30 - Träume

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Jetzt wollte sie aufstehen, doch er hielt sie fest und zog sie zu sich, ehe er flüsterte: „Darf ich was dazu sagen, Anna? Denn ich glaube, du hast Recht, oft gibt es nicht Liebe für immer. Aber ich glaube, falls man gemeinsame Hoffnungen und Träume hat, dann kann man daran arbeiten, ok? Man kann gemeinsam an einer Beziehung arbeiten, damit man nicht auseinanderdriftet. Wenn jeder bereit ist, immer einen kleinen Schritt auf den anderen zuzugehen. Immer wieder, bis man sich in der Mitte trifft. Ist das schwer? Ja. Meine Eltern sind so ein Beispiel für die wenigen, die es schafften, bis dass der Tod sie geschieden hat. Wer weiß, wie lange sie es noch geschafft hätten, aber egal. Hatten die beiden schwere Zeiten? Mit Sicherheit. Als meine Ma feststellte, dass ihr Kinderwunsch unerfüllt bleiben würde, etwa."

Er sah, wie sie die Stirn runzelte und fügte an: „Sie haben aber zueinandergehalten und durch einen glücklichen Zufall kam ich dazu. Als ich vier war, musste mein Dad undercover gehen. Er ist als Alkoholiker zurückgekommen. Ich kann mich nicht dran erinnern, sie haben mir das irgendwann erzählt, als ich anfing, mich in Sachen Alkohol auszuprobieren und krass über die Stränge geschlagen habe. Aber diese Phase war bestimmt auch nicht leicht, verstehst du? Sie haben sie aber dennoch gemeistert und mein Dad war trocken bis zum Tag seines Todes. Verläuft das Leben linear und gleichmäßig? Nein. Kann eine Liebe und damit eine Beziehung das durchstehen? Ja. Wenn beide die gleichen Träume und Hoffnungen haben, Anna. Vielleicht solltest du dir wieder gestatten, zu träumen. Weil für mich eins sicher ist: Das mit uns fühlt sich so gut, so richtig an, dass ich anfange zu träumen und auf mehr zu hoffen. Und ich hoffe sehr, dass du dir das auch zugestehst. Denn ich werde dich nicht enttäuschen."

Sie lehnte den Kopf an seine Stirn und murmelte: „Ich hoffe. Wir sollten ins Bett gehen, oder?"

„Gleich. Hast du denn gar keine Träume? Nichts? Für die Zukunft?", fragte er, weil er immer noch nicht fassen konnte, dass Anna mit ihren 17 schon so desillusioniert war.

„Doch schon. Aber eher kurzfristige Wünsche und die betreffen mich allein. Auszuziehen, sobald ich Abi hab, zum Beispiel. Oder meinen 18. Wie ich den verbringe. Da träum ich auch davon. Aber sonst? Hm, einen Job, der mir gefällt und bei dem ich ausreichend verdiene. Ich muss nicht reich werden...", gab sie zu und zuckte die Schultern.

„Nochmal zurück. Dein 18. Geburtstag. Wovon träumst du? Einer Party?", erkundigte er sich und sie lachte.

„Nein. Wer wäre da? Du. Wahrscheinlich. Meine Mutter bestimmt nicht. Die kommt, gibt mir einen Kuss, sagt: ‚Alles Gute zum 18., Liebling', das war's. Alina? Kommt, sagt: ‚Alles Gute, Ananas, alte Schachtel. Kannst du mich zu XY fahren?', Hartmut mummelt irgendwas, irgendwohin. Mein Dad ruft an, telefoniert ein bisschen mit mir. Nein. Diesmal mach ich es anders", entschied sie und er sah sie fragend an.

Als sie nicht weitersprach, hakte er nach: „Und wie, Anna?"

„Hm. Ich lass mich morgens zu dem Autohändler fahren, wo mein Auto auf den Tag wartet, an dem ich 18 werde. Dann setz ich mich rein, sie erklären mir das Auto und dann lass ich es an, starte die Playlist, die ich extra deswegen erstellt hab und düse los. Ich mach die Musik ganz laut, sing so falsch ich kann. Ich fahre einfach. Egal, wohin. Einfach weg. Autobahn oder Landstraße, in irgendeine Richtung. Währenddessen singe ich immer noch so falsch und laut ich kann. Bis das Reservelämpchen angeht, fahr ich einfach, wohin es mich treibt. Dann fahr ich an die nächste Tankstelle, trinke einen Kaffee, esse vielleicht ein Stück Kuchen, wahrscheinlich eher nicht, weil das müsste ich ja in der Öffentlichkeit essen. Dann tanke ich wieder voll und fahr zurück. Das wird mein Geburtstag. Darauf freue ich mich. Einfach ein paar Stunden flüchten", gab sie an und er musste den Unglauben schlucken.

Das war ihr optimaler Geburtstag? Das erträumte sie sich? Mehr nicht? Mehr erwartete sie nicht von ihrem 18.? Scheiße. Er hatte erst mit seiner Ma gegrillt und war anschließend mit ein paar Mannschaftsmitgliedern und der Clique um die Häuser gezogen, bis er nicht mehr stehen konnte und seine Ma ihn abholen musste. Und sie stellte sich so ihren Geburtstag vor? Allein im Auto?

Mein Name ist dick und hässlichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt