28. Du

480 23 6
                                    

Kannst du bitte schnell ins Büro kommen?" Carlos dringende Nachricht bekam ich, als ich die Ausfahrt nach Stuttgart nahm.
Aus Reflex drückte ich noch mehr aufs Gaspedal, was ich unbewusst tat, denn meine Konzentration war am Tiefpunkt angekommen. Der Kongress und die elendig lange Fahrt raubten mir den allerletzten Nerv und am liebsten wollte ich nur noch ins Bett.

Mit meinem Ersatzschlüssel von Carlo schloss ich die Tür zum Gebäude auf und vernahm im dunklen Gang das Licht aus dem Büro von Chimperator. Es war kurz nach acht Abends, der Zahnarzt und die Radiologie hier hatten schon lange geschlossen und auch die anderen Büros waren duster.

Ich klingelte, nahm von innen Kodys Körper war, der eine Sekunde später lächelnd vor mir stand.
„Hey." Murmelte ich erschöpft und er bat mich rein.
„Kaputt?" ich nickte bloß.
„Wieso seid ihr noch hier? Es ist Freitag, Kody." Ich sah, dass einige Büros noch besetzt waren und die Mitarbeiter mich lächelnd grüßten.
„Extraschichten, das CRO Ding wird ziemlich groß, aber an den anderen Acts müssen wir genauso arbeiten." Ich nickte. Das hier noch andere Musiker unter Vertrag waren, wusste ich. Hier und da kamen mir die Jungs von den Orsons entgegen oder auch mal andere begegneten mir.

„Was ist denn passiert? Carlo hatte mir eine SMS geschrieben, dass es wichtig ist." Kody zog mich weiter zum Tonstudio, wo ich auf Basti, Lucca und Markus traf.
„Hey." Ich umarmte einmal alle kurz, sah mich fragend um, bis ich Carlo im Tonstudio erblickte.
Lächelnd sah er mich an, richtete seine Kopfhörer und Basti stellte auf Ton, damit wir mithören konnten.
„Und los!" rief er, drückte hier und da ein paar Knöpfe und ein Beat setzte ein.
„Sie sagt, sie würde gern' ans Meer, mal wieder weg von hier, ist egal wohin, einfach weit weit weg und der Stress bleibt hier." Carlo hatte seine Augen geschlossen und nickte leicht im Takt der Musik.
Lucca und Markus sahen mich gebannt an und konnten ihr Grinsen nicht verkneifen.

„Baby glaub' mir das Beste bist du, hey vergiss' mal den Rest und hör zu.." mein Herz schien auszusetzen und auch die anderen kapierten, dass mir bewusst wurde, für wen dieser Song galt.
„Baby, ich zerbrech' mir den Kopf, denn was bringt mir das Geld, wenn ich dich nicht seh'? Und jedes Mal, wenn du mich dann ansiehst bleibt meine Welt kurz steh'n." meine Sicht verschwamm und mein Körper zitterte. Mein Kopf schien gar nicht zu realisieren, was hier gerade passierte, während mein Herz explodierte wie eine Bombe.

Als der Refrain erneut einsetzte, gab Carlo mir die Sicht auf seine braunen Augen, er suchte meine Augen und einen Moment schienen wir beide uns ineinander verloren zu haben.

„Scheiße man." Hauchte ich mit Tränen auf den Wangen, als der letzte Ton verklang und Carlo seine Kopfhörer vom Kopf nahm.
„Das war die letzte und heute veröffentliche Single, Hanna. Carlo wollte sie aufheben, bis du wiederkommst." Basti lächelte gerührt. Wir waren alle gerührt und ich am allermeisten.

Als Carlo aus dem Studio kam, fiel ich ihm weinend um den Hals.
„Danke Carlo." Schluchzte ich, während seine Lippen auf meinen Hals trafen.
„Ich liebe dich." Und da waren sie. Die drei Worte, die Carlo seit Tirol nie in den Mund genommen hatte.
„Ich habe mich verdammt nochmal in dich verliebt." Wisperte er und ich konnte nur nicken.
„Ich dich auch. Verdammt nochmal, ich liebe dich auch." Unsere Lippen trafen sich kurz, ehe das Räuspern von Markus und aus dem Moment riss.

„Krieg ich auch was ab? Ich bin sein DJ!" rief er und musste beim Schmollen grinsen.
„Komm' her." Ich zog ihn in eine Umarmung und fragte mich, was wohl passiert wäre, wenn ich Carlo damals nicht in der Diskothek getroffen hätte. Wenn er nicht sturzbetrunken Schläge abbekommen hätte. Wenn ich nicht an der Bar gesessen hätte.

„So und jetzt macht ihr Feierabend. War ein langer Tag." Basti scheuchte uns aus dem Büro und zufrieden machten wir uns auf den Heimweg, ohne Gedanken an morgen und die weitere Arbeit.

„Ich liebe das Lied." Murmelte ich abends im Bett, als er sanft mit meinen Fingern spielte.
„Das ist schön, dass es dir gefällt." Raunte er und ich nickte.
„Ich wurde lange nicht mehr so ... begehrt." Meine Stimme versiegte. Ich hatte mit Carlo nie wirklich über meine Kindheit oder mein Leben gesprochen.

„Aber du hattest doch sicher jemanden vor mir." Ich lehnte mich an seine Brust. Nein, hatte ich nicht.
„Nicht wirklich. Also klar, in der Schulzeit, hier und da mal ein Flirt, aber ich hatte ganz andere Sorgen." Ich spürte einen kleinen Kloß in meinem Hals.
„Erzähls mir." Er schlang seine Arme ein wenig fester um mich.

„Ich ... meine Familie war nicht immer so glücklich, wie sie jetzt ist. Es gab ein paar Jahre, wo wir knapp an dem Existenzminimum lebten, wir hatten viele Ausgaben, aber keine Einnahmen. So hat Lena die Schule nach der neunten abgebrochen und eine Ausbildung angefangen, während ich noch zwei Jahre Schule vor mir hatte. Das klingt vielleicht nicht so schlimm, aber mein Vater hatte damals schwer Krebs und im gesamten war eine schwere Zeit." Es hatten sich kleine Träne in meinen Augen gesammelt, die ich schnell wegwischte.

„Sowas wird nie wieder passieren, du hast jetzt mi-" ich unterbrach ihn.
„Nein, Carlo. Sag das nicht. Ich-ich will von niemanden finanziell abhängig sein. Ich habe mein Leben im Griff. Wirklich." Ich sah ihn an und er nickte.
„Okay. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass du nie einen Freund hattest." Ich seufzte stumm.
„Hatte ich nie. Ich war uninteressant für Jungs, Carlo. Ich war die, die immer in der ersten Reihe saß und trotzdem schlechte Noten schrieb, ich war jemand, der lieber alleine zuhause war, statt mit Freunden was zu machen. Ich hatte nie wirklich Freunde und alle Jungs waren bloß irgendwelche Kumpels. Ich musste mein Leben erst einmal auf die Reihe bekommen. Aber lass uns nicht mehr darüber reden, ich-ich mag das Thema nicht." Er nickte und küsste meinen Nacken.

„Dann sollten wir wohl schlafen." Ich nickte bloß.
In seinen Armen spürte ich den Halt förmlich, die Nähe und sein Herzschlag.
Etwas, das mir in meiner Kindheit so gefehlt hat.


Die gute und ausgelassene Laune versiegte jedoch in den darauffolgenden Tagen.
Carlo wirkte von Tag zu Tag angespannter, aß kaum noch und ab und zu erwischte ich ihn, wie er sein Gesicht schmerzvoll verzog. Aber wenn ich ihn darauf ansprach, lächelte er bloß und meinte, es sei nichts.

Meine Eltern hatten sich gemeldet, oder eher gesagt meine Mutter, sie hatte Streit mit meinem Vater und es wäre besser, wenn ich dieses Wochenende nicht runterfahren würde, die beiden würden das schon klären. Wobei ich mir nicht sicher war, ob die beiden das hinbekommen. Meistens streiten sie wegen Papas Arbeit, er war wochenlang in Shanghai und meine Mutter saß alleine zuhause. Wenn es dann Probleme gab, war sie alleine. Aber ich gab mich damit zufrieden und fuhr nicht hin.

Stattdessen hatte Carlo heute frei und wir wollten gemeinsam kochen, aber sein Verhalten gab mir Bedenken.

„Ich hole schnell die Post hoch." Ich nahm mir meinen Haustürschlüssel und lief runter ins Treppenhaus, wo mich mein voller Briefkasten in Empfang nahm.

Von Werbung über Werbung bis Angeboten schien nichts Weiteres dabei zu sein, bis die Adresse meines Vermieters auf einem Brief draufstand.
Beim hochlaufen überflog ich die Zeilen.

Sehr geehrte Frau Tiekler ... Mietwohnung im zweiten Stockwerk ... Mietzahlung ..." ich kam bei meiner Haustür an und kam im Brief zum wichtigen Punkt, als ich laute Würgegeräusche von innen wahrnahm. Geschockt schmiss ich die Post auf den Tisch und kam am Bad an, wo Carlo vor meinen Augen schmerzverzogen an der Toilette zusammensackte.


Donnerstag, der Donnerstag ist wieder da!

Bin ein wenig unzufrieden mit dem Kapitel, hmm :(

Stattdessen gehts mit der Handlung richtig los, lasst euch überraschen, es wird spannend, traurig, dies das Ananas!

Und vergesst ja nicht Kleinigkeiten, wie Timo und der Grund der Trennung, die Modelgedanken oder sowas ;)

Wir lesen uns Sonntag! a.

Ich will nur dich.Where stories live. Discover now