18 - Mut

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Er verkniff sich den Kommentar, dass er das sowieso bescheuert fand, und folgte ihr. In der Küche angekommen, bat sie ihn, sich zu setzen und er beobachtete, wie sie sich daran machte, irgendwas zu kochen.

„Du kochst?", fragte er unnötigerweise und sie zuckte nickend mit den Schultern.

„Ja, war es irgendwann satt, nur Toast mit Schokocreme oder Wurst zu essen, weil ich nichts anderes konnte. Obwohl das schon lecker ist, aber nicht, wenn du es beinah jeden Tag isst, weil keiner da ist, der für ein Essen sorgt. Egal. Bin trotzdem großgeworden. Aber ja, deswegen koche ich. Meistens nichts Aufwändiges. Sind Schinkennudeln ok?", fragte sie und er bejahte.

„Wieso war keiner da?", erkundigte er sich und sie zuckte mit den Schultern, während sie Wasser in einen Topf füllte und ihn auf die Herdplatte stellte.

„Meine Mutter musste einfach arbeiten. Gab ja nur uns drei: Sie, Alina und mich. Nachdem der Freund ausgezogen ist, der zwischenzeitlich bei uns gewohnt hatte. Da war ich zehn und meine Mam war viel Arbeiten. Auch an Wochenenden. Egal. Da war ich dann für Lina mitverantwortlich. Hat mich selbstständig werden lassen...", erklärte sie weiter und gab die Nudeln ins mittlerweile kochende Wasser, nur um eine Zwiebel abzuziehen und diese, wie den Schinken, zu würfeln.

„Ganz schön viel Verantwortung für eine Zehnjährige", meinte er und Anna zuckte mit den Achseln.

„Ja schon. Aber es war ok. War ja nicht zu ändern. Blöd war nur das Dorf, in dem wir gewohnt haben. Da waren zwar viele Kinder in Alinas Alter, jedoch nur eins in meinem und das war ein Junge. Damit konnte ich nicht so viel anfangen. Hat auf Gegenseitigkeit beruht. Na ja, ich hab mich beschäftigen können. Wär lieber wie Alina die ganze Zeit mit anderen spielen gewesen, aber das war einfach nicht. Hab stattdessen so ein bisschen Haushalt gemacht, weil ich Mam entlasten wollte. Was ich halt schon konnte, war ohnehin nicht so viel. Oder ich hab Musik gehört und gelesen. Es war ok. Wenn Mama frei hatte, haben wir dann immer was gemacht. Oder ich bin in der Stadt geblieben und bin ins Kino am Nachmittag, weil sie mir als Dankeschön wieder mal einen Zehner zusteckte. War nicht so schlimm, wie es sich anhört. Aber so schön war es auch nicht. War eben ok", stellte sie fest und zuckte mit den Achseln, aber er merkte ihr an, dass sie das nicht ganz so empfand.

„Hast du dich nicht allein gefühlt?", fragte er und sie nickte.

„Manchmal. Wir hatten damals auch einen Hund. Nicht Roy, einen anderen. Der war mein bester Freund, hat auf Alina und mich aufgepasst, wenn Mam später kam und wir schon im Bett waren. So hab ich das empfunden. Dem hab ich erzählt, wenn mich was bedrückt hat, der hat's auch nie weitergequatscht", scherzte sie jetzt und briet die gewürfelten Zutaten an.

Er dachte an seine Kindheit und seine frühe Jugendzeit, da war immer jemand da gewesen. Wenn seine Eltern gearbeitet hatten, waren seine Großeltern gekommen und hatten ihn beaufsichtigt. Er war nie allein gewesen und konnte sich gar nicht vorstellen, wie sie sich gefühlt haben musste, für ihre jüngere Schwester verantwortlich zu sein. Aber er verstand ihr Verhalten und sie immer mehr. Das fand er gut.

Er wurde zurück ins Jetzt gerissen, als sie meinte: „Na ja, als ich dann zwölf wurde, kam praktisch Hartmut dazu. War kein Grund zur Freude. Die wenige Zeit, die wir mit Mama hatten, wollten wir sie für uns. Ich muss zugeben, wir waren ziemlich biestig damals. Aber das zahlt er uns zurück. Immer noch", murmelte sie und tätigte die letzten Handgriffe, um ihr Essen fertigzustellen.

Sie deckte schnell den Tisch und stellte dann die Pfanne in die Mitte, um ihn zu bitten, sich zu nehmen. Sie nahm sich auch ein bisschen und während ihm tausend Fragen durch den Kopf schwirrten, aß Anna langsam und bedächtig ihre Portion. Fuck, von dem, was sie aß, würde er keinen Tag überleben. Doch sie wirkte ganz zufrieden. Sie hatte die aufkeimende schlechte Stimmung wohl abgeschüttelt.

Mein Name ist dick und hässlichWhere stories live. Discover now