16 - Schmerz

192 37 186
                                    

Er merkte, wie die Anspannung langsam aus ihr wich und sie erschöpft gegen ihn sank. Ihr Widerstand schwand und er wusste, dass sie sich wie erschlagen fühlte. Er ließ ihr die Zeit, wieder zu Atem zu kommen und zu sich zu finden. Er lauschte dem Lied, dass sie offenbar in Endlosschleife gehört hatte: „Jar of hearts" von Christina Perri, in dem die Sängerin ihren Ex fragte, wie er es wagen konnte, ihr erst das Herz zu brechen und dann zurückzukommen, um es aufs Neue zu fordern. Zumindest war das der Kontext. War das passiert? War er zurückgekommen oder meinte sie das im übertragenen Sinne? War das Problem, dass diese Erfahrung sie so gezeichnet hatte, dass sie ihr jedes Mal im Wege stand, wenn sie tiefere Gefühle empfand?

„Was hat er getan, Anna? Was hat dich so verletzt?", fragte er sie sanft und sie schüttelte den Kopf.

„Egal", hauchte sie und er schloss resignierend die Augen, ehe er widersprach.

„Wenn es egal wäre, würdest du dich deswegen nicht verstecken oder so in Panik ausbrechen. Also was war es, Anna?", erkundigte er sich nochmal und hörte sie seufzen.

„Ich will nicht darüber reden. Du solltest gar nicht hier sein. Mich nicht so sehen. Du solltest mich vergessen, weil das nie funktioniert. Ich bin zu verkorkst. Egal. Du solltest gehen und mich vergessen und auch, was du heute gesehen hast...", murmelte sie und er schüttelte leicht den Kopf.

„Vergiss es, Anna. Ich muss wissen, was dich so in Panik versetzt, ok? Ich weiß, wie du dich gerade fühlst. Jetzt gerade. Weil ich ebenso empfunden habe, als mein Vater starb. Ich weiß, dass du dich jetzt in Grund und Boden schämst und alle von dir stoßen willst, die es gut mit dir meinen. Weil du denkst, du hast zu viel von dir preisgegeben. Weil du deine Abgründe offenbart hast, ohne Kontrolle darüber zu haben. Aber genauso, wie ich das alles weiß, weiß ich, wie bescheuert diese Scham ist. Man muss sich nicht für seine Gefühle schämen. Nie", erklärte er zärtlich und sie schüttelte den Kopf.

„Ich will sie aber nicht. Ich will nicht, was sie mit mir machen. Ich will nicht, dass sie diese Macht über mich haben...", gestand sie tonlos und barg ihren Kopf tiefer in seiner Halsbeuge.

„Es gibt nur einen Weg, diesen Gefühlen ihre Macht zu nehmen, Anna. Du musst ihnen den Raum geben, den sie fordern. Hört sich leicht an, ist scheißschwer. Aber ein Anfang ist, wenn man sie anerkennt und darüber spricht. Was hat der Kerl mit dir gemacht?", bohrte er weiter und wieder schüttelte sie den Kopf und seufzte.

„Ich kann das nicht. Nicht nochmal, ok? Es hat zu wehgetan. Ich bin fast daran erstickt. Deswegen geht es nicht. Ich darf nicht nochmal da landen, wo ich war. Da gibt es so viel anderes, da kann ich das nicht auch noch...", stellte sie fest und er versuchte, ihr zu folgen, aber es gelang ihm nicht.

„Wovon sprichst du, Anna?", erkundigte er sich bedächtig und sie seufzte.

„Ich rede von uns, Florian. Es geht nicht, ok? Das darf einfach nicht sein. Darum musst du dir einen anderen Projektpartner suchen und mich vergessen. Das ist nicht schwer. Wer bin ich schon? Also musst du jetzt gehen, ok? Weil ich sonst irrsinnig dumm bin und mich auf etwas einlasse, was mich zerstören wird. Weil ich gerade nur papierdünn bin und dir alles offenbaren würde, und das wäre nicht gut. Ich gebe nie wieder jemanden die Macht dazu, mich derart zu verletzen. Ich darf nicht. Weil es mich zerstört", flüsterte sie matt und entgegen ihren Worten, rollte sie sich an seiner Brust ein.

„Hm. Inwiefern würde es dich zerstören? Was willst du so unbedingt verleugnen, Anna? Was macht dir solche Angst? Wieso gehst du davon aus, dass ich dich verletzen werde?", fragte er leise und sie schüttelte den Kopf.

„Nicht du. Das. Weil es nicht funktionieren kann, ok?", beharrte sie und er lehnte sich etwas zurück, um ihr ins Gesicht sehen zu können.

Unter ihren rotgeweinten Augen lagen tiefe, dunkle Schatten und sie sah so erschöpft aus, dass ihm wieder eng in der Brust wurde und er stellte fest: „Das musst du mir genauer erklären, Anna. Denn im Moment kapiere ich nur, dass du offenbar auch was für mich empfindest und irgendwas einem Uns im Wege steht. Aber was, das begreife ich nicht, ok? Also bitte. Erzähl mir, was damals vorgefallen ist, dass du panisch wegläufst, nachdem ich dir gestanden habe, dass ich mich in dich verliebt hab. Damit ich wenigstens die Chance habe, zu verstehen, was du meinst mit: Es kann nicht funktionieren."

Mein Name ist dick und hässlichWhere stories live. Discover now