2 - Das Thema

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Der Tag war wieder die Hölle, stellte Anna ein paar Stunden später fest. Sie hasste die Schule. Nein, eigentlich mochte sie es, neue Dinge zu lernen, sie hasste nur die Reaktionen, die sie mit ihrer Anwesenheit auslöste. Immer und überall.

Jetzt hatten sie wieder Deutsch und leider hatte Herr Groschke sich immer noch nicht über das Thema des Projekts ausgelassen. Sie wollte es endlich wissen. Sie spürte wiederholt Florians bohrenden Blick in ihrem Rücken und fragte sich, ob er schon bereute, sich gestern gemeldet und nach ihr verlangt zu haben. Hoffentlich. Sie wäre nicht böse, wenn er sich umentschied. Eher erleichtert.

Irgendwann räusperte sich der Lehrer und erklärte: „So Leute, wenn ich dann mal wieder um Ruhe bitten darf. Ich wollte euch noch über die Aufgabenstellung der Seminararbeit informieren. Ich habe mich dieses Jahr für ein andersartiges Thema entschieden. Die Begründung kommt sofort: Wir leben im Moment in Zeiten, in denen die Welt immer offener wird. Es ist leichter, mit Menschen aus allen Erdteilen zu kommunizieren, ohne dass wir uns auf die Reise dorthin begeben oder wochenlang auf eine Antwort warten müssen. Das ist eine Bereicherung und ein Fluch. Ein Fluch darum, weil wir dadurch verlernen, den Fokus auch darauf auszurichten, was direkt vor unserer Nase ist. Deswegen habe ich mir gedacht, ich stelle dieses Jahr das Projekt unter den Schirm der Menschlichkeit. Was bedeutet, das Thema der Seminararbeit ist ganz einfach: Ihr haltet euer Referat über das Leben des Projektpartners. Dazu verbringt ihr eure Freizeit miteinander und haltet nach den Sommerferien den Vortrag über den anderen... Ich bin gespannt, welche Themen sich daraus entwickeln."

Der Rest ging im allgemeinen Gemurmel der Klasse unter. In Annas Kopf überschlug sich alles. Nein, das durfte nicht wahr sein! Florian würde sich umentscheiden, oder? Oh bitte, das musste er. Das war ein schlechter Scherz. Wie sollte sie einen Vortrag über den Superstar der Klasse halten, wenn ihr Herz jedes Mal klopfte wie wild, wenn er in ihrer Nähe war? Wie sollte sie es überstehen, dass sie privat Zeit mit ihm verbrachte? Das war nicht nötig, beruhigte sie sich. Sie warf einen Blick über die Schulter und sah, dass er genauso betroffen war wie sie. Gut, er würde Groschke fragen, ob er den Partner wechseln konnte, dachte sie und sah, wie plötzlich ein leichtes Lächeln an seinen Lippen zog. Jetzt sah er auf einmal zufrieden aus. Das war nicht wahr! Scheiße! Ihr wurde schlecht. Hatte sich denn die ganze Welt gegen sie verschworen? Florians Blick streifte sie und er lächelte sie an. Fuck. Schnell drehte sie ihr Gesicht wieder nach vorne und wünschte sich, sie könnte sterben.

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Er fing den Blick von Anna auf und die sah mehr als geschockt aus. Na ja. Das hatte er ebenfalls nicht erwartet. Er hatte vermutet, dass sie irgendeinen Umwelt- oder Wirtschaftsaspekt bearbeiten sollten oder so. Aber mit dem Thema hatte er auch nicht gerechnet.

„Du hast mehr Glück als Verstand. Macht dir die Wette leichter, oder?", raunte ihm Erik zu und er grinste automatisch.

Was Anna offenbar missverstand, denn sie wurde noch blasser und drehte sich erneut nach vorne, um auf ihrem Stuhl zu einem Häufchen Elend zusammenzusinken. Indessen hatte der Lehrer wieder für Ruhe gesorgt und erklärte, wie er sich das vorstellte. Sie sollten in den kommenden Wochen sozusagen in das Leben des anderen eintauchen. Seine Routinen, seine Hobbys, seine Charakterzüge kennenlernen und abschließend darüber referieren. Wie sie das mit der Zeit aufspalteten, überließ er ihnen. Ok, das bedeutete, er würde massenhaft Zeit haben, die Wette zu gewinnen.

Plötzlich sah Groschke ihn an und fragte: „Florian, Sie bleiben bei Ihrer Entscheidung, diese Seminararbeit mit Anna zu erstellen?"

Wieder flog sein Blick zu ihr und er meinte, ein flehentliches Kopfschütteln wahrzunehmen, doch er sagte: „Klar, warum nicht? Ist bestimmt interessant."

Der Lehrer nickte und lächelte leicht, ehe er bekanntgab: „Gut. Dann dürfen sich alle Teams mal zusammenstellen, damit ich ein Foto von den jeweiligen Projektpartnern mache."

Mein Name ist dick und hässlichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt