Kapitel 67

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Suvi schrie.
Mit einem Satz war sie über den geschockten Tom gesprungen und landete neben ihrem Vater. Er lag auf dem Bauch und unter ihm breitete sich eine rote Blutlache aus. Suvi drehte ihn zu Seite und sah in sein Gesicht.
„Papa?", fragte sie leise. Samus Augenlide flackerten und er öffnete sie kurz.
„Ich habe dich lieb, Suvi. Hau Sophie für mich auf die Nase und sorg dafür, das Moonset viele Songs schreibt.", flüsterte er und sah seine Tochter durch glasige Augen an.
„Nein! Du kratzt mir jetzt nicht ab!", rief sie frustriert und riss seine Jacke auf. In seinem Shirt war auf der Brust ein sauberes Loch aus dem Blut sickerte. „Die Kugel hat nicht sein Herz getroffen!", rief Suvi und schöpfte wieder Hoffnung. Sie drehte sich zu den anderen um und rief: „Was steht ihr da so rum wie bestellt und nicht abgeholt? Ruft einen Krankenwagen!"
Suvi wandte sich wieder ihrem Vater zu. Er atmete und sein Herz schlug noch. Riku war der erste der sich wieder gefasst hatte und nahm sein Handy aus der Tasche. Suvi hatte keine Ahnung was man tat, wenn jemand angeschossen worden war. Sie beugte sich über das Gesicht ihres Vaters und flüsterte:
„Bitte Papa. Geh nicht. Ich brauche dich doch. Zu wem soll ich denn sonst, wenn du nicht mehr da bist?"
Tränen liefen über Suvis Gesicht und tropften auf Samu. Sie nahm seine Hand und drückte sie an sich.
„Bitte Papa.", weinte sie und hatte plötzlich einen Geistesblitz. Sie zog das Hemd, welches sie noch immer um die Hüfte trug, aus und Band es so fest sie konnte um die Schussstelle. Weiter wusste sie aber auch nicht. „Jetzt heißt es warten.", murmelte sie und nahm wieder Samus Hand. Seine Worte hallten in ihrem Kopf nach und sie weinte wieder.
Es klang wie ein Abschied. Aber Papa, du darfst nicht gehen! Bitte lieber Gott, nimm ihn noch nicht zu dir. Ich brauche ihn an meiner Seite und das weißt du auch. Schicke ihn bitte, bitte wieder zu mir zurück. Ich weiß nicht, was ich ohne Papa machen würde..., dachte sie und hoffte, dass Gott ihr Gebet gehört hatte, und ihren Vater wieder zu ihr brachte.

Nach einer Zeit, die Suvi vorkam wie eine Ewigkeit, sprang die Türe erneut auf und Rettungssanitäter sprinteten hinein. Sofort machte Suvi platz und setzte sich auf den Boden. Samu wurde derzeit auf eine Trage gelegt.
Auch Polizisten kamen herein und forderten Suvi auf, zu erzählen was passiert war. Doch diese reagierte nicht. Ihr war schwindelig und sie wollte mit keinem reden. Einer der Polizisten bedrängte Suvi immer weiter bis sie wieder anfing zu weinen.
„Lassen Sie sie doch einfach in Ruhe!", fuhr Nick den Polizisten an. „Sehen Sie denn nicht, dass sie ein Mädchen ist, deren Vater gerade lebensgefährlich angeschossen wurde?", fragte er und setzte sich neben Suvi und zog sie zu sich. Suvi vergrub ihr Gesicht in seiner Schulter und weinte. Nick streichelte ihr vorsichtig über den Rücken und flüsterte:
„Samu wird schon wieder. Er ist ein zäher Mann und das weißt du genauso gut- nein, das weißt du besser als ich."
Suvi schluchzte auf und drückte ihn noch etwas fester. Sie fühlte sich wahnsinnig klein, verletzlich und alleine.
„Gibt es irgendwelche Familienmitglieder, die mitwollen?", rief plötzlich jemand und Nick hob für Suvi seine Hand.
„Sie hier.", sagte er und wandte sich dann zu ihr. „Möchtest du mit ins Krankenhaus?"
Suvi hob den Kopf und sah Nick in die grünen Augen. „Kommst du mit?", fragte sie und er nickte. „Dann ja."
Nick stand auf und stellte Suvi auf ihre Füße.
„Nick kommt mit!", sagte sie bestimmt und die Sanitäter zuckten mit den Schultern. Suvi klammerte sich fast schon verzweifelt an Nicks Hand, während Samu auf einer Liege aus dem Stadion geschoben wurde. Da noch einige Fans draußen standen, mussten die Sanitäter sich beeilen, um Samu in den Krankenwagen zu bekommen. Suvi saß hinten neben ihrem Vater auf einem Sitz während Nick vorne saß. Sie beobachtete ganz genau, wie die Ärzte Samu beatmeten und sich irgendwelche Zahlen zu riefen. Dann kamen sie im Krankenhaus an und Samu wurde in die Not-OP gebracht.
Nick und Suvi saßen im Flur und Suvi weinte leise in Nicks Arm.
„Fräulein Haber?", fragte eine Ärztin und Suvi wandte sich zu ihr.
„Ich wollte Ihnen nur sagen, dass Ihr Vater noch nicht aus dem lebensgefährlichen Bereich raus ist, sich aber wacker hält.", sagte sie und Suvi fing wieder an zu weinen. Die Ärztin drehte ganz schnell ab und ging. Nick drückte Suvi und spendete ihr so wenigstens etwas Trost.
Nach kurzer Zeit kam ein anderer Arzt und Nick sah ihn erwartungsvoll an.
„Äh, ich wollte Ihnen nur mitteilen, Ihr Vater ist aus dem lebensgefährlichen Stadium raus.... Es könnte zwar noch immer passieren, dass er ins Koma fällt, oder wir ihn ins künstliche Koma setzten müssen, aber es scheint als würde er durchkommen.", stotterte er. Dann nickte er Suvi zu und ging wieder.
„Ich habe doch gesagt, Samu ist zäh.", lächelte Nick und legte seinen Arm um Suvi. „Alles wird wieder gut.", flüsterte er und Suvi lehnte sich wieder an ihn.
Nach knapp einer Stunde ging eine große Flügeltüre auf und Samu wurde in einem Krankenbett herausgeschoben. Er war nicht bei Bewusstsein, aber er sah wesentlich besser aus.
„Folgen sie uns bitte.", forderte einer der Ärzte Suvi und Nick auf und sofort folgten sie ihm.
Auf dem Zimmer erklärte der Arzt, was passiert war:
„Also, Herr Haber wurde über dem Herzen direkt neben eine Arterie getroffen. Sie können Gott danken, denn wenn es in die Arterie getroffen wäre, dann wäre er ziemlich sofort gestorben. Wir haben die Kugel entfernt und die Einschussstelle zugenäht. Herr Haber ist noch in Narkose, sollte aber innerhalb der nächsten Stunde aufwachen."
Suvi nickte. Offenbar hatte Samu doch Glück im Unglück gehabt.
„Vielen Dank, Doktor.", sagte sie leise und der Doktor verließ mit einem Nicken den Raum.
„Geh zu ihm. Ich kümmere mich um die Anklage und Polizei und alles andere.", lächelte Nick und verließ ebenfalls den Raum. Suvi ging mit langsamen Schritten zum Bett ihres Vaters und betrachtete ihn. Er war blasser als sonst und sah sehr angestrengt aus. Eine Weile sah sie ihn einfach nur an, unfähig, sich zu bewegen.
„Ach Papa... hättest du nicht einfach auf den Flur bleiben können?", flüsterte Suvi und weitere Tränen flossen über ihre Wangen und tropften in das Bett. „Tom hätte mich schon nicht erschossen...", fuhr sie fort und nahm Samus Hand. „Wach bitte ganz schnell auf. Ich fühle mich schlecht, weil es klang als hättest du dich von mir verabschiedet, aber du sollst noch nicht gehen! Du hast noch ganz lange zu leben. Das weiß ich.", plötzlich fing ein Gerät neben dem Bett an zu piepen und Suvi schrak hoch.
Ihr Vater wachte wieder auf!

Samu schlug seine Augen auf und blinzelte in das helle Licht. Neben ihm vernahm er ein gedämpftes: „Papa.", und spürte wie jemand seine Hand drückte. Er blinzelte noch einige Male und realisierte langsam, wo er war.
„Suvi?", fragte er heiser. Er wandte den Kopf zu seiner Tochter und sah sie an. Ihre Augen waren rot und geschwollen. Sie hatte viel zu viel geweint. Er richtete sich auf. Ohne ein Wort zu sagen, zog er Suvi zu sich und umarmte sie. Er wusste nicht mehr ganz genau, was passiert war, aber wenn Suvi so viel geweint hatte, dann musste es sehr schlimm gewesen sein. Suvi klammerte sich schon fast verzweifelt an ihn.
„Papa, ich hätte dich fast verloren...", flüsterte sie und Samu nahm ihr Gesicht in seine Hände. Mit den Daumen wischte er ihre Tränen weg und flüsterte:
„Ich würde dich aber nicht so einfach alleine lassen.", dann drückte er ihr einen Kuss auf ihre Stirn.
„Papa, versprich mir nie wieder in die Schussbahn von einem Mann zu gehen, der dich umbringen will und eine Pistole hat.", sagte Suvi ernst. Sie saß inzwischen neben ihrem Vater auf dem Bett.
„Ich gebe mein Bestes.", lächelte Samu. Plötzlich durchzuckte ein stechender Schmerz seine Brust und er verzog das Gesicht.
Suvi sprang sofort auf. „Was? Brauchst du was? Alles gut?", fragte sie hysterisch und Samu schüttelte nur den Kopf.
„Alles gut. Tut ein bisschen weh, aber das geht schon wieder vorbei...", presste er hervor. Suvi hatte ihm erzählt was passiert war und langsam kehrte auch seine Erinnerung wieder zurück. Plötzlich ging die Türe auf und Nick kam gefolgt von einigen Polizisten herein. Suvi sprang auf und rannte zu Nick. Dieser fing sie auf und drückte sie an sich.
„Ich habe doch gesagt, dein Vater ist zäh!", wiederholte er nun schon zum dritten Mal.
„Du hattest recht, Nick.", sah Suvi nun auch ein. Sie wandte sich um und sah, wie die Polizisten Samu mit Fragen lächerten und beschloss, schnell Riku anzufordern, damit er Samu rettete. Sie zückte ihr Handy und rief Riku an. Dieser stand vor dem Krankenhaus und hatte gewartet und war daher sehr schnell oben und scheuchte die Polizisten, mit der ansage ihre Fragen zu beantworten, aus dem Zimmer. 

SEINE Tochter (Samu Haber)Where stories live. Discover now