26 - Aussprache

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Jetzt fiel Florian offenbar auf, dass sie ihn immer noch anstarrte, also schluckte er und meinte: „Das war nicht negativ gemeint, das mit der Klette. Eher positiv. Na ja, peinlich, aber manchmal les ich so komische Sachen wie die Apotheken-Umschau. Darum weiß ich, dass nach ihrem Vorbild der Klettverschluss erfunden wurde. Und, dass sie mega-zäh sind. Die Härchen mit denen sie sich irgendwo festkletten, brechen nicht ab, wenn man sie aus der Kleidung entfernt, hab ich mal gelesen. Außerdem kleben sie sich irgendwo fest und verbreiten sich so selbst. Weil sie sich an einen anderen Ort tragen lassen. Irgendwie schlau oder? Außerdem haben sie in der Naturheilkunde auch einen Stellenwert, wie ich gelesen hab. Sie sind also heilend. Das sind gute, nützliche Pflanzen mit Köpfchen und Zähigkeit. Das ist ziemlich gut. Du bist auch schlau und extrem zäh, hast einen Hammer-Charakter und weil du dich um die Menschen in deinem Umfeld kümmerst, hast du auch so was Ähnliches wie eine heilende Wirkung. Passt also."

„Aber sie sind hässlich", merkte sie an, bevor sie es verhindern konnte und jetzt sah sie Florian groß an.

„Kommt immer auf die Betrachtungsweise an, Anna. Für die meisten mag sie hässlich sein, so kugelig, stachelig und unscheinbar, wie sie ist. Aber wenn sie blüht, ist sie hübsch. Wie andere Blumen auch, ein Wunder der Natur", sagte er leise und begegnete ihrem Blick gelassen, ehe er sich wieder dem Essen zuwandte.

„Hm", machte sie automatisch und merkte, wie ein leichtes Lächeln an seinen Mundwinkeln zog.

Jetzt war sie wirklich überfordert. Da machte er, so mir nichts, dir nichts, eine ihrer Selbsteinschätzungen mit ein paar Sätzen zunichte und verwandelte sie in ein Kompliment. Das war krass. Wie sollte sie ihm nur erklären, wie sie das sah, ohne ihn erneut betroffen zu machen? Vielleicht sollte sie es einfach so stehenlassen? Florian erwartete offenbar keine Stellungnahme, denn er kaute wieder zufrieden auf einem Bissen herum. Auch sie aß noch ein Stück der Pizza, ehe sie nach einer Serviette griff, um sich die Finger abzuputzen und sich zurücklehnte.

Jetzt fing sie Florians erstaunten Blick auf, der sich beeilte, seinen Mund zu leeren und dann fragte: „Wie, du bist schon satt? Anna, du hast den ganzen Tag nichts gegessen... Schmeckt sie dir nicht?"

„Doch. Sie ist lecker. Sehr. Aber ... hm. Ich bin satt", schwindelte sie und merkte, dass er ihr nicht glaubte.

„Das stimmt nicht. Nach zwei Stückchen Pizza kann man nicht satt sein, wenn man den ganzen Tag nichts gegessen hat. Du hast dir die Kleinsten ausgesucht, das hab ich gemerkt, Also, was ist der wahre Grund, warum du nicht weiterisst?", erkundigte er sich und sie seufzte.

„Ich verhungere nicht, Ace. Es ist Pizza, ok? Kein Salat mit Putenstreifen und die lagert sich sofort an mir ab. Außerdem ... na ja. Salami ist megalecker, aber ich sollte sie schlicht nicht essen. Nicht weil sie fünfmal so viel Fett hat wie Schinken, sondern weil sie sehr salzig ist. Und das sollte ich nicht essen, obwohl ich es sehr mag. Weil, na ja, das nicht gut ist. Für mich. Das wusstest du nicht und das ist ok. Es war gut und ich bin nicht mehr hungrig. Von dem her, passt es doch", argumentierte sie, etwas genervt, weil sie sich rechtfertigen musste und sah, wie er langsam nickte.

„Ok, aber wieso sollst du nicht salzig essen?", hakte er nach und wieder seufzte sie.

„Weil man das mit Hashimoto-Thyreoiditis nicht soll. So die nächste Frage ist, was ist dieses Hashimoto. Es ist eine Erkrankung der Schilddrüse, die autoimmun ist, ok? Autoimmun heißt, der Körper greift sich selbst an. Hier ist die Schilddrüse zu klein, zersetzt sich selbstständig und sie bildet nicht ausreichend Hormone, die man aber brauchen würde. Hört sich schlimmer an, als es ist. Man lebt gut damit, wenn man, so wie ich, die Hormone künstlich in Form von Tabletten nimmt. Immer wieder wird kontrolliert, ob die Menge an Hormonen noch reicht, das war's auch schon. Trotzdem sollte man auf seine Salzzufuhr achten. Fluorid vor allem. Die Schilddrüse bildet verdammt viele Hormone und die sind so ziemlich in jeden Körperprozess eingebunden, beeinflussen auch Dinge wie Stoffwechsel und so. Der ist bei mir demnach ein bisschen anders. Blöde Kombi also, wenn man bei Stress Fressflashs hat, weil jede Sünde sich sofort irgendwo ansetzt. Im Grunde ist Hashimoto zwar nicht heilbar, aber man kann gut damit leben. Alle Fragen beantwortet?", fuhr sie ihn jetzt an, weil sie es hasste, auf diesem Thema herumzureiten.

Mein Name ist dick und hässlichWhere stories live. Discover now