48. Liebe

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Die Schmerzen raubten mir meine letzten Kräfte und bannten mich in eine Welt, in der ich es nicht aushielt. Es war unerträglich, dass jede Zelle ein anderes Schmerzgefühl an mich sendete und die Schmerztabletten waren ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich hielt kein Gespräch länger als fünf Minuten aus, bevor ich entweder einschlief und Tränen der Schmerzen in meinen Augen brannten.
Carlo blieb Tag und Nacht, während die anderen ins Hotel gingen. Meine Eltern hatten mir Klamotten vorbeigebracht und hatten Fabian benachrichtigt, dass ich nicht arbeiten konnte.
Als Nala heute Morgen kam, wirkte sie nervös, erst Recht, als ich ihr die Geschichte mit dem Baby erzählte. Es kam mir vor, als wollte die direkt danach flüchten, weil es ihr unangenehm war. Mehrmals zupfte sie an ihrer Jackentasche herum oder drückte die eingehenden Anrufe weg. Als ich sie darauf ansprach, murmelte sie nur was von Chef, was ich aber nicht verstand. Sie arbeitete doch gar nicht? Ihr Beruf war es doch letztendlich, Schriftstellerin zu sein und das Buch herauszubringen.
In ihrer Wohnung lagen zwar haufenweise Magazine herum, mit eingekreisten Artikeln oder ausgeschnittenen Abschnitten. Jedoch gab sie mir keine Erklärung, als ich darauf ansprach.
Mittlerweile döste ich im abgedunkelten Zimmer vor mich hin und lauschte dem monotonen Piepsen des Pulsmessers. Nur gedämpft drangen Geräusche von klappernden Dingen, Stimmenfetzen oder Türenknallen an meine Ohren. Und ich wusste genau, dass wenn ich meinen Kopf jetzt nach links drehe, würde er da sitzen. Er würde auf mich aufpassen, für mich da sein und jeder Zeit für mich einspringen. Er war da und das machte diese ganze Situation erträglicher.
Als ich die Tür hörte, blieb ich still und öffnete auch nicht meine Augen. Ich nahm war, wie sich jemand leise einen Stuhl ranzog und sich setzte, dann spürte ich eiskalte Hände an meiner.
Das war nicht Carlo, Carlo hatte immer warme Hände, selbst im Winter. Und diese Hände passten nicht perfekt in meine. Hier saß jemand anderes.
„Es tut mir so leid, Hanna." Hörte ich Luccas vertraute Stimme und am liebsten würde ich jetzt meinen Kopf drehen und ihn ansehen. Aber ich wollte wissen, was er zu sagen hat.
„Es tut mir alles so unendlich leid. Ich wollte das gar nicht." Was wolltest du? Schrien meine Gedanken ihn an, aber ich blieb regungslos.
„Luc, was machst du hier?" mein Herz klopfte. Carlos Stimme klang belegt, so, wenn er gerade aufwachte.
„Carlo, es tut mir leid. Ich wollte hier nicht einfach so auftauchen." Die kalten Hände lösten sich und hinterließen sanften Druck auf meiner.
„Es ist okay, sie braucht jetzt jeden, der zu ihr gehört." Er schwieg kurz. „Sie ist sehr enttäuscht von dir, Luc."
„Ich wollte das nicht." Lucca hörte sich so anders an, dass es beinahe weh tat.
„Du weißt meine Meinung, auf ihre musst du warten, bis sie wach ist." Ich konnte das Spiel nicht länger ertragen und drehte meinen Kopf. Zwei Augenpaare richteten sich auf mich und ich starrte Lucca an. „Hey." Meine Stimme war heiser.
„Hey." Er lächelte traurig und Carlo nickte mir kurz zu.
„Luc, was ist los? Du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst." Er setzte sich wieder und sah auf seine Finger.
„Nicht über alles, Hanna. Du würdest mich nie verstehen."
„Lucca..." fordernd sah ich ihn an.
„Hanna, kannst du dir das nicht eigentlich denken? Dass ich mich von dir distanziert habe, seitdem du wieder mit Carlo zusammen bist?" ich brauchte zwei Sekunden, bis ich drauf kam, aber ich konnte es nicht aussprechen.
„Ich habe es einfach nicht ertragen." Lucca hatte sich in mich verliebt.
„Es tut mir leid, Hanna. Aber ich hab keinen anderen Weg gefunden." Er sah mich verzweifelt an.
„Es ist okay." Ich wusste nicht, woher ich meine Stimme nahm, aber sie war da.
„Wirklich. Aber ich liebe Carlo, Luc. Ich bin glücklich mit ihm. Und ich war glücklich, dass du mein bester Freund warst." Er nickte.
„Ich mach das wieder gut." Ich konnte mir ziemlich gut vorstellen, dass Carlo ihm gegenüber sehr besitzergreifend war, als er das herausbekommen hat. Wahrscheinlich haben die beiden sich deswegen auch kaum mehr getroffen. Aber was sollte diese Situation uns bringen? Ich hatte ganz andere Probleme, als das sich mein ehemaliger bester Freund in mich verliebt. Ich war hoffnungslos schwanger ohne Zukunft und lag mit schweren Verletzungen im Krankenhaus. Mein Körper war überfordert und so langsam kam das auch in meinem Kopf an. Ich war einfach erschöpft.
Wir redeten ein wenig darüber, was der andere so getrieben hat in der Zeit, ehe ich einschlief und ich nur noch mitbekam, wie er das Zimmer verließ und sich von Carlo verabschiedet hatte. Dann hüllte mich irgendein Traum ein.

Piep,piep,piep,piep. Meine Gedanken zählten die Töne mit und meine Augen verfolgten das Auf und Ab meiner aufgezeichneten Herzlinien.
Meine Mutter erzählte irgendwas von ihrem Job, aber meine Gedanken hingen ganz bei dem kleinen Menschen in meinem Bauch. Ich stellte mir vor, wie er sich bewegte, wie er wuchs und ich Nachts seinen Herzschlag spürte. Meine Gedanken kreisten um die Zukunft, Carlo und ich, lachend auf dem Spielplatz, während der Kleine im Sandkasten stolz seine Burgen baute, um sie Carlo zu zeigen. Ich stellte mir vor, wie Carlo VIOVIO Klamotten für kleine Kinder designte und ihn Abends in den Schlaf singt. Ich musste lächeln und ein kleiner Stich von Glücksgefühl zog durch meine Herzgegend.
„Woran denkst du, dass du so lächeln musst?" meine Mutter sah mich sanft an.
„An Carlo." Sie musste lächeln, als ich seinen Namen aussprach und sah kurz zur Scheibe, aber er war nicht da. Er war ins Hotel, um eine Stunde zu schlafen und zu duschen, aber ich wusste genau, dass er so müde war, dass er erst morgen wieder kommen wird. Aber es war gut so, mein schlechtes Gewissen fraß mich sonst auf.
„Er tut dir gut, Liebling." Ich nickte und musste wieder lächeln.
„Ich liebe ihn." Diese drei Worte glitten bei Gedanken an Carlo so leicht über meinen Mund, dass es mich teilweise selbst erschreckte. Aber es stimmte. Ich liebte diesen Mann, und zwar von gesamten Herzen.
„Ich habe mich gestern mit Florian unterhalten, ein sehr netter Junge." Ich grinste. Wie konnte man diesen Kerl mit der großen Nerdbrille und den zerflauschten Haaren nicht nett finden?
„Und Pia war auch da." Berichtete sie noch. Anscheinend schien hier auf der Intensivstation reger Verkehr zu sein, aber ich war froh, dass sie alle hier waren. Die Tage über war meine Lippe abgeschwollen und ich schmeckte nur noch die Kruste. Mein rechtes Auge sah wieder besser und war nicht mehr so heftig zugeschwollen. Nur noch meine Rippe machte mir Probleme. Meine gerissene Milz und die komplett zersplitterte Rippe drückten auf mich ein und erschwerten mir das Atmen. Und dann waren da nur noch die vielen Hämatome und kleine Prellungen. Aber hey, ich lebe noch.
Jedoch habe ich Carlo ziemlich in Beschlag genommen. Basti berichtete, dass er einige Interviewtermine absagen musste und den Kerl, dessen Interview am Tag des Unfalls geplatzt ist, ziemlich beruhigen musste, damit keine Schlagzeile über meinen Unfall und Carlos heftigen Aufbruch ins Magazin kommt. Aber Basti war Basti und mit Kody an seiner Seite waren die beiden unschlagbar. Ein Team, das wie ein zweiter Papa über Carlo wachte.
Anja und Phillip würden morgen vorbeikommen, sie haben bereits zahlreiche Nachrichten geschickt und Carlo gezwungen, sie stündlich auf dem Laufenden zu halten. Sie waren alle wie eine zweite Familie für mich.
Und mit Gedanken an Familie war ich wieder bei ihm, dem kleinen Menschen in mir.
Der Mensch, der einen riesen Unfall überlebt hat und der Mensch, dem ich einfach ein Leben schenken musste.

Donnerstag!

Meine lieben Leute... ich weiß, uncool, dass zurzeit SO VIEL aufeinmal passiert, aber das hat alles seinen Grund und wird wieder aufgegriffen, blablabla. Ich hoffe wirklich, ihr nehmt mir das nicht übel, aber jede Geschichte braucht einen Höhepunkt (oder bei mir auch mehrere) und das ist nunmal einer davon.

Trotzdem würde ich mich über euer Feedback freuen, ihr seid nämlich die Besten, wenn es darum geht!

Wir lesen uns Sonntag! a.

Ich will nur dich.Where stories live. Discover now