23 - Flucht

174 37 143
                                    

Er schluckte und ihm wurde sofort übel. Das war nicht wahr. Das durfte nicht wahr sein. Anna lief gerade an ihm vorbei und er zwang sich, sich aus der Starre zu lösen. Aber seine Beine fühlten sich an, als wären sie aus Blei. Er sah, wie sie mitten im Zimmer stand, sich hektisch umsah und offenbar überlegte, was sie tun sollte.

‚Sie muss sofort hier raus', hallte es in seinem Kopf und er nickte bestätigend, obwohl es keinen Sinn hatte.

Er ging zu Anna und entschied: „Pack ein paar Sachen, du kommst mit zu mir."

Schlagartig flog ihr Blick zu ihm und er sah, dass sie sich fragte, ob das gut war. Doch offenbar wurde ihr klar, dass sie keine andere Möglichkeit hatte, denn dann nickte sie kurzangebunden, wobei die Handabdrücke von Hartmut auf ihren Wangen aufleuchteten. Wieder schmeckte er Galle und er zwang sich, ruhig zu bleiben. Am liebsten würde er nach oben stürmen und den Kerl umbringen. Weil er ein verkacktes Arschloch war! Hatte sein Vater sich auch so gefühlt, fragte er sich automatisch und schüttelte den Gedanken ab. Während Anna jetzt anfing, hastig ein paar Dinge in eine Sporttasche zu packen, holte er sein Handy aus der Tasche. Seine Ma war schon zu Hause heute.

„Du lebst also noch, Florian", scherzte seine Mutter, als sie dran ging.

„Ja, äh, sorry, bin gestern bei Anna eingepennt. Mam, kannst du uns abholen kommen? Bitte? Und kann Anna erst mal bei uns bleiben?", fragte er und versuchte, den Aufruhr in seiner Stimme zu verbergen.

„Was ist los, Florian?", wollte seine Mutter sofort wissen und er hörte, dass sie schon dabei war, die Autoschlüssel zu suchen.

„So was Ähnliches wie das, womit Papa zu tun hatte", antwortete er ausweichend und hörte, wie seine Mutter zischend einatmete.

„Wo muss ich hin?", erkundigte sie sich und er dachte sich, dass er seine Ma wirklich liebte.

Er gab ihr Annas Adresse, die offenbar fertig gepackt hatte und panisch von einem Fuß auf den anderen trat, vor allem, weil Hartmut brüllte, sie sollte endlich verschwinden. Er ging zurück zu seiner Freundin und verflocht seine Hand mit ihrer.

„Komm, Anna. Ist alles geregelt", sagte er, weil sie jetzt wieder so aussah, als würde sie jeden Moment zusammenbrechen.

„Gleich", flüsterte sie kaum hörbar und strebte auf die Couch zu, nahm ein kleines Kissen und als sie seinen Blick bemerkte, hauchte sie: „Ohne das kann ich nirgendwo hin."

Er nickte und wartete, bis sie es in der Sporttasche verstaut hatte, ehe er ihr diese aus der Hand nahm und fragte: „Hast du alles, Anna?"

„Von hier schon. Glaub ich. Keine Ahnung", wisperte sie und schulterte ihren Rucksack, während er merkte, wie sehr sie gerade unter Druck stand, auch wenn sie versuchte, das zu verbergen.

Er nahm ihre Hand erneut in seine und registrierte, wie ihre zitterte und wie sie zusammenzuckte, als sie hörten: „Anna, wird's bald! Ich will, dass du hier verschwindest! Sofort!"

****

Wie in Zeitlupe setzte sie sich in Bewegung. Zumindest hatte sie das Gefühl, als würde sie in Slowmotion gehen. Florian hielt ihre Hand und sie dachte, sie würde jeden Moment zusammenbrechen. Sie schämte sich so. Für die Szene. Für die Begebenheiten, die sie ausgeplaudert hatte. Für alles. Doch Flo war da. Er stieg still neben ihr die Treppe hinauf und als sie sich an Hartmut vorbeidrücken wollte, um in den ersten Stock zu gehen, schob er sich zwischen ihren Stiefvater und sie, denn der schoss nach vorne.

„Raus hab ich gesagt!", herrschte Hartmut sie an und sie schluckte.

„Ich ... äh ... brauch noch Sachen aus dem Bad", sagte sie, doch der Mann ihrer Mutter schüttelte den Kopf.

Mein Name ist dick und hässlichWhere stories live. Discover now