15 - Panik

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Währenddessen war Anna fast zu Hause. Sie bezahlte den Taxifahrer und sprang aus dem Wagen. Das durfte nicht wahr sein. Ein Vertrauter! Er hätte ein Vertrauter werden können! Doch nicht einmal das war ihr gegönnt! Nicht einmal EIN Mensch, dem sie sich anvertrauen konnte, war ihr zugebilligt! Sie hatte sich doch ohnehin so schwergetan, sich ihm zu öffnen. Den Entschluss dazu zu treffen und dann war es so schön gewesen, endlich wahrgenommen zu werden. Endlich einmal nicht verurteilt zu werden. Sein zu dürfen! Endlich etwas Licht und Zuversicht zu haben! Sich gestatten zu dürfen, zu denken, dass man nicht nur ein fettes Schwein war, sondern ein denkender, fühlender Mensch.

Aber nein! Jetzt würde wieder alles dunkel werden! Weil das nicht ging. Gar nicht! Sie konnte das nicht! Alles in ihr schrie, dass sie es geahnt hatte. Alles in ihr schrie, dass sie das nicht zulassen dürfe. Niemals! Das war damals so schiefgelaufen! So furchtbar schief!

Sie lief ins Innere des Hauses, streifte sich im Vorübergehen die Schuhe von den Füßen und betrat eilig das Innere. Sie wollte sich verstecken. Verkriechen. Unsichtbar sein. Wieso hatte das passieren müssen? Es war, einmal seit langem, wieder schön gewesen zu leben. Es war so lange her, dass sie sich nicht gewünscht hätte, sie würde einfach verschwinden. Und jetzt? Jetzt fühlte sie sich vom Schicksal betrogen.

„Hey, Ananas. Scheiße, wie siehst du denn aus? Ist alles in Ordnung?", fragte Alina, die gerade die Treppe herunterkam und sie schüttelte nur den Kopf.

Sie konnte jetzt nicht antworten. Die Tränen, die sie mit aller Gewalt zurückdrängte, würden jeden Moment hervorbrechen. Sie raste hinunter in ihr Zimmer und schloss die Tür ab. Sie wollte keinen sehen. Sie wollte nicht, dass jemand sah, wie es ihr ging. Sie wollte Florian. Sie wollte sich durch seine Augen sehen. Aber genau das, durfte sie nicht. Nicht nochmal.

Sie wankte zu ihrer Schlafcouch und als sie sich in ihre Decke gekuschelt hatte, brach sie endgültig zusammen. Sie rollte sich still ein und weinte die Tränen, die sie damals nicht hatte vergießen können.

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Scheiße, wo war sie? Sein Geständnis war jetzt vier Tage her und er ging langsam die Wände hoch! Sie war nicht in die Schule gekommen. Er machte sich wirklich Sorgen, verdammt! War sie krank? Oder hatte sie seine Beichte so aus der Bahn geworfen, dass sie in Panikstarre verfallen war? Er hatte keine Ahnung, aber er war besorgt. Immerhin hatte sie ihm vor nicht allzu langer Zeit gestanden, dass sie sich wünschte, sie könne unsichtbar sein. Wobei er immer noch nicht wusste, ob das ihre Umschreibung von tot war.

Er hatte ihr unzählige Nachrichten auf ihre Mailbox gesprochen. Die jetzt immer automatisch dranging. Das beunruhigte ihn noch mehr. Er drehte durch. Er war bei ihr vorbeigefahren und hatte geklingelt, aber es hatte niemand geöffnet. Er hatte ihr Fahrrad zu ihr gebracht, damit sie nicht hätte laufen müssen, aber sie war wie vom Erdboden verschluckt. Wenn er zumindest Alina erwischt hätte, aber die schien laufend unterwegs zu sein.

Die anderen in der Klasse warfen ihm hämische Kommentare zu, wo seine Liebste sei und er fluchte innerlich. Denn Anna hatte Recht behalten. Sie zogen jetzt noch mehr über sie her. War sie deswegen der Schule ferngeblieben? Hatte es vielleicht gar nichts mit ihm zu tun? Er hatte sich ihre Auseinandersetzung vor dem Kino nochmals genau durch den Kopf gehen lassen. Anna war nicht nur wütend gewesen, sondern auch da hatte sich schon Furcht auf ihrem Gesicht gezeigt. Sein Verhalten hatte ihr Angst vor der Reaktion von Saskia gemacht.

Aber das konnte er nicht wieder zurücknehmen. Was er liebend gerne getan hätte. Denn sie hatte Recht gehabt. Ihm war gar nicht aufgefallen, dass sie die Aufmerksamkeit mit ihrem Streit noch mehr auf die Szenerie gelenkt hatten. Er hatte nur einfach rot gesehen, als Saskia schon wieder auf Anna herumgehackt hatte. Wie es auf die anderen Umstehenden gewirkt hatte, daran hatte er keinen Gedanken verschwendet.

Mein Name ist dick und hässlichWhere stories live. Discover now