25 - Vergleiche

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„Ich weiß nicht, ob ich mehr Angst davor habe, wieder zurückzugehen, oder davor, im Prinzip ohne alles da zu stehen, denn im Grunde wollte ich zumindest eine Wohnung haben, wenn ich da weggehe. Und dann ist da immer noch Alina. Ich kann sie nicht allein lassen. Wenn er ihr wirklich irgendwann etwas tut, wäre das meine Schuld, weil ich gegangen bin. Und jetzt sitz ich hier, heul dir mein Leben vor und hab deine Ma vertrieben. Das ist alles nicht richtig so. Gar nichts ist richtig. Jetzt kennst du alles. Jedes kleine, dreckige Geheimnis", flüsterte sie und er schluckte.

Sie hatte die Augen wieder auf ihre zitternden Hände gesenkt, während er sie ansah und sich ihre Worte durch den Kopf gehen ließ. Er hatte Anna noch nie so viel am Stück reden gehört, schon gar nicht über etwas so Persönliches. Das berührte ihn ungemein. Er wusste gar nicht, wie er darauf reagieren sollte. Sie hatte ihn schlicht geflasht. Weil sie so ehrlich gewesen war, aber das war sie ohnehin. Immer, egal, ob sie viel oder wenig sprach.

Aber, dass sie jetzt aussah, als würde sie zur Schlachtbank geführt werden, das schmerzte ihn. Er hatte gehofft, dass es ihr besser ging, wenn sie es sich von der Seele redete, doch sie schien nicht erleichtert. Eher verunsichert. Als wäre sie deswegen weniger wert. Er hatte so eine Hochachtung vor ihr. Immer wieder wurde ihm klar, wie viel Stärke in ihr steckte. Wie viel sie stillschweigend ertrug.

„Ich bin adoptiert", sagte er und sofort flog ihr Blick ungläubig zu ihm.

„Mein dreckigstes, kleines Geheimnis. Ich bin adoptiert. Das weiß keiner. Nur meine Familie und ich", erklärte er und sah, wie Anna schluckte.

„Oh ok?", machte sie und er musste grinsen, weil das so eine typische Anna-Reaktion war.

Er sah ihr die Fragen förmlich an, aber sie schwieg. So wie sie es gemacht hatte, als er ihr sagte, er sei Halbwaise. Aber sie starrte ihn nur an, drang nicht weiter in ihn. Das mochte er an ihr. Sie ließ ihm immer die Wahl, was er preisgeben wollte. Weswegen es ihm so leichtfiel, mit ihr zu reden.

Da sie nicht fragen würde, erklärte er: „Ja, also ich bin mit dem Wissen aufgewachsen, meine Eltern haben immer mit offenen Karten gespielt. Es hat also nicht den großen Urknall gegeben, wo einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird und man erkennt, das ganze Leben war eine Lüge. Denn die hat es bei uns nicht gegeben. Seit ich denken kann, weiß ich, dass meine Eltern nicht meine leiblichen sind. Meine Ma kann keine Kinder bekommen, deswegen bin ich da. Oder so."

Er zuckte mit den Schultern und meinte: „Sie hätten mich wahrscheinlich auch genommen, wenn sie schon Kinder gehabt hätten, aber das weiß ich nicht genau. Ich bin schon als Säugling zu ihnen gekommen. Praktisch frisch aus dem Krankenhaus, wo meine leibliche Mutter entbunden hat. Über die weiß ich nicht viel und ich hatte auch nie das Bedürfnis, sie kennenzulernen. Nicht weil ich ihr irgendwas nachtrage. Sondern weil mir meine Eltern genug sind. Das, was ich weiß, reicht mir auch schon."

Er unterbrach sich, trank einen Schluck Kaffee, zündete sich eine Zigarette an, nahm nochmal einen tiefen Zug und erzählte: „Ich hab dir gesagt, mein Dad sei bei einem Arbeitsunfall gestorben. Das stimmt auch, so ungefähr. Mein Vater war Polizist. Bei der Sitte. Meine leibliche Mutter war Klientel von ihm. Sozusagen. Sie war eine Prostituierte und seine Informantin. Immer wenn was falsch lief, hat sie es ihm gesteckt. Irgendwann gab es wohl einen, hm, Arbeitsunfall ... und da bin ich entstanden. Sie war wohl eine von der ordentlichen Sorte, die sich geschützt hat, aber na ja, auch da passieren unvorhergesehene Dinge."

Er merkte, dass seine Hände feucht wurden und er hatte Angst vor ihrer Reaktion, aber er schluckte die Emotion hinunter und erklärte: „Jedenfalls bekam mein Dad mit, dass meine Erzeugerin schwanger war, und hat sie gefragt, was sie vorhat. Sie meinte, sie würde das Baby weggeben, sie würde es austragen und zur Adoption freigeben. Ich weiß, dass Adoption damals für Ma und ihn kein Thema gewesen war, doch da ist es eins geworden. Sie haben beschlossen, das Baby zu nehmen. Meine Erzeugerin war nicht drogensüchtig und das Kind, also ich, schien gesund zu sein. Sie haben die sofortige Pflegschaft beantragt und da kam ihnen der Ruf meines Dads zugute."

Mein Name ist dick und hässlichWhere stories live. Discover now