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Taehyung

Die ersten beiden Stunden in der Schule zogen sich wie Kaugummi und ich konnte an nichts anderes denken, als an dieses Gespräch. Was würde Suga mir sagen? Würde er mir einen Vortrag halten, wie falsch mein Verhalten war? Würde er mich anschreien? Die Freundschaft beenden? Oder würde er es mir heimzahlen?

Ich wusste, dass dieser letzte Gedanke völliger Blödsinn war, denn so war Suga nicht. Aber an diesem Punkt in meinem Leben, traute ich einfach niemandem mehr. Zu viele Menschen hatten mir schon bewiesen, was für Monster sie waren und obwohl ich eigentlich wusste, dass Suga nicht zu ihnen gehörte, stand ich am Anfang der Pause nur sehr langsam auf. Mein Körper wehrte sich dagegen, auf das Dach zu gehen, auf dem ich sonst eigentlich immer gern war. Ich wusste, dass er das Dach meinte, weil ich ihm von dort aus immer geschrieben hatte, wenn ich in der Schule war und ihm das auch gesagt hatte.

Wie in Zeitlupe lief ich den langen Flur entlang und biss mir immer wieder auf die Unterlippe, während der Kloß in meinem Hals immer größer wurde. „Hey, pscht", hörte ich auf einmal und drehte meinen Kopf zur Seite. Jungkook stand gegenüber an der Wand und schaute immer wieder um die Ecke. „Kommst du nach der Schule wieder nach Hause?", wollte er wissen, aber anstatt einfach zu antworten, ließen mich die beiden Worte 'zu Hause' verstummen. Doch im nächsten Moment wurde mir klar, dass ich mich tatsächlich schon lange nirgends mehr wie zu hause gefühlt hatte. 

Bis ich bei Jungkook war.

Ich musste schmunzeln, was mir von dem Dunkelhaarigen einen mehr als irritierten Blick bescherte. Es war schon fast- nein, es war süß, dass er es offenbar als selbstverständlich betrachtete, sein Zuhause mit mir zu teilen und während ich so dastand, vergaß ich beinahe, dass mir das Gespräch mit Suga ja noch bevorstand. „Ja, ich bin nachher wieder da. Ich muss jetzt aber weiter", sagte ich deshalb und winkte Jungkook noch einmal zu, bevor ich weiter den Gang entlang und die Treppen rauf lief. An der schweren Metalltür angekommen, schloss ich noch einmal die Augen und atmete tief durch, ehe ich die Klinke runter drückte und daran zog, so kräftig ich konnte.

Jeder Schritt weiter auf das Dach fühlte sich an, als hätte jemand meine Füße mit Beton übergossen, wie in einem dieser alten Mafia-Filme und ich hatte das dringende Bedürfnis, einfach schnell wieder zu gehen. Aber ich wollte nicht mehr dieser Feigling sein. Ich hatte Mist gebaut und dazu musste ich stehen, auch wenn es mir schwer fiel. Ich merkte gar nicht, wie weit ich schon gelaufen war, als ich die Kieselsteine rascheln hörte. Mein Kopf hob sich und ich sah Suga auf dem Rand des Daches sitzen, mit verschränkten Armen und den Füßen auf dem Boden.

„Das hat gedauert", war das Erste, was er sagte und ich war schon wieder kurz davor, mich demütig zu entschuldigen, als er plötzlich anfing zu grinsen und aufstand. Ich konnte nicht einordnen, was das für ein Grinsen war, denn ich hatte ihn ja noch nie in Wirklichkeit gesehen und deshalb erstarrte ich komplett. Dieses Grinsen hätte immerhin von "Ich ermorde dich jetzt und ziehe dir die Haut ab" bis zu heftigem Auslachen alles bedeuten können und das verunsicherte mich wahnsinnig, weshalb ich mit dem was folgte so gar nicht gerechnet hatte.

Suga kam wahnsinnig schnell auf mich zu und legte seine Arme um mich. Er musste sich zwar auf die Zehenspitzen stellen, weil ich etwas größer war als er, aber er legte tatsächlich seine Arme um mich und drückte meinen zu Eis erstarrten Körper an sich. „Was ist? Freust du dich nicht, mich zu sehen?", ließ er nach weiteren, ziemlich langen Sekunden locker und wollte sich schließlich komplett von mir lösen, da schlang ich wie von selbst meine Arme um ihn und vergrub mein Gesicht in seiner Halsbeuge.

Ich wusste nicht wieso und wo es plötzlich herkam, aber ich weinte einfach drauf los und krallte mich an meinem besten Freund auf der Welt fest. „Es ist schön, dich zu sehen, Kleiner. Jetzt wird alles besser, versprochen", flüsterte er und ich weinte noch heftiger, denn ich hatte endlich einen Freund. 

Ich war nicht mehr so mutterseelenallein auf der Welt.

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Scars ⇴ ᴛᴀᴇᴋᴏᴏᴋ ✓Where stories live. Discover now