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Taehyung

Ich hatte das Gefühl, als würden die Tage immer länger werden.

Nicht die Zeit, denn ich wusste ja, dass ein Tag bloß 24 Stunden hatte, aber irgendwie war jeder Bereich meines Lebens zu einer Nervenprobe geworden: Nach Hause wollte ich nicht wirklich, um meinem Vater nicht zu begegnen und mit ansehen zu müssen, wie er sich selbst zu Grunde richtete und meine Schultage waren auch nicht mehr besonders angenehm. Allem voran deshalb, weil ich Jungkook immer noch aus dem Weg gehen musste.

Ich bekam das ein oder andere Mal mit, wie er in den Pausen nach mir suchte, oder nach Schulschluss am Tor auf mich wartete, deshalb schaffte ich es ganz gut, ihm aus dem Weg zu gehen, aber so konnte es nicht ewig weitergehen und das wusste ich auch. Nur konnte ich für den Moment leider nichts dagegen tun.

Da ich an diesem Freitag nach der Schule aber nach Hause musste, um nachzusehen, ob es meinem Vater gut ging und um meine Arbeitssachen zu holen, zog sich der Weg von der Schule bis zum Haus so in die Länge, dass ich für den Weg, der sonst eigentlich nur zehn Minuten dauerte, sicher schon eine halbe Stunde brauchte.

Ich fühlte mich verloren, denn mir wurde bewusst, dass es keinen Platz mehr gab, der mir Sicherheit bot und es gab niemanden, mit dem ich darüber hätte reden können. Sicher, Jin hörte mir immer zu, wenn ich Probleme hatte, aber am Ende sagte er doch immer wieder das Gleiche. „Es wird bald besser" oder „Du schaffst das" und solche Floskeln halfen mir einfach nicht weiter. Und besser würde dadurch gar nichts. Sie zeigten mir nur, dass auch er ratlos war.

Der Einzige, mit dem ich noch reden konnte, war Suga. Und der war leider unerreichbar für mich. Mit ihm konnte ich nicht von Angesicht zu Angesicht reden, ihn nicht anfassen oder sein Gesicht betrachten, um seine Reaktionen zu sehen und das frustrierte mich wahnsinnig, denn er kannte all meine Launen und meine gesamte Situation.

Es schien einfach für mich, es ihm zu erzählen, denn, und das war das Groteske daran, ich musste seine Reaktion darauf nicht sehen. Das klingt dämlich, ich weiß. Aber ich brauchte ihn als Freund.

Irgendwann war ich aber doch an unserem Haus angekommen und atmete schon erleichtert auf, denn ich hörte kein Geräusch aus der Wohnung, was wohl bedeuten musste, dass mein Vater entweder schlief, oder auf Sauftour war. Deshalb machte ich mir auch nicht die Mühe, leise zu sein, sondern schloss die Tür auf und warf meinen Rucksack neben die Tür, bevor ich zum Kühlschrank ging und mir etwas zu trinken rausnahm. Als ich die Wasserflasche gerade wieder wegstellte, hörte ich plötzlich, wie ein Schlüssel ins Schloss gesteckt wurde und keine Sekunde später kam mein Vater reingetorkelt, an der Hand eine völig fertig aussehende Frau, deren Kleidung vollkommen zerknittert war und die nicht weniger torkelte als er. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte, so sehr überraschte mich die Situation.

Und genau das war mein Fehler.

„Wers'n das?" fragte die Frau lallend und mein Vater drehte sich sofort zu mir um. „Was machst du hier, verdammt?" brüllte er mich sofort an und lief so schnell auf mich zu, dass ich kaum reagieren konnte. Er packte mich am Nacken und donnerte mich mit dem Gesicht voran auf die Arbeitsplatte, sodass sich die Wasserflasche in meine Brust drückte und ich geschockt aufschrie. „Stell dich nicht so an, du Memme! Also, was machst du hier?" drängte er weiter und ich verzog das Gesicht vor Schmerz, da sein Griff an meinem Nacken immer fester wurde.

„I-Ich wollte nur meine... meine Sachen für die A-Arbeit holen..." presste ich raus und hielt mich mit beiden Händen an der Kante der Platte fest. „Gerade nochmal Glück gehabt." sagte er noch und ließ mich dann genauso plötzlich wieder los, wie er mich gepackt hatte. „Dann verpiss' dich jetzt und sei zur Abwechslung mal nützlich." spuckte er mir noch entgegen und griff nach der Hand der Frau, die er hinter sich her ins Wohnzimmer zog.

Wie ferngesteuert lief ich schnell in mein Zimmer, sammelte meine Sachen zusammen und hastete aus der Wohnung.

Ich konnte nicht mal mehr weinen...

Scars ⇴ ᴛᴀᴇᴋᴏᴏᴋ ✓Where stories live. Discover now