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Jungkook

„A-Aber... Ich... Ich ka-kann nicht... Mein Vater... Er-", stammelte Taehyung und seine Worte strahlten so viel Angst aus, dass ich mir nichtmal ansatzweise vorstellen konnte, was er alles durchgemacht haben musste. Eltern sollten ihre Kinder doch vor Monstern beschützen und nicht selbst zu welchen werden...

„Er kann dir jetzt nichts mehr tun, ich bin bei dir und ich lasse dich nicht allein, Tae. Nicht nochmal...", versicherte ich ihm, wobei ich die letzten Worte aus lauter Scham nurnoch flüsterte. „Aber wir müssen jetzt etwas für deine Wunden tun, sonst entzünden sie sich und wenn du nicht ins Krankenhaus möchtest, musst du mit zu mir kommen", redete ich weiter und hatte das Gefühl, dass er, je länger ich redete, immer ruhiger wurde. Bis er sich irgendwann mit seinem Ärmel durchs Gesicht rieb und einige Male tief atmete, bevor er „O-Okay..." sagte.

Um Tae zu helfen auf die Beine zu kommen, schob ich kurzerhand meinen Arm hinter ihn und umgriff seinen Oberkörper, während sein linker Arm auf meinen Schultern lag. Ganz langsam richtete ich uns auf, denn ich wollte ihm auf keinen Fall noch mehr Schmerzen bereiten, als er sowieso schon hatte. „Gehts?", fragte ich ihn, während wir sachte die Stufen runter gingen, aber er antwortete nicht, sondern nickte nur leicht. Er sah die ganze Zeit über auf den Boden und musste immer wieder tief atmen, um nicht wieder zu weinen. Und ich war mir ganz sicher, dass es nicht die Schmerzen waren, die ihm diese Tränen bescherten.

Unten angekommen, mussten wir leider feststellen, dass es noch immer regnete. Ich überlegte hin und her, was unsere Möglichkeiten waren und endete bei drei Varianten: Laufen, Bus fahren oder Taxi rufen. Laufen fiel weg, weil ich nicht auch noch krank werden wollte und zwischen fremden Leuten im Bus zu sitzen, während es Taehyung so schlecht ging, wollte ich auch nicht. Also blieb nurnoch das Taxi, was ich auch sofort rief und Tae erstmal versichern musste, dass ich gerade nicht die Nummer des Krankenhauses gewählt hatte. Er wollte um keinen Preis dorthin oder überhaupt zu irgendeinem Arzt und ich wollte ihm nicht widersprechen.

Die restliche Wartezeit über, war es wieder still zwischen uns und auch während der Fahrt zu meinem Haus brachte Taehyung nicht ein einziges Wort über seine Lippen, während er auf dem Rücksitz kauerte und aus dem Fenster starrte, dabei immer darauf bedacht, sich seine Haare über seine Narben zu legen, denn er hatte ja nur diesen dünnen Pullover statt wie sonst einen Hoodie an. Ich bezahlte den Fahrer und bedankte mich kurz, ehe ich ausstieg und sofort Taes Tür aufmachte um ihm raus zu helfen. Allerdings ignorierte er meine Hand und stieg allein aus, wobei er offensichtlich einen gewissen Abstand zu mir halten wollte.

Irgendwie verletzte mich das schon, aber in diesem Moment ging es nicht um mich, also sagte ich nichts.

Bevor ich die Haustür öffnen konnte, hielt Taehyung mich dann aber doch am Arm fest. „Ich möchte deiner Mutter so nicht über den Weg laufen", sagte er fast schon weinerlich und ich zog die Augenbrauen zusammen. „Ehm... Okay. Dann müssen wir aber leise sein", brachte ich nur raus und er nickte kaum merklich. Wir traten nacheinander ein und ich sah mich direkt um, aber nirgends brannte Licht, was seltsam war, denn eigentlich wäre meine Mutter zu Hause gewesen und sie ging nie wirklich früh schlafen. Ich signalisierte Tae, dass er kurz warten sollte und schlich in Richtung Wohnzimmer, aber auch dort war niemand zu sehen, stattdessen lag ein Zettel auf dem Tisch und ich wusste sofort, was das bedeutete. Meine Mutter war wieder weg.

„Komm' rein, es ist niemand hier", sagte ich meinem Mitschüler Bescheid und er kam ganz langsam um die Ecke gelaufen, schaute sich aber vorsichtshalber selbst noch einmal um, ob auch wirklich niemand im Haus war. Ich schüttelte die Enttäuschung darüber ab, dass ich wieder nur so wenig Zeit mit meiner Eomma verbringen konnte, schließlich konnte Taehyung nichts dafür und deutete ihm an, dass er sich setzten sollte, denn erstmal musste ich seine Wunde versorgen. Schon erstaunlich, wie schnell sich das Blatt gewendet hatte, hatte er sich doch kurz vorher noch um meine Verletzung gekümmert.

„Setz' dich, ich hole eben etwas aus dem Bad“, sagte ich schnell und lief schon die Treppe hoch zu meinem Badezimmer, merkte aber nicht, dass Tae mir offenbar folgte. Deshalb zuckte ich auch ordentlich zusammen, als ich mit dem Desinfektionsmittel und den Pflastern in der Hand wieder zurück gehen wollte. „I-Ich kann das allein“, sagte er leise und streckte seine zitternde Hand aus. „Ich weiß...“, seufzte ich und lächelte ihn aufmunternd an.

„...aber das musst du jetzt nicht mehr.“

Scars ⇴ ᴛᴀᴇᴋᴏᴏᴋ ✓Where stories live. Discover now