7. Gedankenspiele

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Geschockt stieß ich ihn von mir weg und sah ihn entgeistert an.
„Sorry." Murmelte er und leckte sich über die Lippen.
„Ich sollte gehen." Sagte ich mehr zu mir, als zu Timo, der schuldbewusst auf den Boden sah.
„Hanna, es tut mir leid, wirklich! Ich-ich.." er brach ab, weil er keine triftige Begründung für diesen Kuss hatte.
Klickend fiel die Tür ins Schloss und ich lehnte mich völlig fertig gegen die Wand.
Wieso küsste er mich einfach, während er im Liebeskummer versank?
Timo und ich hatten uns im Guten getrennt, keinem von uns beiden schmerzte die Trennung,
wir wussten beide, dass unsere Beziehung kein Sinn ergeben würde. Eine Fernbeziehung war einfach nichts für mich.
Anderweil kam mir der Gedanke, dass Timo mich vielleicht noch immer liebte.
Vielleicht war seine Freundin der Ersatz für mich, die nötige Ablenkung und eben kamen alle Gefühle hoch und haben ihn überrannt?
Seufzend strich ich mir die Haare aus der Stirn und versuchte krampfhaft eine ansatzweise gute Begründung dafür zu finden, was vor nicht mehr als drei Minuten passiert ist. Es erschreckt mich, dass ich nichts gespürt habe.
Keine alten Gefühle, die sich in meinem Magen ausbreiteten, keine Funken Hoffnung, dass aus Timo und mir wieder etwas wird. Nichts.
„Alles klar bei dir?" mein Blick wanderte von dem monotonen Lineulboden des Treppenhauses auf zu einem jungen Mann, der mir als Timo's Nachbar bekannt war. Ein wenig prüfend sah er mich an.
„Ja." Ich rang mir ein Lächeln ab und stieß mich an der Wand ab, um meinen Weg nach Hause anzutreten.
Ich wagte noch einen Blick nach oben, der sofort den des Nachbarn trafs, der mich misstrauisch begutachtete.
„Sicher?" fragte er und ich seufzte leise. „Ja, wirklich. Danke der Nachfrage." Und dann trat ich ins Freie.

Der Winter schlich sich durch Stuttgart und das Wetter flüsterte dir leise „Hallo Grippe" in den Nacken.
Die Kälte kroch durch meinen Parker, als ich aus dem Treppenhaus trat und mich auf den Weg zur Universität machte.
Ab und zu holte ich mir dort Tipps bei meinem ehemaligen Dozenten, der mich auf dem Weg durch mein Literatur Studium begleitet hat.
Einzelne Schneeflocken vermischt mit kalten Regentropfen peitschten umher und da ich mal wieder vergessen hatte mein Auto zu tanken, musste ich zur S-Bahn Station.
Flüchtig drängelte ich mich durch die Menschen in die rettende S-Bahn, wo ich mich mit kalten Gliedern auf den Sitz fallen ließ.
„Hey Hanna!" Carlos Stimme drang durch die Menschen hindurch, einen Moment später stand er mir gegenüber und grinste.
„Hey! Ganz allein?" fragte ich, aber er schüttelte den Kopf, kaum später tauchte ein weiterer junger Mann auf, der mir zu bekannt vorkam.
„Du?" ich sah ihn an. Vor mir stand Timos Nachbar aus dem Treppenhaus. „Ihr kennt euch?" Carlo sah zwischen uns hin und her und ich nickte.
„Der Nachbar von meinem Ex." Er sah mich mit großen Augen an. „Timo is' dein Ex?" fragte Carlos Kumpel und ich seuzte. „Ich bin Hanna.
Vielleicht kennst du mich ja noch. Hab damals bei ihm gewohnt." Ich stand auf und reichte ihm meine Hand. „Lucca." Meinte er und nickte.
Lucca wollte mich was fragen, als meine Station erreicht war und ich mich rasch verabschiedete, ehe es mich wieder raus in das nass-kalte Elend trieb.


Carlo
Lucca und ich mussten zwei Haltestellen weiter raus.
Ich vergrub meine kalten Hände in meinen Jackentaschen und sah auf den nassen Apshalt.
„Ich glaub, die hatten Stress." Meinte Lucca und ich sah auf. „Hanna und ihr Ex?" er nickte.
„Ich hab sie gesehen, als sie vor seiner Wohnung an der Wand lehnte. Die sah völlig durch den Wind aus. Richtig krass. Hab' sie gefragt, ob was ist, aber daraufhin ist sie abgehaun'." Er zündete sich eine Kippe an und blies genüsslich den Rauch aus.
„Aha." Nachdenklich sah ich wieder auf den Boden. Hanna hatte mir gar nicht erzählt, dass sie einen Freund, okay Ex Freund, hatte.
Und von dem Stress hatte sie auch nichts erzählt. Vielleicht sollte ich sie darauf ansprechen, vielleicht will sie ja drüber reden.
Lucca begleitete mich noch in meine Bude, wo wir ein paar Flaschen Becks köpften, ehe er auch abhaute und ich alleine war.
Ich schnappte mir im Gehen mein IPhone von der Anrichte und tippte eine Nachricht an Hanna;
„Lucca hat mir von dem Stress zwischen dir und deinem Ex erzählt, alles klar?" und schickte sie ab.
Mein Blick glitt zu meinem Musikzeugs und irgendwie hatte ich auf einmal Bock, ein Mixtape raus zu hauen.
Die Lines schwirrten seit Tagen in meinem Kopf und irgendwie fehlte mir nur die Ruhe, sie aufzuschreiben und den Beat zu bauen.
Und jetzt hatte ich diese Ruhe.


Hanna
Ich starrte Carlos Nachricht einen Moment lang nur an. Mir war klar, dass er es von Lucca wusste, aber woher er das wusste, war mir unerklärlich. #
Aber ich hatte das Bedürfnis zu reden. Und vielleicht war Carlo die richtige Ansprechperson.
Er kannte Timo nicht und wusste nichts über unsere Beziehung, also würde er die Sache neutral angehen lassen.
Meine Finger flogen über meine Handytastatur.
„Reden wäre vielleicht ganz gut, bin grade an der Uni fertig."
„Ich kann dich abholen, bin in 10 Minuten da." Und dann war er offline.

Schweigend fuhr er uns zu ihm, wo wir uns die Jacken auszogen und ich mich ein wenig in seiner Wohnung umsah.
Eine Zimmertür stand sperrangelweit auf, also konnte ich einen Blick auf einige Blätter Papier, bekritzelt und beschrieben, erkennen und viele Musiksachen.
„Machst du Musik?" Carlo war in der Küche verschwunden.
„Ach, manchmal bloß. Hatte eben eine gute Phase und hab was hin gekritzelt." Antwortete er und ich gab mich mit dieser Antwort befriedigt.
Ich setzte mich aufs Sofa, als Carlo mit zwei Gläsern Cola reinkam und sich neben mich setzte.
„Und was ist jetzt gewesen?" meinte er nach einem leisen Räuspern und ich nickte.
„Timo ist mein Ex." Sollte ich Carlo jetzt wirklich meine ganze Beziehung offenbaren?
Ihn in eine der privatesten Geschichten hineinziehen? Ich kannte ihn nicht mal ein ganzes Jahr.
„Er war während unserer Beziehung jede Woche in Hamburg, wegen seiner Arbeit." Ich spielte nervös mit meinen Fingern.
Wie würde Carlo darauf reagieren? Vielleicht lachte er mich gleich aus.
„Wir haben uns getrennt, weil eine Fernbeziehung für beide nicht in Frage kommt. Ich meine, was soll ich mit einem Freund, der nie da ist?
Meine Freuden nicht teilt, mich nicht in den Arm nimmt, wenn ich ihn brauche?" Ich hatte wirklich gedacht, dass Timo die Liebe meines Lebens ist.
Die Trennung war wie ein Faustschlag, aber es war das Richtige.
„Er hatte lange Zeit eine neue Freundin in Hamburg. Sie hat ihn betrogen, bei ihm zuhause. Ekelig." Noch ein paar wenige Sätze und Carlo wusste mehr von mir und Timo, als manch andere Freunde von mir.
„Wir sind immer noch Freunde, also wollte ich ihn trösten, für ihn da sein." Ich atmete aus.
Wieso hatte ich die Luft angehalten?
„Und dann hat er mich geküsst." Und damit war es raus.
Eine Atemstille breitete sich aus und ich dachte bereits, dass Carlo nicht mehr zugehört hatte, als ich aufsah und seine braunen Augen auf mir ruhen. „Und du glaubst, dass seine Ex bloß eine Ablenkung war, damit er nicht an dich denkt?" seine Stimme klang ruhig. Ich nickte bloß.
„Ich-ich hab bloß Angst, dass unsere Freundschaft wegen alten Gefühlen zerbricht." Jammerte ich leise und lehnte mich zurück.
„Wird sie nicht. Lass' Gras drüber wachsen, der meldet sich schon und wird dir erklären, weshalb er dich geküsst hat. Zerbrech' dir deswegen nicht den Kopf." Er lächelte. Ja, vielleicht hatte er Recht. Wieso sollte ich mir den Kopf zerbrechen?
Wir waren seit über einem Jahr getrennt, ich hatte keine Gefühle mehr für ihn. Jetzt musste er mir erklären, was das sollte.
„Danke." Mein Blick suchte seinen, die ruhigen braunen Augen musterten mich und sein Lächeln entlockte mir ein Grinsen.

Ich will nur dich.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt