12 - Anziehung

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Sie bemühte sich, die Augen auf seinem Gesicht zu lassen. Er war wirklich wow. Das hatte sie so bisher ja nicht gesehen und der Rest war schon wow. Aber jetzt in Badeshorts? Megawow. Die Hose ging ihm bis knapp übers Knie, war also technisch gesehen eine Bermuda, dachte sie und verdrehte innerlich die Augen. Wieso dachte sie so einen Schrott? Vielleicht um ihren Kopf davon abzulenken, dass über der Hose ein trainierter Oberkörper mit angedeutetem Sixpack saß? Wie konnte jemand so essen und trotzdem so aussehen? Das war ungerecht. Er lag entspannt auf seinem Handtuch und hatte sich zu ihr gedreht, um ihr besser ins Gesicht sehen zu können. Dabei hob und senkte sich die dünne Spur Härchen auf seinem Bauch Richtung Unterbau bei jedem Atemzug.

‚Scheiße. Denk an was anderes, Anna. Los!', maßregelte sie sich selbst und hörte ihn fragen: „Wieso gehst du nicht mehr ins Freibad, wenn du es so genossen hast, zu planschen? Wegen der Leute?"

Damit ihre Gedanken abgelenkt wurden, antwortete sie ihm, obwohl sie eigentlich nicht wollte: „Hm. Bis ich elf war, hatte ich sogar eine Dauerkarte für das Freibad in der Nähe. Bis dahin war es offenbar ok, dass ich anders bin. Ab dann fingen die Sprüche an. Irgendwann war ich es einfach leid, als Wal tituliert zu werden. So laut, dass sich garantiert jeder Kopf zu mir drehte. Dann waren da nicht nur hämische Blicke, sondern auch mitleidige. Als hätte ich eine schwere Krankheit oder so. Egal. Irgendwann wollte ich das jedenfalls nicht mehr. Darum geh ich nicht mehr schwimmen, sondern lieber kalt duschen, um mich abzukühlen. Auch egal. Heute plauder ich wirklich viel."

Sie fing das Grinsen von Florian auf und seufzte innerlich. Sie musste dringend aus der Nummer mit dem Projekt kommen, dachte sie und zupfte an einem Grashalm neben ihrem Fuß.

„Das tust du. Dann freut es mich umso mehr, dass du doch noch die Umkleide verlassen und nicht deine Tage vorgetäuscht hast. Boah, ich hab schon wieder Kohldampf. Ich hol jetzt erst mal Pommes oder so. Die gehören für mich irgendwie zu Freibad. Wie der Geruch von Sonnencreme, Sonne und Chlorwasser. Ich brauch dich ja nicht fragen, ob du auch was willst oder?", fragte er und sie schüttelte den Kopf.

„Nein, aber danke", erwiderte sie und er nickte nur, ehe er aufstand.

Er ließ sie allein und sie stöhnte auf. Wie bekloppt war sie? Er brauchte keine Kindheitstraumata zu erfahren, oder? Interessierte doch nicht. Und das mit den Tagen hätte sie ihm ja auch nicht auf die Nase binden müssen. Wieso konnte sie in seiner Nähe einfach nicht die Schnauze halten? Heute war es auch extrem. Sie sollte sich einen Maulkorb verschreiben! Sie holte ihr Drehzeug aus ihrer Tasche und dachte sich, dass sie, wenn sie an einer Zigarette zog, die Klappe hielt.

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Er schlenderte zurück zu ihrem Platz und sah, dass Anna gedankenverloren an einer Kippe sog. Ihr Fuß wippte zu der Musik, die aus einem Radio aus der Nähe drang. Es hatte ihn berührt, dass sie ihm all das offenbart hatte. Heute sprach sie wirklich viel. Ohne, dass er nachfragen musste. Er stutzte. Hatte sie da am Bein ein Tattoo? Tatsächlich. Wie kam man mit 17 zu einem Tattoo? Er schüttelte den Kopf. Dieses Mädchen war wirklich ein Knallbonbon. Man wusste nie, womit sie einen überraschte. Er merkte, wie sie zusammenfuhr, als er sich wieder neben sie setzte. Er reichte ihr wortlos den Becher, den er ihr mitgebracht hatte.

Als sie fragend die Augenbrauen hob, scherzte er: „Flüssiges Mittagessen. Kaffee mit Milch und einem Zucker."

„Oh, äh, danke. Das ist lieb", sagte sie sofort und er zuckte mit den Achseln.

Er schob sich ein Pommes in den Mund und fragte: „Wieso hast du ein Tattoo? Überhaupt ... muss man dazu nicht 18 sein?"

Jetzt wanderte ihr Blick automatisch zu der Schleiereule, die sich an der Seite ihrer Wade aufplusterte und zuckte mit den Achseln, ehe sie erwiderte: „Schon ja. Aber das muss man beim Rauchen auch und trotzdem tu ich es. Oder für Schnaps und den hab ich auch schon getrunken. Egal. Ja, na ja. Wieso hab ich ein Tattoo? Ich wollte etwas kaschieren. Wie kommt man dazu? Man schiebt seiner Mutter, die im Halbschlaf ist, eine Einverständniserklärung unter die Nase und sagt, das wäre was für die Schule."

Mein Name ist dick und hässlichWhere stories live. Discover now