My little Angel

My Little Angel #17

Jede einzelne Zeile war wie ein Stich in mein schwaches Herz.
Jedes Wort eine Klinge.
Obwohl ich den Brief nun schon bestimmt dreißig mal gelesen habe, tat ich es immer und immer wieder.
Obwohl ich jedes Wort verstanden habe, hatte ich das Gefühl nichts gecheckt zu haben.
Mit meinen leblosen Augen schaute ich eine lange Zeit nur auf den Brief.
In mir war eine große Leere.
Ich fühlte nichts. Gar nichts.
Kein Hass, keine Freude, keine Trauer, keine Liebe..einfach nichts.
Es war so als hätte man mir mein Herz lebend aus der Brust gerissen. Mit meinem Herz die kompletten Emotionen. Nun war da nur noch eine Leere.
Eine Leere, die man nicht mehr füllen konnte.
Nur die endlose Leere und ich. Mehr gab es nicht.
Ich nahm nichts mehr wahr. Alles rauschte an mir vorbei. Mein Zeitgefühl hatte ich auch komplett verloren. Ich wusste nicht, wie lange ich nun schon in meinem Auto saß und auf den Brief starrte. Trotz der Gefühlslosigkeit und Leere in mir, spürte ich Tränen auf meinen Wangen.

Irgendwann hörte ich dann das Vibrieren meines Handys, doch ich reagierte erstmal nicht. Als es dann nach einer Weile immer noch durchgehend vibrierte und nicht aufhören wollte, kramte ich es dann aus meiner Tasche.

"Helena! Endlich gehst du mal dran! Weißt du wie oft ich dich schon angerufen habe?", beschwerte sich Lene aufgebracht.
"Nein. Ich..Ich weiß nicht", stotterte ich leise.
"Helena? Was ist los?! Deine Stimme klingt schrecklich! Alles okay? Geht es dir gut?"
"I..Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, wie es mir geht. Alles ist durcheinander. Mein Leben, meine Gefühle, meine Gedanken..Alles ist am Ende."
"Helena?! Du machst mir Angst! Was ist los? Wo bist du, Schatz?!", fragte sie mich besorgt.
"Ich muss jetzt auflegen."
"Helena! Nein, warte! Dir geht es gar nicht gut. Eher im Gegenteil! Schatz, wo bist du? Ich habe dich noch nie so erlebt. Ich komme sofort zu dir. Sag schon!"
"Tschüss, Lene."

"Helena, mach nichts falsches! Wenn du schon nicht an dich denkst, dann sei dir bewusst, dass du ein unschuldiges Baby in dir trägst! Denk wenigstens an dein Kind", sagte sie am anderen Ende besorgt.
"Baby, ja? Ich trage ja ein Baby in mir? Ein Baby", stammelte ich monoton vor mich hin.
"Helena! D..Du machst mir echt Angst! Wo bist du?! Sag schon! Ich komme sofort! Du bist niemals alleine! Ich bin doch immer bei dir!"
"Niemals alleine? Lene, wenn du nur wüsstest, wie alleine ich gerade in Wirklichkeit bin", schluchzte ich leise.
"Helena! Bitte, sag mir wo du bist! Ich komme sofort zu dir. Wir können für alles eine Lösung finden."
"Danke für alles, Lene", und damit legte ich auf.

Mein Handy schaltete ich komplett aus und warf es einfach auf den Nebensitz. Den Brief faltete ich langsam zusammen und steckte ihn in meine Hosentasche. Dann nahm ich meinen Schlüssel, schaltete den Wagen ein und fuhr langsam los.
Meine leblosen und blutroten Augen waren nur auf die Straße gerichtet. Eine Träne nach der anderen lief über meine Wangen, während mein Schluchzen immer lauter wurde.

100 km/h.
Alles flog an mir vorbei. Die Bäume, die Autos, die Lichter in der dunklen Nacht.

120 km/h.
Sein Gesicht war vor meinen Augen. Sein perfektes, makelloses und bildhübsches Gesicht. Seine wunderschönen blauen Augen, die dem blauen Himmel Konkurrenz machen konnten.

130 km/h.
"Mein Name ist übrigens Ryan", rief er mir plötzlich hinterher. Überrascht drehte ich mich um und sah sein bezauberndes Lächeln wieder. "Helena."

140 km/h.
"Miss Dorn, es tut mir Leid. Ich weiß echt nicht, wie ich es Ihnen sagen soll, aber Sie sind wirklich schwanger."

150 km/h.
"Er hat vor 2 Tagen das Land verlassen, um im Ausland zu studieren."

160 km/h.
'Du und ich - es passt einfach nicht zusammen. Das zwischen uns war nicht richtig, Helena. Das hätte ich auch nie gewollt! Wir sollten beide diese Nacht vergessen. Es ist das Beste für dich und für mich! Ich habe diese Nacht vergessen, Helena. Ich habe dich vergessen.'

Licht. Ich sah nur noch etwas helles mit voller Geschwindigkeit und hupend auf mich zukommen.
Dann war nur noch ein lautes Krachen da und ich verschwand in der Dunkelheit.