22 - Eskalation

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Zum Glück ließ er das so stehen. Er setzte sich nur still neben sie und nahm einen Schluck von seinem Kaffee. Sie konnte auch nicht sagen, warum sie sich so befangen fühlte, nur dass es so war. Irgendwie war ihr Leben total aus den Fugen geraten. Seit er in ihre Komfortzone gestolpert war, wegen dieses komischen Projekts.

Und sie hatte ihm bei Weitem mehr Einblicke gegeben, als sie das gewollt hatte. Doch das war nicht nur schlecht. Irgendwie war es schön gewesen, gestern zu hören, dass es jemanden gab, der sich dafür interessierte, wie sie empfand. Aber andererseits war sie überfordert. Noch nie hatte sie mit einem Kerl in einem See geplanscht, sie war nie mit einem Jungen zum Einkaufen gegangen und übernachtet hatte auch nie einer bei ihr oder diese Gefühle geweckt. Das hatte auch keiner. Nicht in dem Ausmaß. Und das zu dem ganzen Mist, mit dem sie sich sonst so herumschlug. Sie brauchte echt mal Zeit, das alles ein bisschen zu sortieren.

Wieso konnte sie nicht so unkompliziert wie Florian sein? Der saß neben ihr und schien völlig entspannt seinen Kaffee zu trinken, während er darauf wartete, dass er ins Bad konnte. Als würde er jeden Tag auswärts übernachten. Als wäre es das Normalste der Welt, neben einem Mädchen aufzuwachen, mit dem man seit zwei Tagen ein Paar war. Sie war sich ziemlich sicher, dass er bezüglich des Frühstücks geflunkert hatte. Denn er hatte immer Hunger. Er war wie ein Bär kurz vor dem Winterschlaf. Sie würde auch gerne so essen können und dazu so aussehen wie er. Ungerechte Welt. Aber egal. Wieso hatte er sie angeschwindelt? Weil er gemerkt hatte, dass es ihr schwerfallen würde, sich in der Küche aufzuhalten?

Als es an der Tür klopfte und Alina verlauten ließ, das Bad wäre frei und sie hätte noch frische Handtücher hingelegt, warf er ihr dieses süße Lächeln zu und fragte, ob sie zuerst wolle. Mädchen bräuchten ja länger, scherzte er und sie schüttelte den Kopf. Sie war fix beim Duschen. Sie brauchte maximal zehn Minuten. Für alles. Aber egal. Sie lehnte ab und er verließ das Zimmer, nachdem er ihr einen Kuss auf die Nase gedrückt hatte. Das machte er öfter. Warum auch immer. Irgendwie gefiel ihr das. Sie sah auf die Uhr. Hoffentlich bekam Hartmut das nicht mit. Das wäre doof.

Sie ließ ihren Gedanken freien Lauf und räumte währenddessen ihr Zimmer auf. Viel lag ja nicht rum, weil sie immer versuchte, es ordentlich zu halten. Damit es wenigstens da kein Streitpotential zwischen Hartmut und ihr gab. Denn da war genug Explosionsstoff auch außerhalb dieser Gegebenheit.

Kurze Zeit später betrat Florian das Zimmer wieder und sah zum Anbeißen aus. Scheiße, er hatte schon zum Niederknien ausgesehen, nachdem er aufgewacht war und seine Haare kreuz und quer abgestanden waren. Mit den vom Schlafen noch schweren Augenlidern. Er warf ihr einen forschenden Blick zu und sie riss sich zusammen, nicht daran zu denken, wie toll es sich für etwa zwei Minuten angefühlt hatte, dass sie neben ihm aufgewacht war. Danach war sie nämlich erschrocken und hatte sich einen Idioten genannt.

„Dann geh ich schnell. Willst du noch einen Kaffee? Dann bring ich dir noch einen...", stellte sie fest und er lächelte und meinte, dass es schon in Ordnung wäre.

Sie nickte und flüchtete aus dem Raum, um sich endgültig für den Schultag fertig zu machen.

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In der Schule wurde gleich festgestellt, dass er die gleichen Klamotten wie gestern anhatte. Auf was die so achteten, erkannte er und zuckte die Schultern. Da er sich dachte, dass es Anna nicht recht wäre, wenn er die Wahrheit sagte, erwiderte er nur, dass er erst waschen müsse. Was zur Folge hatte, dass sie ihn aufzogen, dass er das selber machen müsse. Er verdrehte innerlich die Augen. Manchmal wunderte er sich darüber, dass seine Klassenkameraden und ihn nur ein Jahr trennte. Denn dann fiel ihm auf, wie unreif viele von ihnen noch waren. Doch äußerlich zuckte er erneut mit den Schultern und erwiderte, dass es ja nicht schlecht sei, zu wissen, wie man eine Waschmaschine bedient.

Mein Name ist dick und hässlichWhere stories live. Discover now