39 - Wahrheit

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‚Reiß dich endlich zusammen, du Arsch!', schalt er sich selbst, als er sah, dass Anna fast grün im Gesicht war.

Sie hatte die Fingernägel in den Sitz vergraben, weil er die rote Ampel übersehen hatte. Weil er in Gedanken gewesen war. Immer wieder überlegte er, wie er es ihr sagen sollte. Sie würde nicht mehr lange warten, bis sie ihn zur Rede stellte. Sie bohrte schon die ganze Zeit und versuchte zu enthüllen, was los war. Sie verlor langsam die Geduld, obwohl sie bemüht war, sie zu behalten. Das merkte er auch.

Er musste sich in den Griff kriegen, sonst ging das gewaltig in die Binsen, dachte er und fuhr vorsichtig weiter. Als sie bei ihr vorm Haus standen, meinte sie, sie wäre gleich wieder da, sie würde nur hastig die Lebensmittel reinbringen und aufräumen. Er nickte und kaum war sie außer Sichtweite, legte er den Kopf aufs Lenkrad. Er hatte ein ganz mieses Bauchgefühl. Er überlegte die ganze Zeit, wie er es ihr beibringen sollte, aber er war keinen Schritt weiter. Er kam immer wieder zum gleichen Ergebnis. Sie würde es nicht verstehen und ihn verlassen.

Als er hörte, dass die Autotür aufgemacht wurde, ruckte sein Kopf hoch und er sah die unausgesprochene Frage in ihrem Gesicht. Doch sie schwieg und schnallte sich an. Er hatte sich noch nie so beschissen gefühlt, wie jetzt gerade. Denn er wusste, er würde ihr wehtun und das hatte sie nicht verdient. Während er zu sich nach Hause fuhr, durchlebte er in Gedanken jeden einzelnen schönen Moment, den er in den vergangenen Wochen mit ihr verbringen hatte dürfen. Und bei jeder Erinnerung wurde ihm enger in der Brust.

Immer wieder versuchte er sich Mut zu machen. Es könnte ja auch sein, dass sie abwinkte und meinte, das sei Schnee von gestern, oder? Er hoffte. Aber er konnte nicht daran glauben. Sie war schon zu oft von den Menschen enttäuscht worden, die sie liebte und die ihr gesagt hatten, sie würde ihnen etwas bedeuten. Wie durch ein Wunder lenkte er den Wagen ohne einen weiteren Zwischenfall nach Hause und nachdem Anna ausgestiegen war, folgte er ihr.

„Abschließen, Ace?", erinnerte sie ihn und er seufzte.

‚So wird das nix', dachte er und ging zurück, um den Auto abzuriegeln, ehe er wieder zu ihr trat, um die Haustür aufzuschließen.

Er ließ ihr den Vortritt und merkte, dass sie den Mund öffnete, um ihn zur Rede zu stellen, also sagte er schnell: „Anna, ich muss dir was sagen."

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Er klang todernst. Verdammt. Er hatte festgestellt, dass sie ihm doch zu sehr klettete. Oder dass er sie nicht so liebte, wie er gedacht hatte. Bestimmt. Irgendwie sowas. Er machte Schluss. Aber wieso war er dann mit ihr hierhergefahren? Ach ja, ihr Zeug war hier.

„Lass uns nach oben gehen, ich will eine rauchen", erklärte er in diesem Moment und sie konnte nur nicken.

Sie folgte ihm langsam und versuchte, sich zu beruhigen. Sie würde nicht in Tränen ausbrechen. Sie würde es schlucken und gehen. Sie hatte es gewusst. Dass es enden würde. Immer wieder hatte sie sich gesagt, dass es zu schön gewesen war, um wahr zu sein. Gestern noch hatte er sie geliebt, dass sie gedacht hatte, sie wäre das Wertvollste in seiner Welt. Von einer Intensität und einer Nähe, die alles vorher in den Schatten gestellt hatte.

Es hatte nichts anderes verdient gehabt, als den Begriff „Liebe machen". Aber seitdem war er so anders. Sie wusste warum. Er war deswegen erschrocken. Er hatte Angst bekommen. Jetzt stieß er sie weg, denn welcher 18-jährige wollte diese Gefühle? Da wollte man sein Leben leben und sich nicht binden. Nicht in der Intensität, oder?

Er ließ sie durch die Balkontür treten und sie setzte sich auf den Stuhl, der näher an der Tür stand. Dann konnte sie wenigstens gleich gehen. Er ging an ihr vorbei und ließ sich auf den zweiten Stuhl fallen, während er nach den Kippen kramte. Er riss die Schachtel auf und legte sie auf den Tisch. Seine Hände zitterten, fiel ihr auf. Klar, er hatte Respekt vor ihrer Reaktion. Aber sie würde ihm keine Szene machen.

Mein Name ist dick und hässlichWhere stories live. Discover now