Kapitel 6

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Nervös stand Suvi vor ihrem Vater und sah auf das Klavier.
„Da-darf ich am Klavier singen?", fragte sie, und wurde etwas rot.
„Selbstverständlich.", sagte Samu und stellte den Klavierhocker vor das Instrument. Suvi ließ sich davor nieder und begann mit dem Intro eines ruhigen Liedes.

Empty spaces fill me up with holes
Distant faces with no place left to go
Without you, within me I can find no rest
Where I'm going is anybody's guess

I tried to go on like I never knew you
I'm awake but my world is half asleep
I pray for this heart to be unbroken
But without you all I'm going to be is, incomplete
(...)

‚Incomlete' von den Backstreet Boys war das erste Lied welches Suvi einfiel, welches nicht zu anspruchsvoll war, und trotzdem wunderschön. Als sie die ersten Zeilen sang, war sie noch sehr nervös. Doch mit der Zeit versank sie immer weiter in ihrem Gesang. Als die letzten Töne des Klavieres verklungen waren, klatschte Samu.
„Sag nie wieder, du könntest nicht singen. Das war wunderschön!", sagte er und lächelte etwas. „Und nun, singst du etwas und spielst dabei aber Gitarre. Beim Klavier spielen ist es etwas ganz anderes, als wenn man Gitarre spielt.", sagte er, und reichte Suvi eine E-Gitarre. Aber nicht irgendeine, sondern seine Gitarre. Völlig perplex sah Suvi ihren Vater an.
„Mit deiner Gitarre?" fragte sie.
„Nein, mit der von Bon Jovi. Natürlich mit meiner. Deine haben wir zuhause vergessen, also musst du mit meiner spielen.", lachte er. Zögerlich nahm Suvi die Gitarre und überlegte. Sie hatte jetzt einen etwas ruhigeren Song gesungen. Vielleicht sollte sie etwas kraftvolleres singen... Schnell hatte sie sich für einen Song entschieden, und fing an:

Tell me 'bout the road you've chosen
Tell me 'bout the signs of life
Tell me how much you're hoping
That it's gonna be all right
Tell me 'bout the smile you're faking
Show me all the scars you have
Even if your heart is aching
Let me say it's not that bad

Als Suvi den Refrain einstimmte, sang Samu mit. Vater und Tochter standen in einer kleinen Holzhütte und sangen gemeinsam ‚Flag' von Sunrise Avenue. Für Suvi war es ein sehr besonderer Moment, da sie noch nie gemeinsam mit ihrem Vater gesungen hatte. Und auch Samu war positiv überrascht. Er hätte seiner Tochter nicht zugetraut, dass sie so gut sang.
Aber vielleicht ist genau das der Fehler..., überlegte er und kratzte sich nachdenklich am Kinn.
„Papa?", Suvi riss ihn aus seinen Gedanken.
„Hä?", fragte er und sah sie an.
Suvi fing an zu lachen. „Ich habe gefragt, wie du das fandest.", sagte sie und Samu blinzelte.
„Wie ich das fand? Also ich muss ehrlich zu dir sein, ich fand es perfekt! Wie du an manchen Stellen lauter geworden und andere etwas leiser gesungen. Die Dynamik. Sofort als ich mit gesungen habe, hast du dich dem angepasst. Und ich finde du hast aus Flag ein neuen Song gemacht..."
Suvi wurde rot. „Danke.", murmelte sie.
„Nicht dafür. Ich muss dir danken. Das ist wunderschön! Auf der Beerdigung singen wir zusammen!", bestimmte er und Suvi nickte. Plötzlich vibrierte Suvis Handy. Sie stand auf und holte ihr Handy aus der Jackentasche. Samu stellte den Klavierhocker währenddessen weg und holte aus dem Auto eine zweite Gitarre. Suvi sah auf ihr Handy. Irgendwer hatte ihr Nachrichten geschickt. Schulterzuckend öffnete sie ihren Messenger und las eine Nachricht nach der anderen. 

Und, deinem Vater schon in den Arsch gekrochen?
Verpiss dich mal! Wir wollen keine Leute die mit Lehrern schlafen in unserer Schule!
Musstest du jetzt zu deinem Papi rennen?
Komm nie wieder her!
Geh doch mit deinem Papi nach Deutschland!
Nur für gute Noten mit nem Lehrer schlafen? Armselig!

Suvi schnappte nach Luft. Warum waren denn auf einmal alle so fies?! Und was sollte das, mit dem mit einem Lehrer schlafen? Als ihr Vater wieder rein kam, schaltete sie das Handy schnell aus und legte es wieder weg.
„Alles Okay? Du siehst etwas geschockt aus.", fragte Samu und sah sie skeptisch an.
„Nein, nein. Alles gut.", log Suvi. Unmöglich könnte sie es ihrem Vater sagen. Er musste sich schon mit dem Tod von Aliisa herumschlagen, da durfte sie ihn nicht auch noch mit ihren kindlichen Problemen nerven.
„Suvi? Hallo? Wo bist du mit deinen Gedanken?", Samu riss Suvi aus ihren Gedanken. Sie stand am Fenster während er etwas über die Show erzählte, die er sich für die Beerdigung vorstellte.
„Entschuldigung Papa. Ich bin etwas erschöpft...", sagte sie und drehte sich zu ihrem Vater um.
„Sollen wir dann besser nach Hause fahren?", fragte Samu besorgt. Suvi nickte und Samu sprang sofort auf. Sie verließen die Hütte mit den Gitarren und stiegen in das Auto.

Zuhause ging Suvi auf ihr Zimmer und ließ Samu mit seinen Gedanken alleine. Er saß auf dem Sofa und starrte den schwarzen Bildschirm des Fernsehers an.
Habe ich was falsch gemacht?, überlegte er, und griff gedankenverloren nach seiner Gitarre. Er spielte einige Akkorde und hörte dann wieder auf.
„Suvi, ich gehe kurz etwas raus, frische Luft schnappen!", rief er und wartete auf eine Antwort. „Suvi?", hakte er nach.
„Mach nur. Ich ruhe mich etwas aus.", rief Suvi zurück und starrte an ihre Decke. Normalerweise würden sie solche Beleidigungen nicht so aus der Bahn werfen. Und sie wusste auch nicht wirklich, warum sie es jetzt taten.     

SEINE Tochter (Samu Haber)Where stories live. Discover now