36 - Gedankenvoll

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Er suchte „True Colors" von Phil Collins und startete den Song. Nervös sah er ihr ins Gesicht. Er hoffte von ganzem Herzen, dass sie verstand, was er ihr sagen wollte: Dass es ihm egal war, wie sie aussah oder was die anderen dachten. Er sah die Anna in der Hülle, er wollte die Person, in die er sich so unsterblich verliebt hatte und die er mit Sicherheit nicht einfach gehen lassen würde. Seine Hände hielten zitternd sein Telefon auf dessen Display Anna ihren Blick gesenkt hatte, während sie still lauschte, bis das Lied endete.

‚Bitte, bitte. Lass sie das begreifen', dachte er verzweifelt und als sie den Blick zu seinen Augen hob, bemerkte er die Tränen, die in ihren Augen schwammen, ehe sie flüsterte: „Wieso kannst du die Farben meiner Persönlichkeit sehen und die anderen nicht?"

„Ich weiß es nicht, Anna. Weil sie dumm sind und dir keine Chance geben. Weil sie sich von deiner Hülle blenden lassen und du sie lässt, ok? Weißt du, dass ich das erste Mal richtig erstarrt bin, weil du gelächelt hast? Ich hatte dich noch nie lächeln sehen und das und dein Lachen waren das, in das ich mich zuerst verliebte. Und dann immer mehr. Immer mehr. Denn dann fiel mir auf, wie schön deine Augen strahlen, wenn du die Mundwinkel nach oben ziehst und wie toll dein Lachen klingt. Das war es, was mich als Erstes faszinierte. Sobald jemand auf der Bildfläche erscheint, von dem du erfahrungsgemäß Böses erwartest, sinkst du zusammen, ist dir das bewusst?", fragte er und sie nickte.

„Ist Absicht. Wenn du so aussiehst wie ich und meine Erfahrungen gemacht hast, dann versuchst du zu verschwinden, unter dem Radar hindurchzufliegen. Also sinke ich in mir zusammen, um weniger Angriffsfläche zu bieten", gestand sie tonlos und er wischte ihr die Reste der Tränen von den Wangen.

„Aber du bist jemand, verstehst du? Wie sollen andere dich anders sehen, wenn du das versteckst, was du bist? Ich hatte das Glück, dass du mich nach und nach hinter deine Fassade hast sehen lassen, aber diese Chance gestehst du sonst keinem zu", sagte er sanft und schloss sie wieder in seine Arme, um dem Vorwurf die Härte zu nehmen.

„Wundert dich das? Jedes Mal, wenn ich jemandem den Einblick gewährt habe, hab ich einen so kräftigen Arschtritt bekommen, dass ich dachte, ich würde nie wieder aufstehen, Ace. Wie heute, ok? Ich war einmal unvernünftig und hab mich gehen lassen, weil es sich so richtig angefühlt hat, und was war das Ende vom Lied? Du wurdest dafür ausgelacht, dass du meiner Verrücktheit nachgegeben hast, weil du mit mir zusammen bist und...", setzte sie aufs Neue an und Florian unterbrach sie.

„Und ich hätte keine Sekunde davon verpassen wollen. Dass Saskia einen Schatten hat, das wissen wir doch, oder? Und dieser Tag mit dir, war mir jeden dieser beschissenen Kommentare wert, denn die Erinnerungen, die ich daran behalten werde, wiegen diese Boshaftigkeiten auf. Um Meilen. Also schick mich nicht weg. Denn ich lass mich nicht wegschicken. Nicht deswegen...", murmelte er und küsste sie, weil er ihre Nähe brauchte.

Sofort gewährte sie ihm Einlass und er vertiefte den Kuss, plötzlich von unstillbarem Verlangen erfüllt. Anna schien es ebenso zu gehen, da sie bereits hektisch an seinem Shirt nestelte und mit ihren Händen darunter schlüpfte, um seine Haut unter ihren Fingern zu spüren.

„Halt mich, Ace, denn ich habe immer noch das Gefühl, in diesem Sog unterzugehen. Hilf mir da raus", bat sie keuchend, als er den Mund zu ihrem empfindlichen Hals wandern ließ, und er beeilte sich nur zu gerne, diese Forderung zu erfüllen.

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Viel Schlaf bekamen sie in dieser Nacht nicht, denn immer wieder hatten sie das Bedürfnis, einander nah zu sein, sich aneinander festzuhalten und sich zu versichern, dass der andere noch da war. Sie mussten sichergehen, dass man sich im größten Sturm der Gefühle beim Gegenüber stabilisieren konnte, wenn man dachte, man würde daran zerbrechen. Dazwischen kuschelten sie, während sie über sich sprachen und leise Musik hörten, dösten oder hingen schlicht ihren Gedanken nach, während sie die Nähe des anderen genossen.

Mein Name ist dick und hässlichWhere stories live. Discover now