47. Schock

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Ihre Hand, geziert von noch vorhandenen Blutsprenkeln, war warm und schmiegte sich perfekt in meine. Meine Augen wussten nicht, welche Zerstörung sie zuerst ansehen sollten, sie war nicht mehr die Hanna, die heute Morgen neben mir im Bett lag.
Ihr rechtes Auge war blau und geschwollen, ihre langen Wimpern kaum mehr zu erkennen, ihre Lippe, die sonst warm und weich meine berührten, war aufgeplatzt und durch ein kleines weißes Pflaster erstversorgt. Sie trug eine Halskrause, ihre Nacken und die Verletzungen waren meinen Augen versteckt. Sie hatte ein Sauerstoffgerät im Mund, das mit Klebestreifen befestigt worden war, während sich ihr Brustkorb schnell auf und ab senkte. Sie trug eines dieser schlichten Krankenhaushemden, unter dem man deutlich einen Verband an den Rippen erkannte.
Dann kam die weiße Decke, die mir die restlichen Verletzungen ersparte und ich wagte mich auch nicht, ihre zierlichen Beine zu begutachten. Es piepste, das Gerät nahm ihren Puls auf und darunter erkannte ich ihre pulsierenden Herzlinien.
Ich spürte ein paar wenige Tränen, die sich gegen meinen Willen über meine Wange kämpften und sich an meinem Kinn sammelten, ehe sie am Boden zerschellten.
„Herr Waibel, ich weiß, es ist schwer, aber Sie müssen gehen. Ihre Freundin braucht Ruhe, kommen Sie morgen früh wieder, Sie können hier niemandem helfen." Der Arzt sah mich aufbauend an und ich nickte.
Basti hatte bereits ein Hotel gebucht, das dem Krankenhaus beinahe angrenzte, auf der Fahrt fischte ich mein Handy heraus und suchte die Nummer von Linda, Hannas Mama, heraus.
Es war halb 2 Uhr in der Nacht, aber nach dem vierten Klingeln nahm sie ab.
„Carlo?" sie klang verschlafen.
„Hallo Linda." Meine Stimme war heiser.
„Carlo, ist was passiert?" ich schluckte stumm und unterbrach die aufkommenden Tränen.
„Hanna hatte einen Autounfall." Presste ich hervor und schnappte notdürftig nach Luft. Stille am anderen Ende empfing mich.
„Carlo... wo ist sie? Geht es ihr gut?" ihre Ruhe beruhigte mich ein wenig.
„Sie ist in der Frankfurter Allgemein Klinik. Es geht ihr soweit..." ja, wie ging es hier? Verschwommen zwischen Narkosemittel und Schmerzen. „Ganz okay." Beendete ich meinen Satz. Ich hörte, wie sie im Hintergrund ihren Mann weckte.
„Wir werden uns sofort auf den Weg machen. Danke, Carlo." Ich nickte bloß und sah auf die schwarze Nacht.
„Wir sehen uns." Dann legte ich auf und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Das musste doch alles ein schlechter Albtraum sein.

Hanna

Der schwarze Schleier schien sich aufzulösen und alles in meinem Körper schrie, dass er bleibt. Jede Zelle klammerte sich an ihn, jeder Muskel schien ihn aufzuhalten, aber er entriss sich gewaltsam und hinterließ aufkommende Spuren von brennenden Schmerzen.
Automatisch entfuhr mir ein krächzend schwacher Aufstöhner vor Schmerzen und ich presste meine Augen aufeinander.
Irgendein nervtönendes Piepsen drang an mein Ohr und am liebsten würde ich Carlo anbrüllen, er soll sein Wecker ausmachen. Aber da war kein Carlo. Und auch kein Wecker.
Verschwommen nahm ich das Zimmer wahr, die sterilen weißen Wände, die keine Seele jemals einluden und der raue Stoff der Bettwäsche und meinen Fingern.
Schwaches Licht fiel auf mein Bett, sonst war der Raum abgedunkelt. Mein Blick glitt an die Scheibe, durch die ich einige Personen sah, bis mir klar wurde, dass die wegen mir da saßen.
Ich erkannte die braunen, zerzausten Haare in dem dicken hellblauen Hoodie, Carlo war eingenickt, sein Kopf lehnte auf seiner eigenen Schulter, neben ihm Flo, der seinen Kopf an die Wand hinter ihm abgelehnt hatte. Markus, der neben Carlo am Boden saß, tippte gedankenverloren auf seinem Handy herum.
Als die Tür aufging, regte sich keiner der drei draußen.
Ein älterer Arzt lächelte mich freundlich an und schloss leise die Tür.
„Frau Tiekler." Er begrüßte mich und trat an mich heran.
„Haben Sie Schmerzen?" ich nickte stumm.
„Sie hatten einen schweren Verkehrsunfall, Frau Tiekler. Sie hatten einen Schwächeanfall während der Fahrt." Ich schluckte und sah auf die Decke. Meine Erinnerungen drangen in ohrenbetäubenden Fetzen in meinen Kopf.
„Aber ich habe eine gute Nachricht für sie." Mein Blick glitt wieder in seine Augen.
„Es geht Ihrem Baby gut." Das Piepsen wurde schneller und ich riss meine Augen auf. Baby. Das Wort klang so fremd, als käme es nicht von dieser Welt.
„Baby?!" meine Stimme war trocken und belegt. Verwirrt runzelte er die Stirn.
„Sie sind in der 6. Woche schwanger, Frau Tiekler." 6. Woche, mein Gehirn ratterte die letzten 6 Wochen voller Stress und Arbeit ab.
„Ich-was?" mein Verstand schaltete aus.
„Sie wussten nichts von Ihrer Schwangerschaft? Normalerweise wird es spätestens ab der 5. Woche klar für Frauen, da sie dann aufgrund der Schwangerschaft an Übelkeit ebrechen." Er setzte sich, mein Blick glitt zu Carlo. Carlo, ich, Baby. Familie.
„Ich-ich war sehr beschäftigt." Murmelte ich und unterdrückte weitere Gedanken.
„Haben Sie mit ihm darüber geredet?" ich deutete zur Scheibe.
„Natürlich nicht. Herr Waibel ist nicht Ihr Lebensgefährte und daher ist er diesen Informationen ausgeschlossen." Ich atmete aus. Er darf das nicht wissen, nicht jetzt.
Ich nickte bloß.
„Die Schwester wird gleich noch einmal kommen und Ihren Verband wechseln, es ist bereits spät." Ich sank zurück ins Kissen und schluckte. Der Gedanke, dass in mir ein neuer Mensch wächst, war unerträglich und wunderschön zugleich.
Wollte ich nicht immer Kinder haben? Eine perfekte Familie? Ich erinnerte mich an Nicolas' Tochter Skyla, wie glücklich ich war, als sie bei mir auf dem Arm war. Ein so kleiner Mensch, dem ich ein Leben schenken kann. Und Carlo? War Carlo in meinen Augen nicht der perfekte Papa? In jener Hinsicht zumindest. Wenn man von seinem Job absieht.
Er war ständig unterwegs, ich hatte gerade einen neuen Job und dann ein Baby? Ein Kind, dass meine ganze Zeit beansprucht? Das könnte nie klappen, nicht mit Carlo. Nicht jetzt. Ich wusste nicht mal, ob er Kinder wollte. Ich dachte an den Abend der goldenen Hochzeit zurück, wo wir im Bett lagen und genau das Thema unsere Gedanken beanspruchte.
Ich weiß nicht. Eigentlich würde ich nein sagen, ich bin noch so jung, mein Job gibt kaum Zeit, aber mit dir ... vielleicht irgendwann mal hatte er gesagt. Und ich war mir sicher, dass dieses irgendwann mal nicht jetzt war. Nicht jetzt, wo seine Karriere richtig anlief.
Als die Schwester rein kam und meine Verbände wechselte, sah ich sie kurz an.
„Können Sie mir einen Gefallen tun?" ich wusste zwar nicht, woher mein Handy kam, aber es lag auf meinem Nachtschrank.
Und dann schrieb sie für mich eine Nachricht an Nala, dass sie herkommen sollte. Noch bevor ich einen Gedanken an Pia verschwand, wollte ich es Nala erzählen. Ich brauchte ihren Rat.
Und als die Schwester die Nachricht absendete, die Tür aufmachte, stand er da. Der Vater meines Babys. Unseres Babys.
„Carlo." Krächzte ich, dann lagen seine Lippen auf meinen.
„Baby, mach sowas nie wieder. Nie. Ich dachte, ich verliere dich. Ich dachte verdammte Scheiße, dass ich dich endgültig verliere." Er sah mich komplett verzweifelt an.
„Carlo, es geht mir gut." Ich rang mir ein Lächeln ab und drängte die Schmerzen in den Hintergrund.
„Verdammt, wie kam es dazu?" er sah mich traurig an. Dank einem Baby in meinem Bauch zu einem Schwächeanfall. Herzlichen Glückwunsch, du wirst Papa!
„Ich weiß es nicht mehr." Flo stand an der Scheibe und nickte lächelnd.
Seine Augen stierten über meine Verletzungen und ich schluckte. Sah ich so schlimm aus?
„Nala kommt morgen." Erzählte ich und er nickte. „Ist okay. Pia war die Tage auch da, aber sie musste auf ein Seminar. Sie kommt aber sofort wieder her, sobald sie wieder da ist. Und deine Eltern holen dir deine Klamotten, ich wollte hier nicht weg." Ich nickte. „Okay."
„Carlo, ich bin ziemlich müde." Bat ich höflich und er nickte.
Seine Lippen berührten zart meine Stirn, ehe er leise das Zimmer verließ und mir einen Moment später stumm verzweifelte Tränen über die Wange liefen.


Sonntag!

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Wer hätte jetzt an ein Baby gedacht ...

Wir lesen uns Donnerstag! a.

Ich will nur dich.Where stories live. Discover now