Kapitel 3

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Suvi erstarrte.
„Das soll doch wohl ein schlechter Scherz sein!", flüsterte sie.
„Nein, leider nicht. Sie sind für die nächste Woche vom Unterricht befreit.", sagte der Kommissar und legte auf.
Suvi brach zusammen. Sie ließ sich einfach auf den Boden fallen und weinte. Sie ließ allem freien Lauf. Der gesamt Frust, der sich über die Jahre angestaut hatte, kam jetzt aus ihr heraus. Auf einmal hörte Suvi wie eine Türe aufging. Sie wusste nicht, wie lange sie dort schon auf dem Boden gelegen hatte oder wie lange ihre Mutter schon nicht mehr auf der Welt war. Doch sie spürte die Anwesenheit ihres Vaters und darum stand sie auf.
„Hallo Papa, wie geht es dir?", fragte sie leise. Doch Samu sagte nichts, sondern umarmte seine Tochter einfach nur.
„Es tut mir so leid.", sagte er und drückte sie an sich.
„Was tut dir leid?" fragte Suvi.
„Dass deine Mutter...", seine Stimme versagte und er holte tief Luft. „Wenn ich ein Taxi genommen hätte, hätte deine Mutter nicht fahren müssen."
„Ja, hättättä! Das bringt uns nichts. Sie ist tot. Aus und vorbei.", sagte Suvi aufgebracht und stieß sich von ihrem Vater weg. Sie hatte gehofft, er würde sich für sein schlechtes Vatersein entschuldigen, und dann kam er hier mit einem Satz der schon zwei ‚hätte' beinhaltete!
„Was hast du denn?", fragte er verwundert.
„Was ich- das hast du nicht- Du hast mich gerade nicht ernsthaft gefragt, was ich habe?!", brauste Suvi auf.
„Doch, das habe ich.", sagte Samu ganz ruhig.
„Vielleicht den schlechtesten Vater dieser Erde?!", brüllte Suvi und stürmte an Samu vorbei aus dem Sekretariat.

Sie rannte schon eine Weile draußen in der Kälte herum und es hatte inzwischen auch noch angefangen zu schneien. Ihre Jacke hatte sie natürlich im Sekretariat liegen gelassen und nun fror sie wie nichts Gutes. Sie hatte ihre Arme eng um ihren Körper geschlungen und ging an einem zugeschneiten Supermarkt vorbei. Ihre Zähne klapperten und sie sah sich um. Sie hatte auf dem ganzen Weg noch nicht einen Menschen gesehen.
Sie wurde immer langsamer und blieb schließlich ganz stehen. Ihre Füße gehorchten ihr nicht mehr. Sie wollte weiter laufen. Es waren nur noch knapp drei Kilometer bis zu ihrem Haus, und sie konnte unmöglich hier draußen bleiben. In weniger als zehn Minuten würde sie erfrieren! Plötzlich stolperte sie und fiel auf den Boden. Dort blieb sie liegen. Sie war zu schwach um aufzustehen.
'Ich werde einfach verrecken. Wie Mam. Dann bin ich weg von der Bildfläche. Und Papa braucht sich dann auch nicht mehr um mich zu kümmern. Obwohl er es ja auch nie getan hat. Aber nun müsste er langsam damit anfangen. Mam gibt es ja nicht mehr...', überlegte sie, während sie versuchte ihren Körper mit dem letzten bisschen Wärme das sie besaß, am Leben zu erhalten.
Plötzlich hörte sie Schritte neben sich. Mit letzter Kraft sah sie auf und erkannte ihren Vater. Er kam mit großen Schritten auf sie zu gerannt und blieb bei ihr stehen. Suvi verspürte den Drang aufzustehen, doch sie konnte nicht. Samu kniete sich neben sie und hob sie hoch. Er sagte kein Wort, hob Suvi einfach hoch und drückte ihren kalten Körper an seinen. Suvi genoss diese Nähe für einen Moment doch länger konnte sie nicht. Alle ihre Knochen schmerzten von der eisigen Kälte und sie hatte das Gefühl ihr Herz würde nicht mehr lange schlagen. Samu drückte sie noch enger an sich und legte ihre Jacke über ihren Körper.
Dann trug er sie weg.

Suvi öffnete die Augen und erkannte ihr Zimmer. Wie sie dorthin gekommen war, wusste sie nicht. Doch, langsam kehrte ihre Erinnerung zurück. Ihr Vater hatte sie vor dem Erfrieren gerettet und nach Hause getragen. Suvi wollte aufstehen doch der Schmerz in ihr war zu groß. Sowohl Körperlich als auch geistig war sie am Boden zerstört. Sie sah sich in ihrem Zimmer um. Plötzlich klopfte es.
„Hm?", fragte Suvi heiser. Doch ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauch kalter Luft. Die Türe öffnete sich und Samu betrat den Raum. In der einen Hand hielt er eine Schüssel und in der anderen einen Löffel.
„Ich habe dir eine Suppe gekocht.", sagte er und ging langsam auf Suvi zu. Sie setzte sich etwas aufrechter hin und nahm die Suppe dankbar an. Samu ließ sich auf der Bettkante nieder. Während Suvi langsam die Suppe aß sah Samu auf seine Füße.
Er war, genau wie sie, am Boden zerstört. Zwar hatte er schon lange keine Gefühle mehr für Aliisa empfunden, doch zu wissen, dass er im Prinzip für ihren Tod verantwortlich war, zerstörte ihn innerlich. Und auch Suvis Worte schmerzten.
Er hatte es nie aus ihrer Sicht gesehen. Er war so gut wie nie für sie da gewesen weil er gedacht hatte, Aliisa würde sich um ihre Tochter kümmern. Doch wenn er länger darüber nachdachte, wenn Aliisa für ihn nicht aus dem Bett kommen konnte, dann konnte sie es genauso wenig für Suvi tun. Erst jetzt fiel ihm auf, dass seine Tochter eigentlich alleine groß geworden war.
Je länger er so dachte, desto mehr verabscheute er sich selber. Wie hatte er nur so egoistisch sein können? Das musste sich sofort ändern! Aber wie?

SEINE Tochter (Samu Haber)Where stories live. Discover now