52. Ein besseres Leben

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Müde lauschte ich der Dusche und später dem Reißverschluss von Carlos Windbreaker.
Mein Wecker zeigte kurz vor sieben an und ich setzte mich etwas auf.
„Carlo?" murmelte ich und einen Moment später ging die Tür auf.
„Guten Morgen, Baby." Ganz sanft hauchte er mir einen Kuss auf die Stirn und sah mich lächelnd an.
„Musst du los?" er nickte.
„Hast du alles? Die Maske?" ich rutschte sofort wieder in die Rolle der Taschenpackerin, weil ich das meistens bei Carlo übernahm. Er vergaß immer was.
„Ist im Rucksack. Jule ist bereits auf dem Weg hierher. Gegen neun müsste sie hier sein. Brötchen liegen in der Küche." Ich runzelte die Stirn. So müde konnte ich nicht sein, dass ich mir einbildete, dass Carlo morgens um halb sieben Brötchen holen war.
„Ja, Aufback Brötchen halt." Er grinste.
„Das konnte ich mir schon denken. Und jetzt auf, Steffen wartet sicher schon." Seine Lippen berührten noch einmal kurz meine, dann war er weg. Und alles was blieb, war die erdrückende Stille.
Ich legte mich zurück ins Kissen und sah kurz auf mein Handy, wo eine Nachricht von Jule war.
„Bin kurz vor Frankfurt. Liegt der Hausschlüssel unter der Fußmatte?" ich schrieb ein knappes „Ja." Zurück und schloss dann wieder meine Augen.
In meinem Kopf tauchten die Bilder meines Arztbesuches beim letzten Mal auf. Wirklich gut war er nicht. Ich konnte spüren, dass etwas nicht in Ordnung war und auch der besorgte Blick meines Arztes ließ nichts Gutes deuten. Ich soll heute noch einmal zur Vorsorge kommen, Carlo war darüber natürlich nicht begeistert. Aber da Jule da war, konnte er gutes Gewissens nach Freiburg fahren. Der Arzt meinte, dass natürlich Spätfolgen des Autounfalls auftreten konnten, da ich gerade mal in der siebten Woche war und der Embryo sich noch falsch bis gar nicht entwickeln konnte.
Meine Hand wanderte automatisch auf meinen Bauch und ich dachte daran, was wäre, wenn da plötzlich nichts mehr wäre. Ich verbot mir die Gedanken, dass das mein Leben einfacher machen würde, aber das konnte ich nicht. Schlussendlich wäre es so.
Die zwei Stunden vergingen schleichend langsam, ich kuschelte im Bett mit Carlos Pullover angezogen und hörte gegen kurz nach neun das Drehen eines Schlosses in der Tür.
„Hanna?" hallte Jules Stimme durch Carlos kleine 3-Zimmer Wohnung.
„Ich bin im Schlafzimmer!" rasch drehte ich mir meine zerzausten Haare zu einem Dutt und strich die Bettdecke ein wenig gerade, als Jule bereits zur Tür herein kam.
„Hey!" sie umarmte mich fest und begutachtete mich.
„Ich bin so froh, dich wieder zu sehen. Wie geht es dir?" sie ließ sich selbstverständlich neben mir nieder.
„Wirklich gut. Meine Prellungen sind weg und auch mein Veilchen sieht man kaum noch." Sie nickte.
„Und dem da?" Jule wusste es von mir. Carlo und ich hatten uns dazu entschieden, nur den wichtigsten Personen Bescheid zu sagen, das heißt unseren Eltern und Jule, ich habe es Pia und Flo erzählt und er Lucca. Und Basti und Kody wussten durch den Artikel Bescheid. Carlos Fans nahmen es gelassen als „blöde Gerüchte" auf und mittlerweile tauchte es kaum noch auf. Carlo hatte eben nicht das Image eines Vaters.
„Dem da ganz okay. Zumindest glaube ich das. Ich habe gleich einen Arzttermin. Wir sollen Carlos Benz nehmen." Jule nickte bloß.
Wir lagen noch eine knappe halbe Stunde im Bett rum, ehe ich mich im Badezimmer ein wenig fertig machte und mir meine Tasche und die Autoschlüssel schnappte, damit wir loskonnten.
Aber schon bevor ich die Hand am Türgriff hatte, ging eine Message ein.
Lito<3: Denkst du an den Arzttermin? Ihr schafft das, ich melde mich nach dem Auftritt." Ich musste unwillkürlich lächeln.
Ja, sind schon auf dem Weg. Mach das, du schaffst das." Und dann hakte sich Jule bei mir an und half mir die Treppen runter.

Mit gerunzelter Stirn versuchte der Arzt auf dem Ultraschall irgendwas zu erkennen.
Jule tippte konzentriert eine SMS und ich versuchte meinen Puls zu regulieren.
„Ich habe Ihnen bereits letzte Woche gesagt, dass Spätfolgen auftreten können, Frau Tiekler." Ich nickte und hielt die Luft an.
„Ich muss mich allerdings fragen, wieso der Arzt Ihnen ein derart gutes Bild Ihres Babys und dem Gesundheitzustandes gegeben hat." Ich sah, wie Jules Blick hochglitt. Direkt in meine Augen.
„Gibt es Probleme?" fragte ich mit erstickter Stimme und versuchte, zwischen den schwarz-grauen Wellen des Ultraschalles irgendwas zu erkennen, was mir Hoffnung gab.
„Hören Sie zu, Sie haben einen schweren Autounfall mitgemacht. Demnach hat man auf dem Ultraschall den Embryo gesehen." Sein Blick wurde etwas trauriger und ich wusste, auf was das hinauslief.
„In den Heilungswochen hat sich der Embryo abgebaut. Das Baby hatte keine Chance, dies zu überleben, weil der verletzte Embryo das nicht zugelassen hat. Ihre Verletzungen waren zu stark. Es kann aber genauso sein, dass der Embryo schon vor dem Unfall fehlgebildet wurde. Es tut mir sehr leid, Frau Tiekler. Aber ich kann nicht mehr tun, der Embryo ist bereits verschwunden." Mein Blick glitt von dem Bildschirm hinab auf meinen flachen Bauch. Ist es nicht das, was wir alle wollten? Eine Nachricht, dass unser Leben so weitergeht, wie vorher?
Ich bekam ein leichtes Nicken heraus, er wischte mir den Bauch noch sauber, dann setzte ich mich auf.
„Sie sollten sich noch ein wenig schonen." Er verabschiedete sich und Jule trat an mich heran.
„Hey..." murmelte sie und ich lehnte meinen Kopf an ihre Schulter.
„Ich weiß nicht, was ich denken soll." Kein Baby, kein kleiner Mensch in mir, keine Familie. Aber Freiheit, kein Stress und dasselbe Leben.
„Komm, ich mach dir zuhause einen heißen Tee und dann schonst du dich ein wenig." Ich nickte bloß und folgte ihr durch die sterilen Gänge der Arztpraxis. Kein Baby.
Zuhause tauschte ich meine Klamotten direkt gegen Carlos Pullover und eine Leggings, meine Uhr zeigte kurz nach eins mittags an. Vielleicht hatten die Jungs gerade Soundcheck, aber vielleicht war Flo auch erreichbar. Carlo hatte sein Handy nämlich aus und dann konnte ich ihn darüber informieren.
„Glaubst du, es ist sinnvoll, ihn vor seinem Auftritt damit zu konfrontieren?" ich nickte.
„Es geht ihn auch was an und er wird genauso gut abliefern, wie sonst auch." Ich drückte den grünen Hörer auf Flos Kontakt und lauschte kurz dem monotonen Freizeichenton.
„Hey Kleine!" Flos Stimme ließ mich beruhigen.
„Hey Flo, ist Carlo gerade bei dir? Sein Handy ist mal wieder aus."
„Jaklar, warte.. Carlo! Hanna." Ich hörte, wie das Handy weitergegeben wurde.
„Hanna? Ist was passiert?" ich zögerte.
„Dein Handy ist aus und, ähm, wir waren gerade beim Arzt."
„Und? Wie geht's ihm?" ihm
„Carlo... ich-.... da ist kein ihm mehr." Jule schlug ihre Lider nieder und ich lauschte kurz der Stille.
„Soll ich heim kommen?" fragte er sofort und ich bekam Tränen in den Augen.
„Nein-bitte. Du kannst den Auftritt nicht absagen." Ich unterdrückte ein Schluchzen.
„Natürlich kann ich das und für dich würde ich das sofort tun."
„Carlo, bitte nicht. Ich erkläre dir das alles morgen. Bitte liefer jetzt eine gute Show, ich weiß, du kannst das auch so. Wir reden morgen." Die erste Träne traute sich über meine Wange, aber ich wischte sie sofort weg.
„Du rufst mich sofort an, wenn irgendwas ist. Ich komme dann nach Hause."
„Okay." Ich wollte schon beinahe auflegen, als er sich noch räusperte.
„Ich liebe dich."

Donnerstag!

So, was sagt ihr? Jaja, da gibt es jetzt sicher welche von euch, die das nicht so feiern.

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Wir lesen uns Sonntag! a.

Ich will nur dich.Where stories live. Discover now