20 - Zusammenstoß

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Heute war Anna noch schweigsamer und wortkarger als sonst. Dafür sprachen Hartmut und Alina umso mehr. Vor allem ihr Stiefvater ließ wieder keine Gelegenheit aus, um Anna vor Augen zu führen, was er von ihr hielt. Und wie immer kochte er innerlich, während sie schwieg. Wie konnte man nur so ein Arschloch sein?

„Anna, warst du wieder am Kühlschrank und hast den Saft getrunken? Da stand mein Name drauf! Weißt du, fett zu sein, ist das eine. Aber wie man aufs Gymnasium gehen kann, ohne lesen zu können...", maßregelte Hartmut weiter und Florian sah, wie Alina blass wurde.

‚Aha. Sie hat den Saft getrunken. Wieso wird hier wegen Saft ein Aufriss gemacht?', fragte er sich gerade, als von Anna kam: „Es reicht jetzt. Ich war das nicht, ok? Aber wenn dir der Saft so wichtig ist, weil der ja 90 Cent kostet, dann besorg ich dir gerne welchen. Aber hör endlich auf, mich als fett und dumm zu beschimpfen. Ich hab es so satt, dass immer, wenn was von deinen geheiligten Lebensmitteln wegkommt, automatisch die fette Anna dran schuld ist. Aber egal. Ich kenne es ja nicht anders. Also wieso rege ich mich darüber auf?"

Allen anderen am Tisch fielen - genauso wie ihm selbst - die Unterkiefer fast auf den Teller, als Anna daraufhin auch noch aufsprang und die Küche verließ.

„So nicht, junge Dame!", schrie Hartmut jetzt und Florian hörte, wie Anna schnaubte.

Er beeilte sich, ihr zu folgen, und sah, dass sie dabei war, Schuhe anzuziehen. Sie war wirklich wütend, stellte er fest. Wortlos zog er sich ebenfalls seine Sneaker an und folgte Anna, die wutentbrannt das Haus verließ.

„Was hast du vor?", fragte er leise und sie zuckte mit den Schultern.

„Ich kauf ihm einen Jahresvorrat von seinem beschissenen Saft, damit ich endlich meine Ruhe hab. Boah, er kotzt mich einfach nur noch an. Wieso muss ich mir das ständig geben? Egal, was schiefläuft, Anna war's. Sobald es was mit Lebensmitteln zu tun hat, war's die Fette. Es kotzt mich so an, dass ich gerade nicht mal Luft bekomme. So sauer bin ich gerade. Blöder Schmalspurwichser. Vielleicht sollte ich ihm auch noch sein beschissenes Bier kaufen, dann ist er nicht mehr ganz so ekelhaft. Doch schon, auf eine andere Art, aber egal", fauchte sie und stieg tatsächlich auf ihr Rad.

Er beeilte sich, ihr zu folgen, und sie lenkte das Fahrrad tatsächlich zum nächsten Supermarkt, stürmte hinein und kam, noch bevor er sein Rad abgeschlossen hatte, wieder mit dem Arm voll Saft aus dem Laden geschossen. Sie warf ihn in ihren Gepäckkorb und war schon wieder auf dem Weg zurück, ehe er schalten konnte. Sie kochte wirklich. Erneut radelte er ihr hinterher und fragte sich, was er tun konnte, damit sie sich beruhigte. Doch da war offenbar nichts, denn als sie in ihre Einfahrt bogen, knallte sie das Fahrrad gegen den Zaun und stürmte nach drinnen. Im Vorbeigehen streifte sie sich ihre Schuhe von den Füßen und stellte sie nicht, wie sonst, sauber nebeneinander, sondern lief in den Flur.

Er war immer noch beschäftigt, seine Sneaker auszuziehen, als er hörte: „Hier! Freu dich und erstick dran! Ich hoffe, er schmeckt dir! Ach ja, ich hab dir noch ein Geschenk mitgebracht, damit du deine Lebensmittel in Zukunft auch schützen kannst, vor der gefräßigen Anna! Da, jetzt kannst du den Kühlschrank mit einem Vorhängeschloss sichern! Ich hoffe, du wirst glücklich damit!"

So sprichst du nicht mit mir, verstanden? Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst...", fuhr offenbar Hartmut auf und Anna unterbrach ihn rüde.

„Ich würde an deiner Stelle mal überlegen, wie du mit Alina oder mir sprichst! Wie es in den Wald hinein schreit, so schreit's raus, oder? Ist das nicht ein Lieblingsspruch von dir? Wenn Mama da ist, tust du immer auf armer, armer Hartmut, aber im Endeffekt, bist du nichts anderes als ein ... ich spar's mir. Lass dir den Saft schmecken und nicht vergessen, das Vorhängeschloss vor dem Kühlschrank anzubringen, ja?", erwiderte sie und kam in dem Moment in den Flur, als er nach nebenan gehen wollte.

Mein Name ist dick und hässlichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt