29. Was machst du nur

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„Carlo!" mit einem Satz war ich bei meinem Freund. Er hielt seine Hände auf seinen rechten Unterbauch gepresst und atmete schwer. Auf seiner Stirn standen Schweißperlen.

„Scheiße, Carlo! Was machst du denn?!" ich fingerte mein Handy und wählte ohne groß nachzudenken die Notzentrale an. In dieser Sekunde hoffte ich, dass meine wage Vermutung nicht der Wahrheit entsprach.

„Seit wann haben Sie diese Bauchschmerzen?" die Sanitäterin hatte Carlo das Shirt über den Oberkörper gezogen und ihm eine Sauerstoffmaske um den Hals an die Nase geklemmt.
„Seit... seit knapp einer Woche. Oder zwei, ich weiß nicht genau." Er presste die Worte förmlich heraus.

„Und sonst? Appetitlosigkeit? Fieber? Schwindel?" fragte sie durch, aber da nahm ich Carlo die Antwort ab.
„Er isst seit knapp einer Woche kaum und Fieber hat er auch." Sie sah mich nickend an.
„Irgendwelche Allergien oder Krankheiten?"
„Nicht das ich wüsste, nein." Sie nickte wieder und hob Carlo mit ihrem Kollegen auf den Transportbarren.
„Ich vermute eine akute Appendizitis, der rechte Unterbauch ist schwer angespannt, die Notaufnahme weiß Bescheid, die schauen sich das an." Rief sie ihrem Kollegen zu und verwies mich auf den Sitzplatz im Krankenwagen. Ich hatte glaube ich noch nie mehr Angst um Carlo, als in dieser Situation.

Solche Schmerzen hatte er noch nie und ich bin davon ausgegangen, dass die Appetitlosigkeit bloß eine Phase war. Mir war bewusst, was eine Appendizitis war. Das war eine Blinddarmentzündung und ich hoffte so sehr, dass sein Blinddarm noch nicht gebrochen war. Denn dann würden wir richtig tief drin sitzen. Dann würde er richtig tief drin sitzen.

„Sie müssen hier warten." Die Sanitäterin schob mich ein Stück zurück, an ihrer Schulter vorbei sah ich Carlo, der ins Behandlungszimmer geschoben wurde.
„Muss er operiert werden?" fragte ich panisch und sie seufzte.
„Wahrscheinlich müssen wir Ihren Freund operieren, aber das machen die Ärzte hier täglich, da besteht kaum ein Risiko, Frau Tiekler. Rufen Sie jemanden an, trinken Sie einen Kaffee und warten Sie. Mehr können Sie leider nicht tun." Sie lächelte tröstend und entkräftet fiel ich auf den Stuhl hinter mir. Alleine in der Notaufnahme, während mein Freund möglicherweise um sein Leben kämpft.

Mein erster Anruf ging an Flo. Er war ein Glück zuhause und Pia würde auch mitkommen, ich solle ihnen zehn Minuten geben.
Als sie ankamen, brach ich doch in Tränen aus. Eine Blinddarmentzündung war normalerweise harmlos, aber Carlo hatte mir die beiden Wochen nichts erzählt und es kann sein, dass sein Blinddarm gebrochen ist und all das, was sich dann dadrin befinden sollte, in seinem Magen herumschwimmt.

„Süße, alles wird gut." Pia nahm mich beruhigend in die Arme.
Ausgerechnet so kurz vor der Tour, was wenn Carlo nicht wieder fit wird?

„Carlo packt das schon. Ich geh schnell Kaffee holen." Er drückte meine Hand und schnappte sich Pias Geldbeutel, ehe er auf dem Gang verschwand.

„Ich hab einfach nichts gemerkt, rein gar nichts." Es waren zwei Stunden vergangen und wir drei saßen erschöpft im Wartebereich. Bei jeder Schwester sahen wir hoffnungsvoll auf, aber keiner wusste was.

„Frau Tiekler?" ein älterer Arzt sah sich suchend auf dem Gang um. Ich sprang beinahe auf und lief auf ihn zu.
„Wie geht's ihm?" fragte ich und sah vorbei ins Behandlungszimmer, aber da war kein Carlo.
„Wir haben Ihrem Freund den Blinddarm entnommen. Er war noch nicht ganz gebrochen, aber sehr kurz davor. Wir behalten ihn die nächste und möglicherweise auch noch übernächste Nacht auf Beobachtung hier, Frau Mensen wird Ihnen das Zimmer zeigen." Ich nickte und auch Flo und Pia folgten der Schwester eine Station rauf, wo Carlo ein Einzelzimmer bekommen hatte.

„Carlo!" lächelnd zog er mich runter zu einem Kuss.
„Was machst du nur für Blödsinn!? Mach das nie wieder!" ich konnte gar nicht wirklich böse auf ihn sein.
„Es tut mir leid, Baby." Nuschelte er und schloss die Augen. Er schien so müde, so zerbrechlich und klein. Er wollte nicht schwach wirken vor mir.

Flo und Pia grüßten ihn und gemeinsam redeten wir noch, aber Carlo hatte irgendwann keine Kraft mehr und dämmerte weg.

„Sollen wir dich mitnehmen?" Flo nahm mich in den Arm und ich nickte. „Bitte."

Ich zeriss mir den Kopf in der Nacht darüber, wieso Carlo mir nichts gesagt hatte. Er brauchte nicht stark sein. Nicht wenn es um seine Gesundheit ging.
Er hätte draufgehen können und der Gedanke schien ihn kalt zu lassen.
Jeder Mensch zeigt Schwäche, Schwäche ist normal. Vielleicht wird sie nicht immer akzeptiert, aber Carlo war perfekt von Kopf bis Fuß. Seine Schwäche ist auch meine, er war meine Schwäche.

Was würde beim nächsten Mal sein? Wenn er einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall bekommt? Will er mir dann nichts sagen, um stark zu sein? Will er für sowas lieber drauf gehen?

Ich wand mich von rechts nach links, aber er war nicht hier. Leere bedrückte mich.
Und diese Leere war noch bedrückender als meine Gedanken.



Heute bisschen kürzer, aber es ist zu heiß!
Sorry, das das Kapitel jetzt erst kommt, war leider nicht daheim.

Über Feedback freue ich mich sehr!

Wir lesen uns Donnerstag! a.


Ich will nur dich.Where stories live. Discover now