wie wärs mit dem Anfang?

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,,Ich brauche eine Pause. Ich werde vorerst nicht wieder kommen.'', sagte ich und schaute nach draußen. Ich brauchte dringend frische Luft.

Ich ging in den Garten.

Tommi war still am anderen Ende der Leitung.

Ich konnte durch das Telefon spüren, was er dachte.

Was zum Gefühl ist los mit dir? Wo bist du? Bist du verletzt?

Zweiteres fragte er mich als erstes.

,,In Kiel.''

,,Bei Sander?''

,,Nein.''

,,Nein?''

,,Bei Niklas Landin.''

Erneut Stille. Inzwischen hatte ich das Gefühl, dass Maxi neben ihm saß. Sie sagte aber nichts. Es war nur ein Gedanken, doch er schien mir nicht fern. Um diese Uhrzeit war meistens frei. Beziehungsweise machte man Hausaufgaben. Und das taten die beiden meistens gemeinsam.

,,Ehrlich gesagt verstehe ich gar nichts mehr.'' Ich merkte, dass Tommi enttäuscht war. Wahrscheinlich, weil ich nie mit ihnen über meine Gefühle gesprochen hatte. Ja, die beiden wussten, dass ich nie in Flensburg angekommen war. Aber das war nochmal eine neue Stufe. Ich wollte und konnte nicht zurück.

,,Ich muss auflegen. Training.''

,,Ok tschüss.''

,,Tschüss.''

Meine Finger drückten auf den roten Hörer. Ich war mir so sicher wie noch nie, dass Tommi mich gerade angelogen hatte. So, wie ich ihn oft angelogen hatte.

Ich atmete noch einmal tief durch, ehe ich wieder reinging. Ich sah Niklas in der Küche aufräumen.

Ich sagte nichts und setzte mich bloß auf das Sofa.

,,Sander musste zum Training.''

,,Ok.'', sagte ich leise und starrte auf meine Hände. Ich fühlte mich so alleine.

,,Hör mal Jonna. Ich will mich in nichts einmischen, wobei es dafür schon längst zu spät ist... Aber du musst mit jemanden reden.''

,,Was habt ihr eben geredet?'', fragte ich tonlos. Am Ende interessierte es mich doch zu sehr.

,,Ich habe nur gesagt, dass du gerne weiter hier wohnen kannst. Und er meinte dann, dass es keine Dauerlösung sei. Und dann kamen wir auf andere Themen zu sprechen.''

Andere Themen? Etwa die Wechselgerüchte?

Sander überlegte schließlich auch schon länger, ob er den Verein wechselt. Wenn Niklas auch ging.. dann würde mir der THW wirklich leid tuen.

,,Ich will dich auch nicht nerven. Ich werde mir eine neue Lösung überlegen.''

,,Das ist mir egal. Wenn du auf meine Kinder aufpasst, ist es mehr eine Erleichterung. Es geht um andere Dinge. Was ist mit der Schule? Du bist schulpflichtig. Und deine Eltern? Die wissen nicht Bescheid, oder?''

Niklas schaute mich durchdringlich mit seinen blauen Augen an. Ich war mir sicher, dass er mich genau lesen konnte.

Ich schämte mich. Ich fühlte mich als Versagerin. Ich war verloren. Und am allermeisten war ich eine Schisserin. Ich hatte Angst, mir Dinge einzugestehen. Und für mich selber einzustehen.

,,Ich war mal genauso wie du.'', sagte Niklas und setzte sich neben mich.

,,Warte, was?'' Mein Kopf schoss zu Niklas hoch, um zu schauen, ob er die Wahrheit sagte.

,,Ich war auch mal am Abgrund. Ich hatte das Gefühl, dass ich es nicht schaffen würde. Und ich fühlte mich so wahnsinnig alleine. Ich war genauso alt wie du. Bin auf einem Internat gewesen.''

Ich konnte es nicht glauben. Niklas war für mich einer der reflektiertesten und vernünftigsten Menschen, die ich kannte. Und nebenbei der beste Torhüter der Welt.

,,Du denkst gerade, dass alles verloren ist. Aber bist noch so jung. Du kannst alles machen. Studieren. Eine Ausbildung machen. Reisen. Dich verlieben. Freunde für das Leben finden. Einfach alles, was das Leben für einen bereithält.''

Niklas legte seinen Arm um mich und zog mich an sich. Die Umarmung fühlte sich gut an. Doch niemand konnte so gut umarmen wie Sander.

,,Du hast recht. Aber es ist schwierig, sich zu lösen. Ich weiß einfach nicht, wo ich hingehöre.'', murmelte ich.

,,Ich weiß.'', murmelte Niklas und drückte mich noch fester. Wer hätte gedacht, dass sich unsere Beziehung so entwickeln würde?

,,Sander hat übrigens noch mehr gesagt. Er ist ehrlich gesagt furchtbar traurig. Er hat Angst schon so zu sein wie eure Eltern.''

Ich dachte still darüber nach. Ich wusste, wieso Sander das dachte. Ich distanzierte mich vor ihm und glaubte, dass er mich nicht verstehen würde. Das er ebenso den Leistungsgedanken das das wichtigste sehen würde.

,,Ich werde morgen zu Sander gehen.'', sagte ich und fragte mich, wie das alles ausging.

,,Ich fahre dich.'', sagte Niklas am Morgen, als ich noch etwas benommen nach einem Brötchen griff. Der Lärm um sechs Uhr morgens war mir nicht entgangen. Kinder eben.

Niklas schien nicht viel wacher als ich zu sein. Aber vielleicht lag es auch an diesen Gerüchten. Ich war aber zu müde, um mir darum jetzt Gedanken zu machen.

,,Ok, sonst könnte ich auch Bus fahren.'', ich wollte nicht, dass Niklas sich so um mich kümmerte.

,,Ich muss mit deinem Bruder eh noch was klären. Du kannst aber erstmal natürlich alleine mit ihm reden und mich dann holen.''

Ich nickte. Was die beiden wohl zu bereden hatten?

Ich war richtig nervös. So nervös, wie seit langem nicht mehr. Ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte. Was Sander erwartete. Meine Hände schwitzten. Ich legte meine Hand um den Türgriff und schluckte.

,,Du kannst gleich mitkommen.'', sagte ich mit rauer stimme.

,,Bist du dir sicher?'', fragte Niklas etwas überrascht nach.

Ich nickte bloß und verließ das Auto. Zügig ging ich zur Haustür. Ich wollte bloß nicht ins nachdenken kommen und einen Rückzieher machen. Ich klingelte. Es fühlte sich an wie mehrere Stunden, bis die Tür geöffnet wurde.

,,Jonna!'' In Sanders Gesicht war eine Mischung aus Fassungslosigkeit, Überraschung und ja, auch Enttäuschung, zu erkennen.

,,Hej.'', sagte ich mit rauer Stimme. Ich versuchte mein schnell klopfendes Herz zu ignorieren. Es fühlte sich so an, als fehlte mit die Luft zum Atmen.

,,Darf ich reinkommen?'', fragte ich leise und schaute an Sander vorbei. Ich wollte seine Argusaugen nicht sehen.

Ich sah Sander nicken und trat schnell ein. Bevor ich noch weglief. Das tat ich leider einfach zu gerne.

,,Sander- ich- ich weiß nicht was ich sagen soll.'', sagte ich leise und schaute auf den Boden. Ich spürte, wie Tränen sich in meinen Augen sammelten.

,,Wie wärs mit dem Anfang? Ich habe Zeit.'' Sanders sanfte Stimme ließ mich zittrig ausatmen.

Ok, das konnte sehr lange dauern.

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