32. Familie

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Hanna

Nachdem Luis die grünen Scheine von Hand abgezählt hatte und ich das Geld meinem Vermieter gegeben hatte, fing ich an, meine Sachen zu packen.
Er beharrte auf seiner Kündigung und ich müsse vorrübergehend bei Lucca unterkommen, der zurzeit sowieso nicht zuhause war.
Er hatte geschrieben, dass das Wetter super wäre und er Johannes bei einem neuen Mixtape helfen wird, dass über Chimperator dann rausgehauen wird.

Carlo hatte ich seit unserem Streit nur flüchtig gesehen. Hier und da ein belangerloser Smalltalk, ehe ich wieder verschwunden war.
Er akzeptierte meine Entscheidungen nicht und das verletzte mich. Er soll das ruhig wissen, dass ich enttäuscht von ihm bin.

Meine Wohnung leerte sich. Die Möbel wirkten ohne Bilder und Unterlagen leer und verlassen, mein Optimismus war schon versiegt. Ich musste meine Tränen unterdrücken, als ich meine Bilder von meinem Nachtregal nahm. Carlo und ich, lachend auf seinem Balkon. Wir haben gegrillt, als es geschneit hat. Beide haben wir dicke Mützen auf, Carlo seine Handschuhe und seinen Schal, ich mit meiner Bratwurst an der Gabel. Im Hintergrund tanzende Schneeflocken und das leuchtende Stuttgart.

Eine Träne rollte aus meinem Augenwinkel, ich vermisste ihn so. Seine Berührungen, seine Küsse, seine Stimme und seinen Geruch. Ich lag nachts alleine im Bett, keine Arme, die mich von hinten umschlingen, kein Atem in meinem Nacken.
Mein Handy klingelte und zeigte eine neue WhatsApp Nachricht an.
Carlo <3: Ich vermisse dich.
Ich hielt mir während eines unterdrückten Schluchzers die Nachricht an die Brust und tippte danach zurück.
Ich dich auch.

Keine Minute später leuchtete das Display zum Anruf auf, den ich abnahm und Stille entgegen nahm.
„Wo bist du?" flüsterte er und ich schluchzte leise.
„Zuhause." Der Mond dämmerte in mein Zimmer, es war schon halb 11, die Sommertage wurden immer länger.
„Soll ich vorbeikommen?" es klang so fremd aus seinem Mund. Er fragt, ob er mich sehen darf und es tat so weh. Selbst, als wir kein Paar waren, hatte er nie gefragt. Er war einfach immer da.
„Bitte." Wisperte ich und ich hörte, wie er aufstand und im Flur die Schlüssel griff. Dann drückte er mich weg. Um mich herum standen Kisten, ich mittendrin auf dem Boden im Licht des Mondes, dass durch das Fenster herein schien.

Als es knapp zehn Minuten später klingelte und ich mit verweinten Augen aufmachte, nahm er mich einfach in seine Arme. Niemand sagte was, kein Kuss, einfach die unzertrennliche Nähe, die nur wir uns gegenseitig geben konnten. So standen wir im Flur, Arm in Arm, während immer weniger Autos durch die Straßen fuhren, die Lichter allmählich erloschen und das Zirpen der Grillen und Gesprächsfetzen von feiernden Jugendlichen zu uns drangen.

„Komm, ich helfe dir." An meiner Hand zog er mich ins Schlafzimmer, wo er die restlichen Sachen vorsichtig in die Kartons packte, um sie dann zu schließen.
„Ich will heute Nacht noch hier bleiben, mit dir." Ich zog ihn an seinem Nacken runter zu mir, um seine Lippen auf meine zu drücken.
Seine Hände zogen mich automatisch an ihn heran und hielten mich fest umschlungen. Ich setzte mich runter aufs Bett, er stützte sich neben mich ab, ohne es auch nur zu wagen, seine Lippen von meinen zu nehmen.
Ich spürte seine warmen Bauchmuskeln an meinen Fingern, die langsam die Abdrücke seiner Rippen nachfuhren.
Wahrscheinlich zählte diese Nacht zu den gefühlvollsten Momenten, die ich mit Carlo je geteilt habe.

Am Wochenende fuhren Carlo und ich nach München. Kody meinte, es wäre besser, wenn er Carlo nicht ständig im Büro hocken hat, er solle sich vor der Tour noch mal andere Luft gönnen. Außerdem freuten sich meine Eltern tierisch, ihn endlich kennenzulernen.

„Meine Mama wird dich lieben und Papa wird dich wahrscheinlich ausquetschen." Ich sah hoch zur Hütte, wo meine Eltern an der Tür standen.
Der Schnee war komplett versiegt und endlose grüne Wiesen erstreckten sich runter bis ins Tal.
„Schatz!" meine Mutter hatte mich als erstes in den Armen und auch mein Vater sah überglücklich aus.
„Hallo Carlo, schön dich endlich kennenzulernen." Meine Mutter nahm ihn herzlich in die Arme und ich bemerkte, wie Carlo erleichtert ausatmete.

„Und du bist beruflich im Musikbereich tätig?" während meine Mutter den Kaffee machte, saßen wir mit meinem Vater auf der Couch.
„Genau. Das ist eigentlich aus hobbymäßigen Beats entstanden und dann haben Kody und Basti mich gefunden." Er lächelte stolz.
„Und jetzt ist er Deutschland erfolgreichster Rapper." Ich sah ihn glücklich an.
„Mensch, Hannilein, da hast du dir aber einen Gutverdiener gesucht!" Papa sah mich zwinkernd an.
„Papa!" mahnte ich, aber Carlo schmunzelte.
„Du gehst bald auf Tour?" meine Mutter stellte die Kaffeetassen auf den Tisch und sah neugierig zu Carlo.
„Genau, nächstes Wochenende kommt mein neues Album und dann geht's ab durch Deutschland." Bei dem Gedanken wurde mir trübe.
„Und du Schatz? Fährst du mit?" meine Mutter sah mich fragend an.
„Jürgen wird mir kein frei geben."
„Hannilein, wir haben dir schonmal gesagt, dass wir dich unterstützen, wenn du was Neues machen willst. Wir merken doch, wie unglücklich du bei Jürgen bist und mehr Gehalt kann dir auch nicht schaden." Bei dem Gedanken an Geld verkrampfte sich Carlo ein wenig, aber sah mich dann lächelnd an.

„Was soll ich wohl so lange ohne dich machen?" flüsterte er mir zu und drückte mir einen Kuss auf die Schläfe.
„Lena wollte heute Abend noch kommen. Sie hat erstmal Urlaub, bis auf ein einziges Festival und dann machen wir einen schönen Familienabend. Carlo gehört jetzt ja auch dazu." Sie tätschelte seine Hand und gemeinsam redeten wir noch ein wenig über seine Familie.
„Mein Vater ist Italiener und meine Mutter Deutsche. Und außerdem habe ich noch drei Geschwister." Er lächelte.
„Sind die auch so musikalisch?" meine Mutter war begeistert von Carlo.
„Nein, meine Schwester Jule ist zurzeit in London und designt die krassesten Sachen, mein Bruder Benno ist in meinem Klamottenlabel involviert und macht das alles und meine Schwester Lena lebt seit einigen Jahren mit ihrem Freund in Sydney. Aber zu Lena habe ich lange keinen Kontakt mehr." Er lächelte trübe und nahm meine Hand. Und bevor meine Mutter fragen konnte, wurde die Tür aufgeschlossen und eine strahlende Lena stand im Flur.

„Hanna!" sie schloss mich fest in ihre Arme und auch meine Eltern blieben nicht verschont.
„Hallo Carlo, schön dich mal wiederzusehen." Sie nahm auch Carlo in die Arme.
„Dann können wir ja jetzt essen." Meinte Lena stolz und augenblicklich prusteten wir los. Sie war die verfressenste in der Familie.

„Dieses scheiß Festival, ich könnte kotzen. Jetzt hat ein Act abgesagt und ich finde keinen Ersatz. Mein Chef wird ausflippen." wild stocherte Lena in ihrem Salat herum und stöhnte.
„Carlo kann doch kommen." Ich sah von meinem Teller auf.
„Hanna..." mahnte er leise und sah mich an.
„Du weißt, dass mein Terminkalender platzt. Da kann ich nicht einfach etwas zusagen. Das muss Kody klären." Ich nickte bloß.
„Dann werde ich mit Kody reden." ewiderte ich und Carlo nickte bloß.
„Kinder, beruhigt euch." Meine Mutter hatte wirklich immer den Überblick.
Gemeinsam beendeten wir das Abendbrot und spielten bei einem Glas Wein ein paar Spiele und unterhielten uns. Und seit Tagen war ich endlich mal wieder glücklich.



Hilfe, ich werde immer unzufriedener! Dabei ist diese Geschichte mein Heiligtum!

Würde mich tierisch über Feedback freuen!

Wir lesen uns Sonntag! a.

Ich will nur dich.Where stories live. Discover now