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Taehyung

Er sagte nichts. Gott sei Dank.

„Du musst deinen Pullover hochziehen, sonst kann ich die Salbe nicht auftragen“, sagte ich, ohne darüber nachzudenken, dass ihm das unangenehm sein könnte und stützte mich auf seinem Bein ab. Aber in diesem Moment war dafür sowieso kein Platz, denn er hatte Schmerzen und die wollte ich ihm wenigstens ein bisschen nehmen. Ich war sicher kein Wunderheiler, aber mit der Zeit hatte ich gelernt...

„Ich kann nicht“, entgegnete Jungkook und ich sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. „Jetzt stell' dich nicht so an, ich muss-“, fing ich an, aber ein kleines Auflachen unterbrach mich. „Ich stelle mich nicht an, du klemmst meinen Pulli ein“, grinste er. Ich konnte in dem Moment zwar nicht in den Spiegel sehen, aber mein Gesicht wurde direkt warm und wahrscheinlich auch rot. Peinlich.

Sofort hob ich meine Hand an und zog sie zu mir, um die Salbe, die auf dem Stuhl neben Jungkook lag, sinnlos hin und her zu schieben. Der Dunkelhaarige griff nach dem Saum seines Pullovers und zog ihn dann ein Stück nach oben, bis ich den riesigen blauen Fleck direkt unter seiner Rippe sehen konnte. Wer immer das in der Schule auch war, hatte ganze Arbeit geleistet. Und das mit einem einzigen Schlag, wow.

„Ich glaube, du hast dir eine der unteren Rippen geprellt. Tut es auch beim Atmen weh?“, wollte ich wissen, während ich den Verschluss der Salbe aufdrehte und ein bisschen davon auf meinen Finger drückte. Jungkook richtete sich leicht auf und versuchte, tief einzuatmen, schaffte es aber nicht. „Ah fuck!“, fluchte er und kniff wieder eines seiner Augen zusammen. Seine Stirn zog sich in Falten und er zog seine Oberlippe zischend nach oben. Das zeigte mir, dass es tatsächlich eine Rippe geprellt war und ich machte mich sofort daran, die Salbe großzügig auf der Stelle zu verteilen. Sie heilte zwar nicht die Prellung, nahm ihm aber wenigstens die Schmerzen der Blutergusses.

„Du machst das öfter, oder?“, fragte der Jüngere auf einmal und ich zog scharf die Luft ein. „Ich sagte: Keine Fragen“, wiederholte ich mich und machte unbeirrt damit weiter, seine -zugegeben- weiche Haut einzucremen, bevor ich nach dem Verband griff. „Ey, ich sitze hier halb entblößt vor dir und darf mich nichtmal mit dir unterhalten?“, beschwerte er sich vorwurfsvoll und ich schnaubte. „Doch. Aber nicht... naja darüber“, flüsterte ich zum Ende hin und löste den Anfang vom Verband. „Wie machen wir das jetzt?“, fragte ich eher mich, als ihn, denn er konnte seine Arme nicht nach hinten bewegen und ich wollte ihm ganz einfach nicht zu nah kommen.

Jungkook allerdings stand schwerfällig auf und hob seine Arme an, so hoch er konnte. „Mach' schnell, lange kann ich meine Arme so nicht halten“, presste er raus und ich konnte die Anstrengung in seiner Stimme ganz deutlich hören. Und das hieß für mich, dass ich meine natürliche Abstandsgrenze zwischen mir und anderen Menschen überwinden musste, wenn ich ihm denn wirklich helfen wollte. Ich kniff meine Augen kurz zusammen und atmete tief durch, bevor ich den Verband eine Armlänge abrollte und mich vor Jungkook stellte.

Das war mir so unfassbar unangenehm...

Ich trat noch einen Schritt näher an Jungkook heran und streckte meinen Arm links neben ihm aus. Den Anderen streckte ich auf der anderen Seite aus und versuchte, das Stück Verband hinter ihm in die Finger zu bekommen, schaffte es aber nicht, da ich immernoch zu weit weg stand. „Ich schaffs nicht mehr lange“, keuchte der Dunkelhaarige und ich murrte, bevor ich auch noch den Rest meiner Hemmung herunter schluckte und mich schon halb an ihn drückte.

Nach einem weiteren, gescheiterten Versuch, bekam ich den Stoff des Verbandes endlich zu fassen und wollte ihn nach vorn ziehen, als Jungkook seine Arme plötzlich auf meinen Schultern ablegt. Ich erstarrte. Ich war es nicht gewohnt, einem anderen Menschen so nah zu sein, ohne dass er mir wehtun wollte und deshalb fing ich an, unkontrolliert zu zittern. Ich tat das wirklich nicht mit Absicht, denn ich wusste, dass Jungkook mir nichts tun wollte. Aber ich konnte es einfach nicht abstellen. Und ich wusste nicht, was ich tun sollte.

„Beruhig dich, Taehyung“, sagte er ruhig und ich hob langsam meinen Kopf, um ihm ins Gesicht zu sehen. Und das war der Moment, indem mir etwas bewusst wurde: Ich war zwar der Schatten der Schule und für die Meisten unsichtbar, aber am Ende war er es, der sich versteckte.

Denn seine Augen verrieten ihn.

Er war kein Schläger und auch kein Poser. Das Alles war eine Fassade, die er um jeden Preis aufrecht erhalten wollte, denn seine Augen strahlten eine unfassbare Wärme und Geborgenheit aus. Ich hörte sogar auf, zu zittern und schaffte es, den Verband um seinen Körper zu wickeln. Als ich ihn festmachen wollte, bemerkte ich, dass er mich wohl die ganze Zeit über angestarrt haben musste. „Was ist?“, fragte ich und machte das Ende schließlich fest.

„Du bist schön.“

Scars ⇴ ᴛᴀᴇᴋᴏᴏᴋ ✓Where stories live. Discover now