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Taehyung

In diesem Moment war mir egal, ob er mein Gesicht sah, oder nicht. Ich wollte eine ehrliche Antwort von ihm und um zu wissen, ob er log, musste ich ihm nunmal in die Augen sehen.

Jungkook schien zu überlegen. Ich konnte quasi sehen, wie es in seinem Kopf ratterte und ich räusperte mich ungeduldig, denn je länger er damit wartete mir zu antworten, desto geschickter hätte er eine Lüge ausschmücken können und das wollte ich verhindern. „Ist die Antwort so schwer, oder was?“, fragte ich und verschränkte die Arme vor der Brust. Jungkook richtete sich auf und sah auf seine Hände. „Ich weiß es nicht...“, murmelte er, aber das wollte ich nicht hören. „Du weißt nicht, wieso du jemanden verprügelst? Ist das dein Ernst?“, kam aus mir und ich runzelte die Stirn.

„Nein! Ich... Ich wollte... Ich konnte nicht... Und Ji... Ach scheiße!“, stammelte er und haute verzweifelt seine geballten Fäuste auf die Matratze. Ich grübelte. Ich sah ihm an, dass es ihm schwer fiel, aber aus irgendeinem Grund wollte ich trotzdem, dass er es sagte. Ich wollte etwas ehrliches von ihm hören, aber Jungkook kämpfte offenbar seinen ganz eigenen Kampf. Wie konnte ich ihn dazu bringen, mit mir zu reden? „Gut, dann nicht. Aber dann erwarte auch nicht, dass du irgendwas von mir erfährst“, sagte ich dann, denn etwas anderes fiel mir nicht mehr ein.

Und er überlegte wieder.

Es herrschte eine lange Stille, denn alles was ich sagen konnte, war gesagt und der Dunkelhaarige machte auch nach ein paar Minuten nicht den Eindruck, als würde er mir wirklich antworten wollen. Mir reichte es und ich seufzte auf, bevor ich zur Tür ging und meine Hand auf die Klinke legte. „Jiyong hat mich dazu gedrängt, okay? Ich weiß, dass sich das anhört, als wäre ich der größte Feigling und Egoist, aber wenn ich mich geweigert hätte, wäre mein Ruf an der Schule dahin gewesen. Jiyong ist unberechenbar...“, platzte es dann doch plötzlich aus ihm und ich hielt inne. Das war alles? Deshalb hatte er Jimin verprügelt?

„Das ist alles?“, sprach ich es dann auch aus, konnte den vorwurfsvollen Unterton aber nicht unterdrücken. Jungkook wollte gerade wieder dazu ansetzen, etwas zu sagen, als die Stimme seiner Mutter in sein Zimmer drang. „Ich habe mich umentschieden und etwas bestellt. Kommt ihr runter, Jungs?“, rief sie fröhlich und mein Blick huschte zwischen Jungkook und der Tür hin und her. „Moment, ich muss mich noch umziehen!“, rief Jungkook zurück und stand langsam vom Bett auf. Er lief zu seinem Schrank und holte sich ein paar Sachen raus, die er aufs Bett legte und mich seltsam ansah. „Was ist?“, stieß ich aus und fing an, mich leicht unwohl zu fühlen. „Könntest du mir helfen?“

Super, auch das noch.

Da ich echt überrumpelt war und nicht reagierte, fing er an, sich allein auszuziehen, schaffte es aber nicht wirklich. In diesem Moment vergaß ich völlig, dass Jungkook mir nicht geantwortet hatte, denn er versuchte umständlich, sich aus seinem Pullover zu befreien, wobei er mit einem Arm festhing und nichts mehr sehen konnte. Dabei konnte ich seinen kompletten Bauch und auch die Muskeln sehen, die mir beim Verband umwickeln gar nicht aufgefallen waren. „Hilfe!“, jammerte der Jüngere verzweifelt und drehte sich dabei mehrmals im Kreis. Etwa so wie ein Hund, der seinen eigenen Schwanz jagte.

Ich konnte das irgendwann nicht mehr mit ansehen und ging auf ihn zu, um am Saum seines Pullis zu ziehen. Ich tat es schnell und drückte ihm den warmen Stoff sofort gegen die Brust, während mir die Hitze ins Gesicht stieg und ich plötzlich einen riesigen Kloß im Hals hatte. „Danke“, sagte Jungkook atemlos und griff nach dem frischen Shirt, bei dem er es glücklicherweise allein schaffte und wir gingen danach schweigend zu seiner Mutter, die mit dem Essen schon auf uns wartete.

Zuerst war es seltsam, mit jemandem gemeinsam am Tisch zu sitzen und zu essen, denn so etwas hatte ich schon lange nicht mehr getan. Aber je länger ich bei Jungkook zu Hause war, desto leichter fiel es mir, frei zu atmen und ich fing sogar an, es zu genießen. Mir fiel aber auch auf, dass Jungkooks Mutter gar nichts von dem Menschen hatte, der er vorgab, zu sein. Sie war herzlich, lachte viel und hatte im Ganzen eine sehr warme Ausstrahlung. Und mir gefiel das.

Es gefiel mir so gut, dass ich völlig die Zeit und meine Schicht im Laden vergaß...

Scars ⇴ ᴛᴀᴇᴋᴏᴏᴋ ✓Where stories live. Discover now