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Taehyung

In mir ging so viel vor, dass mir vor lauter Gedanken ganz schwindelig wurde. Alles passierte so schnell nacheinander, dass es mir quasi den Boden unter den Füßen wegriss.

Jungkook griff nach meinem Handgelenk und zog mich leicht in das Zimmer neben dem Bad. „Setz' dich auf mein Bett und atme tief durch, okay?“, sagte er und hielt mit beiden Händen mein Gesicht fest, nachdem er die Sachen aus dem Bad auf dem Bett abgelegt hatte. Ich hatte Schwierigkeiten, mich auf den Dunkelhaarigen zu konzentrieren, denn mir wollte das wutentbrannte Gesicht meines Vaters nicht aus dem Kopf gehen. Ich sah seine Augen noch immer deutlich vor mir und es schüttelte mich am ganzen Körper.

Wieso?

Wieso hasste mein Vater mich so sehr? Wieso bestrafte er mich?
Was hatte ich getan um das zu verdienen?

Ich fühlte mich, als wäre ich in einer Art Trance. Gefangen in meinem eigenen Körper und unfähig, irgendetwas zu sagen. Ich bekam mit, wie Jungkook immer wieder versuchte, mich aufzuwecken und wie er mich leicht schüttelte, aber mein Körper weigerte sich. Zu viel musste er schon aushalten. Zu viel ertragen und einstecken. Es fühlte sich beinahe an, als hätte mein Geist meinen Körper verlassen und als würde ich einfach so über ihm schweben und mich selbst ansehen. Ich konnte einfach nicht mehr.

Irgendwann seufzte Jungkook und wich etwas zurück, bevor er anfing die Wunde auf meiner Stirn zu versorgen. Ich wusste, dass er es sehr vorsichtig tat, denn er konzentrierte sich krampfhaft darauf, nicht zu sehr zu drücken oder zu wischen und ich hätte ihm so gern gedankt, aber es ging nicht. Es störte mich nicht einmal mehr, dass er mein Gesicht und meine Narben so deutlich und nah sehen konnte, wobei ich doch sonst immer dafür sorgte, dass alles verdeckt blieb.

Ich ließ einfach alles geschehen.

Nach einer Weile war Jungkook fertig mit meinem Gesicht und stand auf, um alles wieder zurück an seinen Platz zu bringen und kam mit einem mehr als besorgten Gesicht wieder zurück. Er kniete sich vor mich auf den Boden und nahm meine Hände vorsichtig in seine. „Taehyung, bitte rede mit mir. Komm zurück...“, sagte er zwar ruhig, aber ich konnte das Flehen deutlich hören. Er sorgte sich wirklich und wahrhaftig um mich. Aber wieso? Ich war doch ein niemand. Um mich sollte man sich nicht sorgen, oder?

Etwas in meinem Körper regte sich und ich sah runter auf meine Hände, die noch immer von Jungkooks umschlossen wurden. Ich zog sie zurück und hob sie an, sodass sie direkt vor meinem Gesicht schwebten. Es war wie ein heftiger Impuls, denn mit einem Mal raste so viel Adrenalin durch meinen Körper, das mich so stark zittern ließ, dass ich mit meiner Energie irgendwo hinmusste. Wie in einem Wahn fing ich an, mit meinen Fingernägeln über mein Gesicht zu kratzen und laut zu schreien. „WIESO ICH? WIESO?!“, war alles, was ich sagen konnte und Jungkook starrte mich einen Augenblick lang erschrocken an, bevor er meine Handgelenke fest packte und sie von meinem Gesicht zog. Ich wehrte mich, schlug um mich und schrie immer weiter.

„Taehyung, beruhig dich!“, versuchte der Dunkelhaarige wieder, mich zu beruhigen, aber ich konnte einfach nicht. Es war, als hätte sich jeder Moment, in dem ich solche Angst hatte, in dem ich mich einsam fühlte und diesen Schmerz in meinem Herzen spürte, gesammelt und in diesem Augenblick entladen. „Taehyung! Bitte! Bitte beruhige dich, dir kann hier nichts passieren, hörst du?“, drang mir ins Ohr und obwohl ich tief im Inneren wusste, dass er es ehrlich meinte, richtete sich in dem Moment plötzlich alles auf ihn. Ich schubste ihn an den Schultern so stark weg, dass er auf dem Hintern landete und stürzte mich direkt auf ihn.

Ich trommelte wie besessen auf seiner Brust herum und schrie wieder und wieder „WIESO?“. Ich bekam überhaupt nicht mit, dass Jungkook sich kein bisschen wehrte, im Gegenteil, er lag einfach nur da. Nach einer Weile jedoch, setzte er sich auf und ich rutschte nach hinten, sodass ich auf seinem Schoß saß und trommelte weiter auf seine Brust. „Lass' es raus. Nur zu, ich halte das aus“, sagte er plötzlich ganz ruhig und ich erstarrte. Was tat ich da? „I-Ich... Oh Gott...“, stieß ich, erschrocken über mich selbst, aus und wollte aufstehen, aber Jungkook hielt mich an den Hüften fest. „Nein, Taehyung. Lass' alles raus, nicht nur deine Wut“, bat er sanft und dann brachen alle Dämme...

Von dem Adrenalin war nichts mehr zu spüren, denn mit einem Mal fühlte ich mich so schwach, dass ich komplett zusammensackte und mein Gesicht an die Brust drückte, die vorher noch meine Wut aushalten musste. „Wieso, Jungkook? Wieso ich...?“, wimmerte ich verzweifelt und krallte mich in den Stoff auf seinem Rücken. „Ich weiß es nicht... Aber du bist jetzt hier bei mir und ich werde dich beschützen. Wenn es sein muss, mit meinem Leben...“

Scars ⇴ ᴛᴀᴇᴋᴏᴏᴋ ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt