38. Du bist nicht mehr da

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Der nächste Blitz zuckte über den Himmel, direkt gefolgt vom einem hereinschlagendem Donner.
Im Augenwinkel sah ich Luis, der sich im Auto vor dem Regen geschützt hatte und mich fordernd ansah. Ich sah Carlo, direkt vor mir, seine Augen matt, ich sah meine Eltern, Pia und Florian.
Ich spürte meine Hand, die den Tür Knauf des Mercedes aufzog und ich spürte, wie sich mein Körper in den Mercedes setzte und die Tür zu knallte.
Und in diesem Moment habe ich mich für das Geld entschieden, gegen die Menschen, die ich liebe, für Luis.
Ich habe mich gegen die Liebe meines Lebens entschieden, die plötzlich nur noch eine Beziehung gewesen ist. Mein innerlicher Bleistift zog einen Schlussstrich.
Der Mercedes fuhr die Straße runter, mein altes Leben wischte ich wie Dreck von meiner Schulter.

„Mach dir keine Gedanken, du wirst Amerika lieben." Schwärmte er und ich nickte bloß.
Meine Augen pochten von Weinen und Stuttgart zog an mir vorbei. Wir waren auf dem Weg zum Flughafen, wo Samuel auf uns warten würde.
Vor meinen Augen sah ich immer nur den getroffenen Blick von Carlo, wie er mich ansah, wie er weinte. Und dann fragte ich mich, was in mich gefahren war. Ich habe meine Eltern zurück gelassen, für Geld. Für ein paar Scheine, die mein Leben bereichern sollten. Was tue ich hier eigentlich?

„Halt an." Meinte ich leise und Luis sah mich kurz an.
„Bitte?"
„Ich hab gesagt, du sollst anhalten." Forderte ich und er fing an zu lachen.
„Hanna, das ist eine Kurzschlussreaktion. Am Flughafen frühstücken wir beide was und dann wird das schon." Er grinste.
„Wenn du nicht sofort anhältst, dann ruf ich die Bullen!" zischte ich und sein Lächeln erlosch. Seine Finger krallten sich augenblicklich enger um das Lenkrad.
„Hör mir mal gut zu, ich hab dich nach oben gebracht und dank mir wirst du es noch viel weiter bringen. Ich werde jetzt nicht anhalten und du wirst auch nicht die Polizei rufen, meine Liebe." Er drückte aufs Gaspedal und ich erkannte, was Carlo die ganze Zeit gemeint hat. Seine Arbeit war vielleicht professionell, aber man kam aus dieser nicht wieder raus. Und plötzlich pochte mein Herz. Er hatte die ganze Zeit Recht gehabt, Carlo wollte mich nur beschützen! Es ging ihm nur um Luis und was für ein mieser Mensch war und ich bin hoffnungslos drauf reingefallen.
Ruhig bleiben, Hanna. Du hast dich in diese Situation gebracht, also wirst du da auch wieder geschickt rauskommen.

Ich wartete ab, bis wir den Flughafen erreichten, entschuldigte mich für meine Reaktion im Auto und ging dann kurz auf Toilette, wo ich mein Handy zückte.
„Hey babygirl." Nicolas Stimme schmunzelte am anderen Ende.
„Nicolas, du musst mir helfen." Meine Stimme zitterte.
„Ich sitz am Stuttgarter Flughafen und muss hier weg, bitte Nici."
„Was hast du ein Glück, dass ich für dich gerne mein Meeting sausen lasse. Gib mir zehn Minuten." Das schnelle Tuten in der Leitung erleichterte mich. Wie dumm bin ich gewesen, Carlo aufzugeben? Den einzigen Mann, der mich glücklich machte, für ein paar Scheine im Stich zu lassen? Ich werde mich bei Carlo entschuldigen, bei meinen Eltern, Pia und Flo. Was war ich für ein egoistischer, penetranter Mensch in den letzten Monaten? Und wie hat Carlo es geschafft, mir das noch zu verzeihen? Ich konnte mir in diesem Moment nicht einmal selber verzeihen.

„Babygirl?" Nicolas Stimme hallte durch die Toilette und erleichtert öffnete ich die Tür, um ihm in die Arme zu fallen.
„Bitte, ich muss hier sofort weg, ich erkläre dir das nachher, Nici." Er nickte und gemeinsam verließen wir die Toilette.
„Hanna?!" Luis' rauchige Stimme hallte mir hinter her. Verzweifelt sah ich zu Nici, der sich meine Hand schnappte. „Lauf." Und ab da rannten wir, als wenn hinter uns der Tod wartete.
Sein Auto trug uns zurück zu Carlos Wohnung, vor der mir erneut Tränen in die Augen traten.
„Kannst du mit hochkommen?" flüsterte ich und Nicolas nickte sofort. „Immer."

In der Wohnung empfing mich kurze Stille, mein Herzschlug bis in meinen Hals, als ich rasch die Tür schloss und Richtung Wohnzimmer ging. Das Bild, was sich mir bot, brachte mich dann doch zu weinen.
Meine Eltern saßen bei Carlo, dessen Augen gerötet waren. Sie blickten mich unglaubwürdig an, keiner traute sich etwas zu sagen. Mein Mund war trocken, die Tränen brannten in meinen Augen.
„Es tut mir so leid." Wimmerte ich und fiel beinahe in die Arme meiner Eltern.
Carlo saß stumm auf dem Sofa und starrte vor sich hin.
„Komm Nicolas, wir reden gleich mit ihr." Meine Mutter schnappte sich die beiden und ließ mich mit Carlo alleine.

„Carlo, es tut mir so leid." Ich wischte mit dem Handrücken über meine Wange und setzte mich ihm gegenüber.
„Du bist wieder zurückgekommen." Ich nickte.
„Für dich. Ich hab eingesehen, was ich für ein dummer Mensch war." Er nickte,würdigte mich keines Blickes.
„Warum bist du für mich zurückgekommen?" seine Stimme wurde leiser.
„Weil ich dich liebe, Carlo." Meine Hand wollte seine greifen, aber er zog sie zurück.
„Wenn du mich lieben würdest, wärst du gar nicht erst gefahren." Bei dem Satz traf sein eiskalter Blick meinen und es fühlte sich an, als wenn man mir eine Ohrfeige verpasst. Er war aufgestanden und tigerte durchs Zimmer.

„Carlo, bitte." Wimmerte ich und sank in mir zusammen.
„Hanna, ich kann das nicht mehr." Seine braunen Augen waren getränkt in heißen Tränen, die er nur schwer zurückhalten konnte.
„Gib uns nicht auf." Wisperte ich und schluchzte leise.
„Dann beantworte mir eine einzige Frage: Wie soll es jetzt weitergehen?" erwusste genau, dass ich keine Antwort für ihn habe. Das ich nichts sagen konnte,weil ich es selber nicht wusste. Weil wir beide keine Ahnung hatten, wie und ob es überhaupt weitergeht. Stattdessen saßen wir uns gegenüber, schwelgten einen letzten Moment in Erinnerungen, ehe es in einem zerplatzte, wie eine Seifenblase.

„Die einzige, die uns aufgegeben hast, warst du." Flüsterte er zum Abschied.
Schwach stand ich auf und verließ ohne weiteres das Wohnzimmer, zog die Tür hinter mir zu und brach dann endgültig an ihr zusammen.
„Babygirl." Nicolas rutschte neben mir, meine Eltern sahen mich bedauernd an.

Ich habe ihn verloren. Ich habe ihn endgültig verloren, den Menschen, der mir alles bedeutet. Wegen dem ich lache, wegen dem ich morgens den Grund hatte,aufzustehen. Er ist weg. Das wars.
Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht einmal mehr weinen konnte, weil mit ihm alles gegangen war, was mich ausmachte.

Meine Eltern und Nicolas setzten mich ins Auto, die Fahrt nach München bekam ich kaum mit. Erst als Nicolas mich in mein Bett legte, meine Stirn küsste und gehen wollte, krächzte meine Stimme.
„Ich habe es kaputt gemacht."
Er drehte sich um und biss sich gekränkt auf die Lippe.
„Du musst mir das nicht erzählen, wenn du es nicht willst." Aber ich erzählte es ihm. Ich erzählte ihm alles, jedes kleinste Detail, jeden Preis und jedes Gefühl. Und er schwieg. Er ließ mich ausreden, nickte und war bei mir. So wie früher, unter der Decke, er hat mich in den Arm gezogen, er baute meine Welt wieder auf.
„Und jetzt ist er weg." Mein Mund war trocken.
„Ihr findet euch. Glaub mir, das wird wieder." Mehr konnte Nicolas jetzt auch nicht sagen, ohne dass ich wieder an heißen Tränen erstickte.
Und wahrscheinlich war Nicolas in diesem Moment der einzige Halt in meiner kleinen, kaputten Welt.

Sonntag!

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Wir lesen uns Donnerstag! a.

Ich will nur dich.Where stories live. Discover now