40 - Verzweiflung

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Anna lief, so schnell sie konnte. Sie würde nicht in Tränen ausbrechen. Sie würde gar nicht darüber nachdenken, dass alles, was Florian ihr erzählt hatte, wahrscheinlich von hinten bis vorne erstunken und erlogen war. Ok, das vielleicht nicht, aber es beruhte alles auf einer Lüge. Woher sollte sie jetzt wissen, was wahr war und was gelogen? Eine Wette. Eine beschissene Wette. Und sie war der Trostpreis, so wie es aussah.

Er hatte die Wette gewonnen. Dank ihr. Weil sie ihrem beschissenen Bauchgefühl gefolgt war. Weil sie ihm zu schnell nachgegeben hatte. Weil sie eine komplette Idiotin war. Er sagte zwar, er hätte die Wette abgesagt, aber stimmte das? Hatte er sie nicht einfach für gewonnen erklärt und den Preis dafür eingeschoben? Sie wusste nicht, was sich ereignet hatte, und sie wusste auch nicht, was sie glauben sollte. Bilder, wie er sie anlächelte, bauten sich vor ihrem inneren Auge auf. Sie würde nicht losheulen. Er hatte keine einzige Träne verdient. Aber ihr Herz war so schwer, wie sie es noch nie erlebt hatte, und sie hatte Mühe, Luft zu holen. Seit er gesagt hatte, ihre Beziehung war das Resultat einer Wette, bekam sie kaum Luft in ihre Lunge gepresst.

Plötzlich wurde ihr der restliche Atem auch noch herausgepresst und ihre Kehle schnürte sich zu, als ihr etwas einfiel: Saskia. Sie hatte gegrinst an dem Tag, als Florian verkündet hatte, dass sie zusammen waren. Sie hatte von der Wette gewusst. Da war sie offenbar noch aktuell gewesen, verdammt. Und am nächsten Abend hatte sie mit Flo geschlafen. Er hatte also gelogen, oder? Er hatte ihr gesagt, er hätte die Wette beendet, bevor was passiert war, aber dazu hatte er gar keine Gelegenheit gehabt. Weil sie nämlich am nächsten Tag zusammen zur Schule gegangen waren, da er bei ihr geschlafen hatte, sie waren die ganze Zeit zusammen gewesen und er hatte keinen Ton mit Erik gewechselt. Er hatte gelogen. Nochmal.

Jetzt verstand sie, was Saskia gemeint hatte, als sie am Samstag gefragt hatte, ob's läuft. Scheiße, die Wette lief noch! Immer noch? Nein! Nein, das durfte einfach nicht wahr sein! Er hatte sie getröstet, sie gehalten und war nicht von ihrer Seite gewichen, obwohl sie ihn hatte wegschicken wollen. Das hätte er nicht getan, wenn die Wette noch gelaufen wäre, oder? Oder? Ihre Gedanken überschlugen sich, während sie versuchte, sich zu beruhigen. Aber vielleicht lief die Wette tatsächlich noch und er hatte sie belogen, was das Thema anging? Das würde bedeuten, es war alles gelogen? Alles?

Sie merkte, wie sie zu zittern anfing. Nein, das konnte nicht sein. Durfte nicht sein. Sie durfte nicht nochmal auf so eine miese Nummer hereingefallen sein. Sie hatte Florian davon erzählt und er hatte gesagt, dass Anton ein Arschloch war, aber hatte er das nur geäußert, weil er selbst eins war? Hatte er ihr nur erzählt, was sie hatte hören müssen, damit er die Wette gewann? War er deshalb so demonstrativ händchenhaltend mit ihr durch die Schule gelaufen, damit jeder sah, dass er dabei war, eine Wette zu gewinnen?

Sie merkte, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete und kämpfte erbittert dagegen an. Sie würde nicht heulen. Um kein Geld der Welt. Sie lief wieder los und als sie ein Taxi sah, sprang sie hinein. Sie wollte nach Hause. Sie wollte sich verkriechen und sie wollte Schokolade. Viel Schokolade. Und Chips. Und Kekse. Sie wollte irgendwas, was die Leere in ihrem Inneren füllte. Etwas, das sie darüber hinwegtröstete, wie bescheuert sie doch war.

Als das Taxi in ihrer Einfahrt hielt, fischte sie nach ihrem Portemonnaie und sah, dass sie nicht genug Geld einstecken hatte. Was kein Problem war, einen Teil ihrer Ersparnisse wahrte sie für Notfälle zu Hause auf. Sie gab dem Taxifahrer, was sie hatte und bat ihn, kurz zu warten. Der nickte widerwillig und sie lief in ihr Zimmer. Als ihr Blick automatisch auf die Couch fiel, erstarrte sie, denn die Erinnerungen an die letzte Nacht, die sie mit Florian hier verbracht hatte, bauten sich vor ihrem inneren Auge auf. Wenn sie tief Luft holte, roch sie ihn sogar noch.

„Nein. Nein, das geht nicht", flüsterte sie, löste sich aus der Starre, schnappte sich ihr Erspartes und ihre Tasche und flüchtete aus dem Raum.

Sie sprang in das Taxi und bat den Fahrer, sie zum Bahnhof zu bringen. Sie musste hier weg. Sie konnte nicht hierbleiben. Nicht in dem Zimmer liegen und trauern, während es darin nach dem Menschen roch, der ihr das Herz gebrochen hatte und ihr jetzt bereits so fehlte, dass sie Mühe hatte, aufrecht zu gehen.

Mein Name ist dick und hässlichWhere stories live. Discover now