46. LKW

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Leise spielte das Radio die neuen Charts, während an mir die Autos vorbeizogen und ich irgendwo zwischen LKW's und kleinen Opels umher fuhr. Kaum waren wir von den drei Festivals wieder zuhause, musste ich nach Kiel, für eine Zwischenbesprechung mit Nala.
Die Fahrt von Kiel nach Stuttgart zurück dauerte gefühlte Tage, dabei war ich eben erst kurz vor Frankfurt angekommen.
Der Mercedes von Carlo war wirklich das beste Geschenk gewesen. Ich konnte auf die 120 km/h hoch, ohne dass es sich anfühlte, dass mein Auto jeden Moment auseinander bricht.
In meinem Kopf ließ ich all die Ideen von Nala und mir Review passieren und musste schmunzeln, wenn ich an ihre aufgeweckte Art dachte. Diese Frau hat niemals schlechte Laune. Und ihr Manuskript war bis jetzt wirklich etwas Besonderes, das es weit bringen könnte.
Ich blinkte und fuhr auf die linke Spur, wo ich an den Autos vorbeizog, die mir zu langsam fuhren.
Der Tag heute hat mir so viel Kraft geraubt, dass ich unfassbar müde war und das gab mir zu Bedenken. Ich hatte nie Probleme mit körperlicher Anstrengung, auch wenn ich heute wenig getrunken habe. Aber selbst jetzt fiel mir das Konzentrieren auf die Straße schwer und ich rieb mir mit der freien Hand kurz durch die Augen. Durch mein Kopf geisterte nur, wie unfassbar müde ich war und das, obwohl mein Herz gefühlt dreifach schneller heute schlug.
Meine Geschwindigkeit stieg, da ich unbewusst aufs Gaspedal drückte, dann vernahm ich nur noch lautes Hupen von meinem Hintermann, als mein Lenkrad nach links gerissen wurde und da nur noch die Scheinwerfer und das Quietschen eines LKW's waren.

Carlo

Die Uhr hinter dem Reporter der Stuttgarter Nachrichten zeigte kurz vor halb 10 an, das Interview dauerte bereits knapp eine halbe Stunde und das großen Thema: Meine Nominierung für den Swiss Music Award 2013.
Eine Krone und ein Bambi standen bereits zuhause im Regal, hier und da im Büro eine Schallplatte.
„Carlo, deine Konkurrenten ..." mein Handy fing an zu klingeln und entschuldigend sah ich auf das Display. Eine fremde, nicht gespeicherte Nummer. Es kam selten vor, dass Fremde anriefen, meistens welche, die ihre Nummer geändert haben. Ich zögerte kurz, ob ich abnahm, aber sah dann wieder auf.
„Entschuldigen Sie..." ich stand auf und strich den grünen Hörer.
„Carlo Waibel?" meldete ich mich und hörte eine laute Geräuschkulisse im Hintergrund, aufgeregte Menschenstimmen und ein lautes Atmen.
„Hallo? Hallo sind Sie Herr Waibel?" rief eine panische Stimme und mein Herz rutschte automatisch in die Hose.
„J-ja, wer ist denn da?" ich verließ den Meetingraum unter verwirrten Blicken.
„Ich habe Ihre Nummer im Auto gefunden! In einem alten Mercedes!" ich runzelte verwirrt die Stirn. War das ein Witz? Hanna war doch schon längst zuhause. Sie hatte um halb zwei geschrieben, dass sie losfuhr.
„Das Auto hatte einen Unfall! Eine junge Dame, sie-sie hatte einen Unfall!" rief sie panisch und einen Moment sagte ich gar nichts. Die Begriffe Hanna und Unfall passten in meinem Kopf nicht zusammen.
„Bitte?" ich stützte mich an der Wand ab. Dieser Anruf musste ein gemeiner Streich sein, jemand der sich verwählt hat oder mir Schaden anrichten wollte.
„Wir sind kurz vor der Ausfahrt Frankfurt, ein schrecklicher Verkehrsunfall, ihre Freundin wurde bereits abgeholt, mehr kann ich Ihnen nicht sagen, es tut mir leid!" und dann klickte es in der Leitung. Unfall, Hanna, Krankenhaus.
Es brauchte eine Sekunde, in der ich mein Handy wegsteckte und vier weitere, in der ich panisch im Meetingraum stand und meinen Rucksack vom Sofa riss.
„Basti, ich muss weg." Rief ich, Flo und Markus, die an ihren Laptops chillten, sahen alarmiert auf.
„Was?" er stand auf und der Reporter runzelte die Stirn.
„Hanna hatte einen Unfall, verdammt. Ich-ich muss dahin, Basti!" ich war tatsächlich den Tränen nahe und raufte mir wild durch die Haare, Flo war aufgesprungen.
„Ich fahr dich." Er zog unsere Jacken vom anderen Sofa und augenblicklich stürzte ich mit ihm runter zu meinem Auto.
„Die hat was von Ausfahrt Frankfurt gelabert, scheiße verdammt! Was, wenn sie gar nicht da im Krankenhaus ist?" ich schlug gegen das Armaturenbrett, Flo saß auf dem Fahrersitz und drückte auf das Gaspedal.
„Carlo, sie wird sicher in der Frankfurter Allgemeinklinik sein." Die folgenden 2 Stunden waren die qualvollsten meines Lebens. Mein Kopf malte sich die schlimmsten Dinge aus; Was, wenn sie schwer verletzt war? Was, wenn sie schon tot war? Meine Augen brannten von zurückhaltenden Tränen, mein Herz raste. Mein Mädchen, das mir immer so unfassbar nah war, kam mir urplötzlich so unfassbar weit entfernt vor. Und ich konnte nicht bei ihr sein.
Als wir endlich auf dem Parkplatz der Klinik standen, hetzte ich aus dem Auto ins Krankenhaus.
Den Schildern folgte ich in die Notaufnahme.
„Ich muss zu meiner Freundin!" rief ich, eine Schwester hielt mich auf.
„Die Besuchszeit ist zu Ende."
„Meine Freundin hatte einen Verkehrsunfall, ich muss zu ihr!" rief ich, überhaupt nicht bedacht meiner Wortwahl oder dem, wie ich hier auflief. Mein Kopf schrie mir immer wieder zu, dass ich jetzt bei ihr sein muss.
„Ihre Freundin?" sie sah in ihre Unterlagen. Dort stand sie wahrscheinlich ohne Namen drin, wer weiß, ob jemand nach ihren Papieren gesucht hat.
„Bitte, ich muss zu ihr." Sie musterte mich.
„Ihre Freundin wird gerade operiert, Herr..."
„Waibel. Was für eine OP?" Flo tauchte neben mir auf. Er hatte meinen Rucksack in der Hand und sah mich kurz an, ehe er sich ebenfalls der Schwester widmete.
„Eine Notoperation. Mehr weiß ich nicht. Warten Sie hier, ich werde Sie informieren, sobald sie raus ist." Flo nickte und zog mich zu den Sitzplätzen.
„Scheiße." Meine Augen füllten sich mit Tränen.
Irgendwo da lag sie jetzt, bewusstlos, während sie am Lebensfaden hing. Und ich saß hier, konnte ihr nicht helfen, ich hab sie im Stich gelassen. Ich hätte ihr einen Flug buchen sollen, sie nicht mit dem Auto durch ganz Deutschland fahren lassen sollen. Ich bin schuld an diesem verdammten Unfall.
Der Zeiger kroch langsam voran, bei jeder Schwester rutschte mein Herz weiter runter. Meine Finger zitterten und ich schaffte es keine zehn Minuten ruhig sitzen zu bleiben. Immer wieder schrie was in mir, was ich jetzt ohne sie machen würde. Wenn sie jetzt plötzlich nicht mehr da ist, mich nie mehr anlächeln wird, nie mehr meinen Namen in ihren Mund nahm. Wenn sie mich vor einem Auftritt nie mehr aufbauen wird, oder mich zuhause zum kuscheln unter die Decke zieht. Wenn wir nie wieder wir sein können. Ich schluckte.
Nach dem vierten Kaffee sah ich Markus und Basti die Station raufkommen.
Ich schüttelte bloß den Kopf, Markus ließ sich seufzend an der Wand hinunter, Basti suchte einen Arzt.
„Sie schafft das." Flo sah mich an. Verzweifelt, optimistisch, aufbauen. Ja, Flo. Ja, sie muss es schaffen.

„Herr Waibel?" ein älterer Arzt sah sich um, wir alle standen auf.
„Ja, ich." Ich trat nach seinem verwirrten Blick vor und er sah kurz auf seine Unterlagen.
„Ihre Freundin hatte einen sehr schweren Verkehrsunfall, Herr Waibel." Meine Lippen zitterten.
„Ein LKW hat das Auto Ihrer Freundin auf der Beifahrerseite getroffen." Es schien, als lief nebenbei in meinem Kopf ein Kinofilm mit. Und Hanna war die Hauptrolle in diesem Horrorfilm.
„Sie hatte einen Milzriss, ihre Rippe, die die Milz schützt, ist komplett zerbrochen." Er sah kurz auf seine Unterlagen und mir wurde übel.
„Ihre Freundin wurde mit einer intrakraniellen Hirnblutung eingeliefert, Herr Waibel." Ich musste mich an der Wand abstützen, zu viele schlechte Informationen drangen in diesem Moment auf mich ein. Er musterte mich kurz, ehe er sich räusperte und fortfuhr.
„Das heißt, dass das arterielle Epiduralhämatom infolge eines Schädel-Hirn-Traumas auftritt und die innenliegenden Gefäße auf dem Schädelknochen reißen. Sie können von Glück reden, dass ein Sanitäter dies sofort erkannt hat. Sonst wäre Ihre Freundin jetzt tot."
„Das heißt, sie hat es überlebt?" hörte ich meine Stimme, entfernt.
„Ja. Sie wurde intubiert, aber ihre stärker werdende Atmung wird dies in Kürze beenden. Sie hatte einen sehr guten Schutzengel." Ich nickte und sah zu den anderen, die aufmerksam zuhörten.
„Kann ich zu Ihr?" er schlug die Lider nieder.
„Ihre Freundin ist sehr schwer verletzt, Herr Waibel. Sie braucht Ruhe, damit ihr Körper all das verarbeiten kann und nicht eine Spätfolge auftritt. Nur kurz also." Ich folgte ihm die Station runter auf die Intensivstation, wo ich durch die Fensterscheibe ein schwach beleuchtetes Zimmer erkannte.
Und mitten in diesem Zimmer lag ein äußerlich komplett zerstörtes Mädchen.
Mein Mädchen.

Donnerstag!

Feedback wäre super, habe mir wirklich Mühe gegeben, die Stimmung rüber zu bringen...


Wir lesen uns Sonntag! a.

Ich will nur dich.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt