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Jungkook

Mittlerweile waren schon ein paar Stunden vergangen und es dämmerte draußen. Jimin war erschöpft, also hatte er sich auf die Couch gelegt und war nach ein paar Minuten auch schon eingeschlafen. Und weil er mit seinem Kopf auf Yoongis Bein lag, der ihm durch die Haare gestrichen hatte, war der Ältere gleich mit eingeschlafen.

Und ich saß unruhig auf einem Stuhl in der Küche, während ich das Handy in meiner Hand immer wieder entsperrte, drehte und darauf starrte. Es machte mich langsam aber sicher wirklich nervös, dass Tae sich nicht gemeldet hatte und ich fand keinen ruhigen Gedanken, geschweige denn, dass ich stillsitzen konnte. Als ich dann aber versuchte ihn anzurufen und sofort die Mailbox dranging, reichte es mir. Ich schnappte mir meinen Schlüssel und meine Jacke, schrieb den beiden Schlafenden einen Zettel und verließ das Haus. Mit quietschenden Reifen fuhr ich aus der Einfahrt und machte mich, vielleicht etwas zu schnell, auf den Weg zu Taes Wohnung.

Mir gingen die ganze Zeit über sämtliche Szenarien durch den Kopf. Von „Er hört sein Handy nicht", bis „Er ist kopfüber in den Mixer gefallen", war alles dabei und ich kaute mir die Unterlippe beinahe blutig, je länger ich darüber nachdachte. Im Stillen hoffte ich aber eigentlich nur, dass Tae nichts passiert war und ich ihn bestenfalls wieder mit nach Hause nehmen konnte. Und natürlich, dass er nicht allzu sauer auf mich war, wegen dem, was ich über seinen Vater gesagt hatte.

All meine Vorstellungen wurden aber geradewegs das Klo runtergespült, als ich um die Ecke in Taes Straße fuhr und die dicken Rauchwolken sah, die aus genau der Etage kamen, in der Tae wohnte. Aus purem Reflex trat ich auf die Bremse und starrte mit weit geöffneten Augen nach oben. Spielten mir meine Gedanken nun einen Streich? War ich eingeschlafen und hatte einen Alptraum? Ich kniff mir selbst in den Oberarm und blinzelte einige Male, aber der Rauch war immer noch da. Und als mir klar wurde, dass das die Realität war und dass Tae dort oben war, hielt mich nichts mehr.

Ich trat aufs Gas und legte vor dem Gebäude eine Vollbremsung hin, bevor ich praktisch aus dem Auto sprang und die sowieso schon kaputte Tür am Eingang eintrat. Ich kam mir fast vor wie Hulk, so leicht fiel es mir. Wie der Teufel hastete ich die Treppe hoch und wollte schon durch die offene Wohnungstür stürmen, als ich jemanden auf dem Boden liegen sah. Alarmiert kniete ich mich auf den Boden, als ich erkannte, dass es Taes Vater war, der dort lag. Er atmete flach und murmelte irgendwas. „Wo ist Taehyung?", wollte ich wissen, aber er konnte kaum antworten. Dann sah ich den Stoff unter seinem Kopf und erkannte an der Schrift, dass es der Hoodie war, den ich Taehyung gegeben hatte.

In meinem Kopf knallten alle Sicherungen durch und ich schüttelte den alten Mann regelrecht. „Wo ist Taehyung?", fragte ich noch mal, diesmal aber um einiges lauter. Er konnte kaum etwas sagen, da hörte ich ein lautes Knallen und drehte mich ruckartig um. „Tae? TAE!", kam aus mir geschossen und zu sagen, dass ich Panik bekam, wäre wohl die Untertreibung des Jahrhunderts gewesen. Ohne jegliches Zögern ging ich auf die Wohnung zu, aus der der Qualm drang und zog mir den Kragen meiner Jacke über den Mund und die Nase. Ich konnte kaum etwas sehen, so sehr brannten meine Augen, aber das war mir egal. Ich musste Tae finden. Ich hatte mir geschworen, ihn mit meinem Leben zu schützen und daran hielt ich mich auch.

Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich durch die Flammen und den Qualm gekämpft hatte, als ich vor einem umgestürzten Balken stand. Sofort suchte ich einen Weg drum herum, nur leider stand mehr als die Hälfte der Wohnung in Flammen. Ich dachte an die Haustür und da mir sowieso nichts anderes übrigblieb, machte ich einen Schritt zurück, bevor ich mit voller Kraft dagegentrat. Beim ersten Mal zischte es nur kurz, also trat ich noch mal. Diesmal knackte es. Und beim dritten Tritt, brach der Balken in der Mitte durch. Endlich. Allerdings schossen die Flammen in die Höhe und ich musste ein paar Schritte zurückgehen. Direkt, als das Feuer wieder runtergegangen war, rief ich erneut nach Tae, bekam aber keine Antwort.

Immer weiter kämpfte ich mich durch die dichten Rauchschwaden und als ich bei der Küche ankam, konnte ich jemanden auf dem Boden hocken sehen. Tae. Er hatte die Beine nah an seinen Körper gezogen und seine Augen waren geschlossen, aber erkannt hätte ich ihn selbst im dichtesten Nebel. „Tae, steh' auf, wir müssen hier raus!", kniete ich mich neben ihn und legte eine Hand auf seine Schulter. „Jungkook? Bin ich im Himmel?", sah er mich aus glänzenden, müden Augen an und hustete. „Was? Nein! Du lebst! Und wir müssen hier ganz schnell raus, sonst ist das nicht mehr lange so!", gab ich zurück und wollte ihn auf die Beine ziehen, aber er bewegte sich nicht von der Stelle.

„Nein, das kann nicht sein. Ich bin tot... und... und meine Mama ist hier irgendwo...", redete der Ältere vor sich hin und ich sah, dass er am ganzen Körper zitterte. Shit, er stand unter Schock. Das Einzige, was mir in diesem Moment einfiel, war sicher nicht die beste Lösung für so etwas, aber die Zeit drängte und ich wollte nicht unbedingt verbrennen. Also holte ich aus und verpasste Tae eine schallende Ohrfeige, ehe ich ihn an den Schultern packte. „Tae, ich weiß, dass es dir nicht gut geht, aber wir müssen hier verdammt noch mal raus! Also bitte, bitte steh' auf!", flehte ich ihn an und zog immer wieder an ihm. Tae hielt sich eine Hand an die Wange und sah mich mit großen Augen an.

Doch dann kam er wohl endlich zu sich und sah sich erstmal panisch um, bevor er zu meiner Erleichterung nach meinem Arm griff und sich selbst mit meiner Unterstützung aufrappelte. „Mir ist schwindelig", hustete er wieder und ich legte sofort einen Arm um seine Taille, während ich seinen rechten Arm über meine Schultern zog und seine Hand festhielt. Gemeinsam gingen wir auf die Tür zu, wobei Tae eher humpelte und seine freie Hand auf seinen Bauch drückte. „Ich bin so müde...", murmelte Tae wieder und seine Beine sackten kurz weg, fingen sich aber wohl wieder.

Kurz bevor wir bei der Tür waren, knackte etwas und ich konnte gar nicht so schnell reagieren, da fiel ein Stück Holz herunter, was direkt auf meinem und Taes Unterarm landete. Ich zischte auf, denn es tat scheiße weh, aber von Tae kam keinerlei Reaktion. Und das machte mir Angst. Mit einem zugekniffenen Auge und mir auf die Zunge beißend, hievte ich Tae nach draußen. Ich sah Feuerwehrleute, die die Treppe hochgestürmt kamen und als ich ihnen Tae übergeben wollte, überdrehte er die Augen und fiel ihnen regelrecht in die Arme. Dabei fiel ihm etwas aus der Hand und ich hob es sofort auf. Und dann wurde mir auch klar, wieso er noch in der Wohnung war, als ich ankam: Das Foto seiner Mutter.

Scars ⇴ ᴛᴀᴇᴋᴏᴏᴋ ✓Where stories live. Discover now