'', widersprach ich ebenso leise. Die Stimmung war erneut umgeschlagen, aber erneut in eine andere Richtung. In was für eine, konnte ich noch nicht einschätzen.

Das Ende der Geschichte: Es passierte nichts.

Tommi trug mich in mein Zimmer, was ich inzwischen als normal hinnahm.

Doch irgendwie blieb ein komischer Gedanken hängen, nämlich, dass ich mir mehr gewünscht hätte, als von Tommi getragen zu werden.

Und diese Erkenntnis brachte mich vollkommen durch den Wind.

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